Kapitel 12

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Gwendolyn legte ihre Arbeitsuniform ab und hängte sie ordentlich in den Spind.
Sie war froh, dass ihre Schicht endlich vorbei war.
Es war nicht so, dass sie ihren Job als Kellnerin hasste. Es lag eher an den Gästen, die das Café besuchten.
Sie waren oft aufdringlich oder pfiffen ihr hinterher.
Nicht selten kam es vor, dass ein paar mutige Typen sich trauten, nach ihrer Handynummer zu fragen.
Sie wies diese jedoch jedes Mal zurück. Das war unheimlich anstrengend und nervig obendrein.
Das hier war sicher kein Job für die Ewigkeit, aber irgendwie musste die Miete ja bezahlt werden.

Gwendolyn verließ das Café durch den Hintereingang, welcher ausschließlich für Personal bestimmt war.
Sie hatte sich direkt nach der Arbeit mit Oskar verabredet.
Er wartete bereits am Haupteingang.
Als er Gwendolyn bemerkte lief er ihr schnurstracks entgegen und gab ihr zur Begrüßung eine Umarmung.

"Da bist du ja endlich. Hattest du heute viel zu tun?"
"Ja, es hat heute ein bisschen länger gedauert. Entschuldige."
"Schon okay. Aber sag mal, wieso wolltest du dich so spontan mit mir treffen? Kommt ja nicht oft vor, dass ich dich mal ohne Fred zu Gesicht bekomme."

Sie machten sich auf den Weg in die Innenstadt, ohne ein richtiges Ziel zu haben.
"Ich wollte nicht, dass Fred dabei ist, weil ich mit dir über etwas Wichtiges reden muss."
"Über etwas Wichtiges?"
Oskar merkte, wie er langsam nervös wurde.
Was konnte so wichtig sein, dass Gwendolyn sich extra mit ihm alleine traf? Doch nicht etwa...
"Wegen dem Date neulich. Du hast dich zum Ende hin ziemlich komisch verhalten. Als wärst du total in Gedanken gewesen. Du hast gar nicht mehr mitgekriegt, was um dich herum passiert. Was war da mit dir los?"

Oskar suchte nach einer passenden Antwort.
"Du hast es also bemerkt? Um ehrlich zu sein, hat mir diese ganze Situation total zu schaffen gemacht. Das war das erste Mal in meinem Leben, dass ich ein Date hatte. Und dann auch noch mit Charlotta, verstehst du? Mir war am Ende einfach ein bisschen übel wegen der Nervosität. Ich hoffe nur, Charlotta hat mir das nicht angesehen."
Diese Aussage war nicht mal eine Lüge.

"Dir war übel? Das erklärt Einiges. Du warst auch echt blass an dem Abend, sogar noch mehr als sonst. Und das muss was heißen."
"Ich bin stets bemüht, meinen Teint beizubehalten."
"Ist sicher nicht schwierig, wenn man nie vor die Tür geht."
"Wieso nie? Ich bin doch jetzt in diesem Moment draußen und setze mich der unbarmherzigen Sonne aus."
"Stimmt auch wieder. Sag mal, wie läuft es eigentlich mit Charlotta, seitdem ihr das Date hattet?"
"Eigentlich keine Veränderung zu vorher."

Während Oskar den Satz aussprach, bemerkte er, wie wenig er seit dem Date mit Charlotta gesprochen hatte.
Seitdem hatten sie nur ein einziges Mal zusammen in der Mensa gegessen.
Er hatte sie auf den Forum User Clownface angesprochen und sie gefragt, ob sie wüsste, was es mit dem geposteten Link auf sich hatte.
Angeblich hatte sie keinen Link gesehen.
An jenem Abend hatte Oskar sich vergewissern wollen, ob der Link noch an Ort und Stelle war, doch der Thread war gelöscht worden.
Genau wie Charlotta gesagt hatte.
Seitdem hatte er kein Wort mehr mit ihr gewechselt.
Das Date hatten sie beide mit keiner Silbe erwähnt.

"Sag mal, glaubst du, ich sollte mich nochmal alleine mit ihr treffen?"
"Wenn du dich dazu in der Lage fühlst, wieso nicht?"
"Ich hab seit unserem Date kaum mehr mit ihr geredet. Bestimmt denkt sie jetzt, dass ich es blöd fand, was aber gar nicht der Fall ist. Ich war die letzten Tage nur etwas abgelenkt."
"Dann solltest du ihr das genau so erzählen. Sie wird sicher Verständnis haben."
"Hoffentlich hast du Recht."
"Klar. Bei dem Date hat man richtig gemerkt, dass sie dich gern hat."

Oskars Wangen färben sich leicht rot und er lächelte zufrieden.
"Hey, wie wär's? Soll ich dich auf ein Eis einladen?"
"Eis klingt gut", sagte Gwendolyn, der beim Gedanken an die kühle Köstlichkeit das Wasser im Mund zusammenlief.
Genau das richtige bei den hohen Temperaturen.

Sie setzten sich in die nächst beste Eisdiele und durchwälzten die Speisekarte, obwohl sie eigentlich schon genau wussten, was sie bestellen würden.
Gwendolyn wählte wie immer einen Bananensplit und Oskar entschied sich für ein Spaghettieis mit Erdbeer Soße.

"Erzähl das bloß nicht Fred, sonst wird er eifersüchtig und ich kann mir die nächsten Tage was anhören."
"Von mir erfährt er garantiert nichts", versicherte Oskar.
Es dauerte nicht lange, bis der Kellner die Bestellung an den Tisch brachte.
"Guten Appetit", murmelte er mit einem italienischen Akzent.
Gwendolyn betrachtete ihren köstlich angerichteten Bananensplit.

Das war wirklich eine Monsterportion.
In diesem Moment fand sie es doch etwas schade, dass Fred nicht mit dabei war. Sonst war er immer dafür zuständig, ihre Reste zu verwerten.
Auf Oskar konnte man in dieser Hinsicht nicht zählen.
Er war froh, wenn er seine eigene Portion schaffte.

"Na dann, lass es dir schmecken", sagte er, während er schon längst mit dem Verzehr seines Spaghettieises begonnen hatte.
"Danke. Echt lieb, dass du mich einlädtst. Du schwimmst ja auch nicht gerade im Geld."
"Stimmt schon, aber man muss sich auch mal was gönnen."
"Apropos gönnen, ich hab mir ein richtig tolles Kleid im Internet bestellt. Das ist so unglaublich schön, ich muss mich wirklich bei dir bedanken, Oskar."
"Wieso bedanken? Was hab ich damit zu tun?"

"Du hast Fred doch diesen Zettel mit dem Hyperlink zugesteckt. Wir haben den Link abgetippt, weil wir wissen wollten, was sich dahinter verbirgt. Eine Shoppingseite war echt das Letzte, was wir erwartet hatten. Du hast einen guten Geschmack, das muss man dir lassen."

Oskars Gesicht war mit einem Mal kreidebleich geworden.
"Tut mir leid, dich enttäuschen zu müssen, aber ich habe Fred keinen Zettel zugesteckt."

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