Kapitel 2

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Oskar war nicht gerade jemand, der am Wochenende auf Partys ging oder ein süßes Mädchen nach dem Anderen mit nach Hause brachte.
Generell vermied er soziale Interaktionen, so gut er konnte.

Bis vor einem halben Jahr hatte er noch bei seinen Eltern gewohnt, doch wegen seines Physik Studiums war er gezwungen gewesen, sich eine Wohnung in der Nähe der Universität zu suchen.
Er war erleichtert darüber, dass er sich seine Wohnung mit niemandem teilen musste.
Wäre er in einer dieser schrecklichen Studenten WGs gelandet, hätte er ernsthaft mit dem Gedanken gespielt, die Uni zu schmeißen und wieder zurück zu seinen Eltern zu ziehen.
Diese wären zwar nicht sonderlich erfreut darüber gewesen, aber sie hätten schon Verständnis gehabt.

Oskar musste feststellen, dass sich sein Leben, seitdem er die Uni besuchte, schlagartig verbessert hatte.
Bereits an seinem ersten Tag hatte er sich mit jemandem unterhalten, der sogar seine Leidenschaft für Comics teilte.

Noch besser war, dass es in seinem Studiengang ein Mädchen gab, für das er sich wirklich interessierte.
Genau genommen war es das erste Mal, dass er sich überhaupt für ein Mädchen interessierte.

Ihr Name war Charlotta.
Sie setzte sich hin und wieder in der Mensa zu ihm an den Tisch und fing ganz unverblümt damit an, über Aliens, Geister und andere übernatürliche Dinge zu reden.
Außerdem schien sie ein großes Interesse an Astronomie zu haben.

Oskar wusste nicht, wieso sie ausgerechnet ihn für diese Gespräche ausgewählt hatte, aber er genoss es sehr, mit ihr darüber zu diskutieren, ob es auf dem Mars schon einmal Leben gegeben hatte oder nicht.

Einmal hatte Charlotta ihm ein Forum im Internet empfohlen, in dem viel über solche Themen geschrieben wurde.
Sie behauptete, dort ebenfalls unter dem Nicknamen "BlackStar" angemeldet zu sein.
Noch am selben Tag registrierte er sich auf der Seite, die sich "Para.Secrets" nannte.
Das Forum war relativ professionell gestaltet und schien viele aktive Nutzer zu haben.

Seitdem Oskar "Para.Secrets" kannte, verbrachte er dort fast jeden Abend. Hauptsächlich, um die Beiträge von "BlackStar" zu lesen und die Gespräche aus der Mensa weiterzuführen.
So war es auch an diesem Abend.

Oskar klickte sich durch verschiedene Threads, während er darauf wartete, dass Charlotta sich einloggte.
Sie war heute ungewöhnlich spät dran.
Normalerweise war ab 21 Uhr spätestens mit ihrer Anwesenheit zu rechnen.
Die Uhr zeigte jedoch bereits 21:36 Uhr an.
Na und? Dann ist sie eben spät dran. Sowas kommt vor, versuchte Oskar sich einzureden, doch sein Bauchgefühl sagte ihm, dass etwas nicht stimmte. 

Er wusste, dass es albern war, sich Sorgen zu machen. Vielleicht war sie gerade mit Lernen beschäftigt oder besuchte eine Freundin.
Ja, das musste es sein.
Er beschloss, dass er ausnahmsweise auch mal einen Abend ohne Charlotta aushalten würde.
Das Forum hielt schließlich noch jede Menge andere interessante Gesprächspartner bereit.
Hoffnungsvoll rief er die Themen-Übersicht des Forums auf.

Vor wenigen Minuten war von einem User namens "Clownface" ein neuer Thread eröffnet worden.
Das Interessante daran war, dass es keine themeneinleitende Überschrift gab.
Nicht einmal das standardmäßige "Kein Betreff" füllte die Leiste aus.
Oskars Neugier war geweckt. 

Vielleicht lieferte ihm dieser Thread sogar neuen Stoff für Gespräche mit Charlotta.
Voller Euphorie klickte er den namenlosen Thread an.
Der Inhalt war allerdings ernüchternd.
Es war lediglich ein Hyperlink, der wahrscheinlich zu irgendeiner nervigen Werbe-Website weiterleiten sollte.

Hätte ich mir denken können.
Trotz der Enttäuschung wollte er nun doch wissen, was sich hinter dem Link verbarg.
Nachdem er darauf geklickt hatte, öffnete sich ein weiteres Browserfenster.
Die Seite brauchte ziemlich lange, um vollständig zu laden.
Nach und nach erschienen Bilder von Klamotten, Schminke und Accessoires.
Eine Shopping Seite für Frauen? Oskars Enttäuschung wurde noch einmal gesteigert.

Es mochte sich zwar um eine einfache Shopping Seite handeln, dennoch wirkte sie irgendwie seltsam.
Die ganze Seite war in einem nichtssagenden Weiß gehalten, die Schrift war schwarz und mit Serifen versehen.
Die Modeartikel waren das Einzige, das der Website ein wenig Farbe gab. 

Wahrscheinlich von irgendwelchen Amateuren erstellt, schlussfolgerte Oskar.
Er klappte den Laptop zu. Für heute hatte er die Hoffnung aufgegeben, dass Charlotta sich noch einloggen würde.

Er entschied sich dafür, den Rest des Abends vor dem Fernseher zu verbringen. Vielleicht lief ja irgendwo wieder eine Doku über den Roswell-Zwischenfall 1947.
Über das Thema hatte er sich mit Charlotta zuletzt häufiger unterhalten.

Bevor er es sich gemütlich machte, öffnete er das Fenster.
Das tat er im Sommer immer, damit die warme Luft aus der Wohnung entweichen konnte.
Es war wahrlich kein Vergnügen, in einem Dachgeschoss zu wohnen. 

Diese Nacht hätte er das Fenster jedoch lieber zu lassen sollen.

Zu diesem Zeitpunkt konnte er jedoch noch nicht wissen, dass ihn diese Nacht der Schock seines Lebens ereilen würde.

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