Kapitel 27 - Alfons

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Der König blättert im Vertrag herum. „Mir erscheint es zu viel verlangt, das Bildungssystem Calias an das von Kroesus anzupassen. Dafür haben wir nicht genügend Ressourcen. Warum nicht andersherum? Oder wenigstens eine Form, bei der wir uns in der Mitte treffen?" Ich schüttele den Kopf. „Wie ich schon sagte, ist die Bildung in Kroesus ausgezeichnet und ich bin nicht gewillt, an dieser Stelle eine Verschlechterung hinzunehmen. Ich bin Ihnen bei den Finanzen entgegengekommen. Kroesus würde dazu beitragen, die Bildung im Land zu verbessern."
König Ursus runzelt die Stirn. „So löblich Ihr Ansinnen ist, Durchlaucht, es ist nicht realistisch. Die Krone muss ihre Mittel an anderer Stelle investieren. Ich plädiere..."
Ein Klopfen unterbricht ihn in seinem Satz und einer der Lakaien betritt das Studierzimmer. „Was ist denn jetzt schon wieder?", beschwert sich der König übellaunig. Ich habe das Gefühl, er ist in einer noch mieseren Stimmung als sonst.
„Verzeihung, Majestät. Baroness von Mühlen möchte Sie sprechen und sie ließ sich nicht abwimmeln, als ich meinte, Sie wären beschäftigt." König Ursus seufzt entnervt. „Dieses Frauenzimmer strapaziert so langsam meinen guten Willen. Sie soll sich um ihre Werber kümmern und mich in Ruhe arbeiten lassen." „Soll ich das ausrichten?", erkundigt sich der Lakai pflichtvergessen. Der König überlegt einen Moment.
„Nein, schon in Ordnung. Sie soll hereinkommen. Seine Durchlaucht hat sicher nichts dagegen." Seinen hämischen Seitenblick übersehe ich bewusst.
Der Lakai öffnet die Tür und bittet Theodora herein. Sie betritt den Raum, erblick mich und schaut peinlich berührt zu Boden. „Verzeihung, Majestät, ich wusste nicht, dass..." „...dass ich wirklich beschäftigt bin?" Sie räuspert sich. „Ich wollte nur ausschließen, dass Sie mich nicht empfangen, weil Sie der Ansicht sind, meine Prioritäten lägen momentan woanders. Ich kann später wiederkommen." Sie knickst. „Entschuldigen Sie mich. Majestät, Durchlaucht."
Sie macht Anstalten, wieder zu gehen, doch ich halte sie zurück. „Bitte, tragen Sie Ihr Anliegen vor. Mich stört es garantiert nicht. Ich kann draußen warten, wenn Sie lieber mit Seiner Majestät unter vier Augen sprechen möchten."
„Da hören Sie es. Jetzt oder nie", meint der König kühl. Theodora streicht ihr Kleid glatt. „Majestät, ich bitte um die Erlaubnis, meine Familie besuchen zu können. Ich habe sie seit Jahren nicht gesehen."
Der König schnaubt. „Also manchmal weiß ich nicht, was Sie denken. Das kommt nicht infrage, Fräulein Theodora, dass Sie als Frau alleine durchs halbe Land reisen. Und für angemessene Begleitung hat die Krone momentan nicht ausreichend Kapazitäten. Und vor allem werden Sie nicht jetzt reisen, wo der Adel sein Interesse an Ihnen zu bekunden versucht. Und jetzt bitte ich darum, dass Sie den Raum verlassen, damit ich mich den politischen Angelegenheiten mit Fürst von Kroesus widmen kann."
König Ursus lehnt sich in seinem Stuhl zurück, als wäre das Thema beendet, doch das ist es für Theodora wohl noch lange noch nicht.
„Nein, Majestät, so leicht lasse ich mich nicht abspeisen. Ich habe Gründe, warum ich jetzt verreisen möchte und Sie werden diese Gründe anhören." Ich bewundere sie für die Bestimmtheit, mit der sie antwortet. Der König ist alles andere als freundlich, er ist abweisend und beleidigend und ich gerate mehr und mehr in Rage darüber, wie er mit Theodora umgeht.
Der König seufzt und blickt zu mir. „Es tut mir leid, Durchlaucht." Ich unterdrücke einen unfreundlichen Kommentar, stattdessen erwidere ich: „Das muss es nicht, Majestät. Ich bin gewillt, zu warten, bis die Baroness ihr Anliegen vollständig vorgetragen hat."
Mehr Einladung braucht sie offenbar nicht. „Erstens sollte ich die Reise unternehmen, weil ich nicht weiß, inwiefern das zukünftig möglich sein wird. Mein zukünftiger Verlobter verfügt über meine Zeit, sobald wir einander versprochen sind und ich werde nicht die Freiheit haben, meine Familie so lange zu besuchen, wie ich es für nötig halte. Zweitens bin ich bereits jetzt nicht in der Lage, die Werber auseinanderzuhalten und all die Aufmerksamkeiten zu ertragen. Mit ein wenig räumlichem Abstand werde ich meine Optionen besser reflektieren können und zudem sehen, wer gewillt ist, bis zu meiner Rückkehr auf mich zu warten. Und sollten Sie von den zwei vorangegangenen Argumenten nicht überzeugt sein, so versichere ich Ihnen, dass ich jeden Werber erfolgreich vergraulen werde mit einer Laune, die jeden Tag schlechter und einem Nervenkostüm, das jeden Tag dünner werden wird. Und jetzt, Eure Majestät, bitte ich Sie noch einmal, meine Reise zu gestatten."
„Ihre Hochzeit ist keine Option, die ich mit Ihnen diskutiere, Baroness. Ich dachte, da hätte ich mich klar ausgedrückt. Und wie gesagt, Sie sind nicht irgendwer. Sie können nicht ohne angemessene Begleitung eine so lange Reise unternehmen. Und ich werde hier garantiert niemanden entbehren, weil Sie Ihren Werbern aus dem Weg gehen wollen. Also, sollten Sie nicht in der Lage sein, mir jemanden zu nennen, der mit Ihnen reist – und damit meine ich nicht Ihre Zofe – ist dieses Thema für mich beendet."
Ich sehe, wie Theodora krampfhaft schluckt. Ich verstehe nicht, wieso der König so unfreundlich zu ihr ist, wie er überhaupt mit einem Menschen so umgehen kann, der ihm so unmittelbar unterstellt ist. Theodora ist seine Schutzbefohlene und hat über Jahre immens viel für die Krone geleistet. Aber ich weiß, dass das nicht einmal der Punkt ist, der sie so mitnimmt. Ich weiß um die Situation ihrer Schwester und ich verstehe nur zu gut, dass sie sich Sorgen macht.
Santos' Worte kommen mir in den Sinn. Dass ich manchmal einfach handeln sollte, ohne groß darüber nachzudenken. Mir ist eindeutig klar, dass niemand Theodora helfen wird, wenn ich es nicht tue.
„Ich werde die Baroness begleiten", sage ich und beide schauen mich überrascht an. „Das ist nicht Ihre Aufgabe", erwidert der König. Ich lehne mich entspannt zurück. „Und Sie entscheiden, was meine Aufgabe ist, Majestät? Um das klarzustellen: Egal wie unabhängig oder abhängig Kroesus ist und in Zukunft sein wird, ich bin und bleibe mein eigener Herr. Sie können nicht über mich verfügen und deshalb muss ich Sie auch nicht um Erlaubnis fragen, sondern kann ganz einfach Baroness von Mühlen meine Begleitung anbieten." Ich wende mich ihr zu. „Natürlich nur, wenn Sie das möchten. Ich will mich auf keinen Fall aufdrängen."
Sie erscheint überrumpelt und starrt nun angestrengt auf den Boden. Schließlich meint sie leise: „Das ist freundlich von Ihnen, Durchlaucht, aber seine Majestät hat Recht. Es ist nicht Ihre Aufgabe. Und ich werde mich hüten, Ihnen eine solche Verpflichtung aufzubürden. Entschuldigen Sie mich."
Ein schneller Knicks, dann stürmt Theodora aus dem Studierzimmer. Ich werfe dem König einen Blick zu. Dieser hat sich entspannt in seinem Stuhl zurückgelehnt und trägt eine undurchdringliche Miene zur Schau. Ohne weitere Rücksicht auf ihn, schiebe ich meinen Stuhl zurück und renne ebenfalls hinaus, Theodora hinterher. Ich weiß nicht, ob es ihr Stolz ist oder ob sie noch ein anderes Problem hat, aber ich möchte, dass sie einmal an sich denkt und diese Reise antritt.
„Baroness!", rufe ich ihr über den Gang hinterher, doch sie verlangsamt ihr Tempo kein bisschen. Ich kann nicht anders als sie dafür zu bewundern, dass sie in ihrem Korsett und weiten Kleid solch eine Geschwindigkeit an den Tag legen kann.
„Baroness, warten Sie bitte", rufe ich noch einmal. Als das wieder nicht die gewünschte Wirkung zeigt, rufe ich etwas aufgebrachter: „Meine Güte, Theodora, jetzt bleiben Sie schon stehen!", und tatsächlich verlangsamt sie ihre Schritte und bleibt schließlich stehen. Ich schließe zu ihr auf.
„Warum tun Sie das?", fragt sie und ihre Stimme klingt seltsamerweise nicht aufgebracht, sondern eher ratlos. „Die Reise?", frage ich nach und sie nickt. „Weil Sie als Frau nicht alleine fahren dürfen. Weil Sie eine Begleitung brauchen." Sie schüttelt den Kopf. „Das weiß ich und das meine ich nicht. Warum tun Sie das ausgerechnet für mich? Würde Ernestine durch das halbe Land fahren, dann würden Sie sich nicht als Begleitung anbieten. Warum geben Sie sich so viel Mühe mit mir? Warum wissen Sie immer, was ich brauche? Warum muntern Sie mich auf, gehen mit mir spazieren, bringen mir etwas zu trinken, hören mir zu, geben auf mich Acht, warum nur?"
Ihre Augen blicken mich unverwandt an und ich sehe, wie sie feucht werden. Ich höre Santos' Stimme in meinem Kopf, dass das hier eine Gelegenheit ist, die so schnell nicht wiederkommt. Dass all diese Fragen doch im Grunde auf die eine Antwort abzielen, dass ich sie liebe. Es wäre so einfach, die ganze Sache aufzulösen, jetzt und hier zu erfragen, ob ich eine Chance bei ihr habe. Doch es fällt mir unglaublich schwer. Ich habe die Befürchtung, dass sie mich als Begleiter für ihre Reise noch weniger in Betracht ziehen wird, wenn sie weiß, dass ich mir eine Beziehung mit ihr erhoffe. Ich habe Angst, dass sie auf Abstand geht. Und dabei will ich diese Reise gemeinsam mit ihr so sehr.
„Weil es sich richtig anfühlt", sage ich sanft. „Seit mein Vater verstorben ist, fühle ich mich einsamer, als gäbe es niemanden auf dieser Welt, der mich verstehen kann. Ich erfülle meine Pflichten, aber ich habe nicht das Gefühl, dass das mein Leben erfüllt. Die letzten Wochen über durfte ich Sie kennenlernen und auf einmal habe ich wieder das Gefühl, gesehen zu werden. Ich habe den Eindruck, dass Sie mich kennen. Nicht jedes Detail meiner Geschichte, aber mich als Mensch. Und das bedeutet mir unendlich viel. Und insgeheim glaube ich, dass es Ihnen genauso geht. Ihre Freundin ist verheiratet, Sie werden es auch bald sein und in diesem Moment brauchen Sie einfach jemanden, der für Sie da ist, der sich um Sie sorgt und der sicherstellt, dass Sie nicht alleine sind. Und wenn Sie es zulassen, dann möchte ich dieser Jemand für Sie sein."
Sie schnieft. „Aber das ist doch verrückt. Sie sind ein Fürst, Sie haben wichtigere Dinge zu tun, als mich zu begleiten, Sie haben hier eine Verhandlung mit dem König zu führen, ich habe das Gefühl, Ihre Gutherzigkeit auszunutzen für ein Anliegen, das Sie gar nicht betrifft." „Die Verhandlung ist schon viele Male geführt worden und ich habe Seine Majestät Jahre warten lassen. Und ich würde ihn am liebsten noch ein paar Jahre warten lassen, wenn ich Zeuge werden muss, wie schändlich er mit Ihnen umgeht. Die Zeit spielt nun wirklich  keine Rolle mehr. Aber Ihr Anliegen ist wichtig. Und es schert sich hier keiner darum, außer uns beiden. Theodora, ich werde Ihnen meine Hilfe nicht aufdrängen. Aber ich möchte, dass Sie wissen, dass Sie nur ein Wort sagen müssen und ich sorge dafür, dass Sie diese Reise sicher antreten können. Und ich verlange nichts dafür, Sie stehen nicht in meiner Schuld, sondern ich tue es, weil ich es möchte."
Sie beißt sich nachdenklich auf die Unterlippe. Nach einigen Sekunden fragt Sie leise: „Durchlaucht, würden Sie mich bitte auf der Reise zu meiner Schwester begleiten?" Ich lächele. „Natürlich. Jederzeit." Ich räuspere mich. „Das klingt jetzt vielleicht merkwürdig, aber könnten Sie sich womöglich daran gewöhnen, meinen Vornamen zu benutzen? Ich bin kein großer Verfechter von Titeln und unsere Freundschaft rechtfertigt doch gewiss eine vertrautere Anrede." Theodora lächelt. „Ich bin nicht sicher, was das höfische Protokoll dazu sagt, aber es wäre wohl eine Schande, Ihrem Wunsch nicht zu entsprechen. Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag. Alfons."

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