Kapitel 2 ✔️

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Mit schmerzverzerrtem Gesicht stieg Lexa aus dem Bus. Amy warf ihr ein hämisches Grinsen zu, doch das Mädchen ignorierte es routiniert. Warum die Hexe heute schon nach der vierten Stunde frei hatte, war ihr schleierhaft. Alexandra hatte am Schwarzen Brett gesehen, dass außer ihrer Sportlehrerin alle Oberstufenlehrer fit waren. Da Amy nicht zum Sportkurs gehörte, schwänzte sie mit Sicherheit. Na ja, wäre nicht das erste Mal. Um genau zu sein, passierte es regelmäßig. Amys Mutter schrieb ihr nach wie vor, ohne mit der Wimper zu zucken, Entschuldigungen für die Schule. Sie war von Anfang an der Meinung, dass Schulbildung zweitrangig war. Spielen und freie Entfaltung hatten in dem Haushalt schon immer einen höheren Stellenwert. Vermutlich ein Grund, warum die Mütter beider Mädchen einander verabscheuten. Die gegenteilige Auffassung von der richtigen Erziehung hatte in der Grundschulzeit zu einem riesigen Streit geführt. Lexas Mutter hatte geschimpft, dass Amy ein verzogenes Biest war und nie Manieren lernen würde. Die von Amy hatte dagegengehalten, dass die freie Erziehung den Menschen kreativer machte und ihre Tochter sich die Benimmregeln bei anderen Personen ohne Probleme abschaute. Tja, das Ergebnis war bekannt. Amy gehörte zu den äußerst phantasievollen Zeitgenossen. Erfinderisch darin, ihren Mitmenschen das Leben zu vermiesen und ihnen Schmerzen zuzufügen.

Missmutig humpelte Lexa nach Hause. Die blöde Kuh, die nur einige Meter von ihr entfernt wohnte, drehte sich am kackbraunen Gartentor ihrer Familie zu dem humpelnden Mädchen um, schenkte ihr das fieseste Lächeln, das sie draufhatte, und verschwand. Innerlich atmete Lexa auf. Nur ein paar Meter, dann war sie zuhause. Ihre Eltern waren glücklicherweise nicht da, wie immer halt. Das Mädchen hinkte zur Haustür, schloss diese auf und flüchtete nach drinnen. Endlich Ruhe. Der Rucksack flog gegen den Schuhschrank und sie lief, ohne zu lahmen, zur Toilette.

Grinsend betrachtete sie im Badezimmer ihren ach so lädierten Fuß. Die Schwellung und die Schmerzen waren längst verschwunden, um genau zu sein während der zweiten Geschichtsstunde. Schnell zu heilen war eine der wundersamen Eigentümlichkeiten Lexas Körpers. So wie ihr herausragender Geruchssinn. Nicht so witzig, wenn man sich ausgerechnet mitten unter einem Haufen Mädels aufhielt, die mit ihren Deos die Luft verpesteten. Nur weil in den Teilen kein FCKW enthalten war, brauchte man es dennoch nicht so großräumig zu versprühen. Doch wenn es etwas Leckeres zu essen gab, warnte Lexas Nase sie sofort. 

Seufzend betrachtete sie ihr Spiegelbild. Ein blasses Mädchen mit wässrig blauen Augen sah ihr entgegen. Egal wie viel Zeit sie in der Sonne verbrachte, ihre Haut blieb bleich. Laut Hausarzt handelte es sich um eine ungefährliche Pigmentstörung. Mittlerweile hatte sie sich damit abgefunden. Ihre Augenfarbe dagegen war ihr ein Gräuel. Einige Male hatte sie bereits überlegt, sich farbige Kontaktlinsen zu kaufen, doch es ekelte sie davor, sich etwas in die Augen zu schmeißen. Erneut seufzte sie. Wie hieß es so schön? Man konnte nicht alles haben. 

Knurrend verließ sie das Bad und setzte sich an ihren Schreibtisch. Kurz checkte sie in ihrem Spiel, ob es Probleme gab, dann lief sie zurück in den Flur, um den Rucksack zu holen. Lexas Mutter hasste es, wenn das Mädchen im Internet surfte und erst zu einem späteren Zeitpunkt die Aufgaben für die Schule erledigte. Geschichte war easy. Zurzeit beschäftigten sie sich mit dem Thema Die großen Revolutionen und ihre Folgen. Um genau zu sein mit dem Unterpunkt der Revolution von 1848. Ihre Hausaufgabe war es, die Ursachen und Krisen herausfiltern, die zu den Unruhen geführt hatten. Zu ihrem Glück brauchte sie es nicht handschriftlich niederzuschreiben. Die Nutzung eines PCs war regelrecht erwünscht. Vorausgesetzt, dass die Schüler nicht blindlings aus dem Internet kopierten. Lexa tippte daher einige Punkte zu den sozial-ökonomischen Krisen, den Hungerkrisen, der internationalen Konjunkturkrise und zum Wiener Kongress und seine Folgen in ein Word-Dokument.

Für Deutsch stand eine Interpretation des Romans Wolter von Plettenberg an. Dafür hatten die Schüler einige Wochen Zeit, daher packte Lexa das Buch an die Seite. Mathe hatte sie ausnahmsweise nicht auf, da Herr Menge verzweifelt aufgegeben hatte, nachdem nicht wenige Mitschüler komplett nix verstanden hatten. Entspannt lehnte sie sich zurück. Dann klickte sie wieder auf ihr Spiel, chattete etwas mit ihren Bekannten dort auf Englisch und driftete mit den Gedanken ab. Daher hörte sie nicht die Haustür, die einige Zeit später ins Schloss fiel.

Der BasterianerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt