Ein verzücktes Seufzen hallt durch den festlich geschmückten Ballsaal, als dieser Baron, dessen Namen ich schon wieder vergessen habe, vor der strahlenden Katharina Mollock auf die Knie geht und ihr einen Verlobungsring an den Finger steckt. Ich schüttele innerlich den Kopf.
„Jeder wusste doch, dass sie sich verloben würden. Warum tut dann jeder hier so, als wäre es überraschend und romantisch, dass die beiden sich auf ihrer eigenen Verlobungsfeier verloben?", raune ich Santos zu, der neben mir steht und das Spektakel aufmerksam verfolgt. An seinem rechten Arm hängt eine spitznasige Brünette mit einem riesigen Haarberg auf dem Kopf.
Santos seufzt. „Nicht zuletzt ist eine Verlobung die Zurschaustellung von Liebe. Das ist etwas Besonderes im gefühlskalten Adel. Außerdem geht es gar nicht so sehr um die beiden als Paar. Es geht um das Ambiente, den Prunk und darum, sich genau so zu verhalten, wie alle es erwarten, um sich selbst ins beste Licht zu rücken. Und dazu gehört ein schmachtendes Seufzen der Damenwelt, das den umstehenden Herren verdeutlichen soll, dass sie selbst gern an der Stelle der frisch Verlobten wären."
Ich schüttele den Kopf über so viel Albernheit, versage mir aber einen weiteren Kommentar. Ich will Santos nicht den Spaß verderben, denn dann wäre er wohl ziemlich böse auf mich.
Der verlobte Baron führt seine Partnerin für den ersten Tanz auf die Tanzfläche und mein Freund wirft mir einen entschuldigenden Blick zu, als er sich mit seiner Cousine dritten Grades ebenfalls zu den Paaren gesellt, die sich neben den Verlobten zum Tanz aufstellen. Kurz bevor die Orchestermusik erklingt, schreitet Kronprinz Titus an den Paaren vorbei und positioniert sich mit seiner Partnerin an der Spitze der Aufstellung, was ihm als Ranghöchsten zusteht.
Die Geigen geben den Auftakt und die gesamte Formation bewegt sich in Eintracht und Eleganz. Wie zufällig lasse ich meinen Blick über die Paare schweifen und mein Herz bleibt kurz stehen, als ich bei der ersten Drehung die Person unter den Tanzenden ausmachen kann, nach der ich insgeheim gesucht habe. Meine Begeisterung hält sich in Grenzen. Ihr Tanzpartner verdeutlicht mir, dass ihre Stellung wohl höher sein muss, als zunächst angenommen. Und das passt mir gar nicht. Sie ist die Partnerin des Kronprinzen.
Ihre Bewegungen sind so natürlich, als würde sie nichts anderes tun, als zu tanzen. Sie schwebt dahin wie ein Engel und wüsste ich es nicht besser, würde ich daran zweifeln, dass sie auch ihre halsstarrigen Seiten hat.
Als der Tanz schließlich beendet ist und Santos ohne seine Cousine wieder zu mir stößt, bin ich insgeheim erleichtert. Wieder einmal wird mir deutlich bewusst, warum ich mich auf solchen Feierlichkeiten nicht wohlfühle. Die Menschen kennen meinen Ruf und meiden mich. Und selbst, wenn sie es nicht täten, wüsste ich doch nicht, worüber ich mit ihnen reden sollte.
„Du siehst so griesgrämig aus. Was ist los?", fragt mein Freund gut gelaunt. Ich zucke mit den Schultern.
„Ist der Kronprinz eigentlich in festen Händen?", frage ich beiläufig und fürchte die Antwort. Nicht einmal ist mir in den Sinn gekommen, dass die junge Frau, die mich so begeistert hat, womöglich schon vergeben sein könnte. Doch jetzt, wo mir der Gedanke gekommen ist, kann ich mir gar nicht mehr vorstellen, dass sie es nicht sein könnte.
„Soweit ich weiß nicht", zerstreut Santos meine Bedenken ein wenig. „Ich glaube, er ist noch recht jung. Und wenn sich etwas in diese Richtung anbahnen würde, wäre ich wohl der erste, der davon wüsste. Wieso?"
Ich zögere ein wenig mit der Antwort. „Ich dachte nur... Die Dame, die mit ihm tanzt..." Mein Blick schweift zurück zur Tanzfläche, wo das Paar bereits den zweiten Tanz gemeinsam bestreitet. Santos folgt meinem Blick. Dann scheint etwas in seinem Kopf einzurasten, denn seine Kinnlade klappt hinunter und er schaut mich entgeistert an.
„Sie?! Meine Güte, Alfons, was denkst du dir nur dabei! Und ganz ehrlich, mein Freund, du musst dich äußerst schwerfällig angestellt haben, denn es hat mich einen einzigen Blick gekostet, herauszufinden, wer sie ist. Jeder hier kennt sie. Und wüsstest du, wer sie ist, dann würdest du womöglich deine Schwärmereien zügig ad acta legen." Ich ziehe meine Augenbrauen hoch. „Ohne Zweifel bist du mir überlegen, Santos. Besitzt du vielleicht dennoch die Güte, mich aufzuklären?"
Santos fährt sich durch die Haare. „Diese Dame ist die schlimmste Partie, die du dir in deinem gegenwärtigen Ringen um die politische Oberhand in der Calia-Kroesus-Frage hättest auswählen können. Sie ist das Juwel des königlichen Hofes, die Hofdame Baroness Theodora von Mühlen. Sie untersteht in ihrem Handeln der Krone und der König persönlich ist ihr Vormund und bestimmt ihre Zukunft. Du wirst niemals Chancen bei ihr haben ohne das Einverständnis seiner Majestät. Nimm einen wohlgemeinten Rat von deinem Freund an, Alfons: Schlag sie dir aus dem Kopf."
Ich zermartere mir das Hirn darüber, was ich nun tun soll. Santos ist selten so ernst und eindringlich. Ich weiß, dass er im Grunde nur meine Interessen schützen möchte. Doch was ist, wenn er die ganze Sache falsch sieht? Was kostet es mich, den König um sein Einverständnis zu ersuchen? Im schlimmsten Fall verweigert er es. Oder er stellt Forderungen, die ich nicht einhalten kann. Aber dann wäre es an mir, neu darüber zu entscheiden, was zu tun ist.
Santos deutet mein nachdenkliches Schweigen richtig. „Du lässt dich nicht davon abbringen, es wenigstens zu versuchen, oder?" Ich nicke. „So ist es." Er seufzt. „Ist sie es denn wert? Du kennst sie doch gar nicht." Ich nicke erneut. „Das stimmt. Aber ich habe vor, das zu ändern. Manchmal reicht ein Gefühl. Und ich habe das starke Gefühl, dass sie diejenige sein könnte, die zu mir passt."
Einen Moment lang sagt mein Freund gar nichts. Dann tritt das verschmitzte Lächeln auf sein Gesicht, das ich so gut von ihm kenne. „Nun gut, wenn das so ist... Ich bestehe darauf, dass du mich auf dem Laufenden hältst. Ich möchte der erste sein, der darüber berichtet, sollte dein Werben von Erfolg gekrönt sein. Und im Gegenzug gebe ich dir den Rat, heute einen anständigen Eindruck bei Baroness Theodora zu hinterlassen. Frauen in solchen Gesellschaftskreisen verzeihen keine Fehler."
***
Ich lasse die Baroness nicht aus den Augen. Ich suche nach einem Zeitpunkt, in dem ich mich ihr unaufdringlich nähern kann. Santos scheint langsam Spaß darin zu finden, mich aufzuziehen und meine mangelnde Übung in solchen Angelegenheiten zu kommentieren. Regelmäßig verschwindet er mit einer Dame auf die Tanzfläche, doch er ist selten mehr als zehn Minuten fort, um nichts zu verpassen.
Schließlich beobachte ich, wie Theodora von Mühlen sich mit Katharina Mollock in eine Ecke des Saales zurückzieht. Santos stupst mich an.
„Das ist deine Chance, mein Freund. Weiter wird sie sich heute nicht mehr aus dem gesellschaftlichen Mittelpunkt fortbewegen."
Ich runzele die Stirn. „Aber ich kann doch nicht einfach in ein vertrautes Frauengespräch hineinplatzen und die Baroness in Beschlag nehmen. Wäre das nicht unverschämt gegenüber der frisch Verlobten?"
Santos schmunzelt. „Auf diese Weise schon. Du könntest die Situation jedoch auch nutzen, um der Verlobten zu ihrer Verlobung zu gratulieren. Dass ihre Freundin Theodora gerade dabeisteht, ist natürlich schade, aber wenn du dich schon einmal höflich gibst, könntest du sie auch in ein Gespräch verwickeln, während ich die reizende Katharina zum Tanzen auffordere."
Ein Grinsen schleicht sich auf mein Gesicht. „Du bist unmöglich, Santos. Was soll ich nur von dir halten?"
Santos zuckt mit den Schultern. „Du könntest mich zu deinem persönlichen Helden erklären und alles dafür tun, diese Gelegenheit nicht zu vermasseln. Denn schließlich hast du das eigentümliche Talent, jeden Menschen, mit dem du Konversation betreibst, gegen dich aufzubringen. Vermutlich wäre das bei Fräulein Theodora aufgrund meiner Bedenken gar nicht so verkehrt, doch du bist mein Freund. Und in erster Linie ist es meine Pflicht, dich in deinen Fehlern zu unterstützen und sie dir nicht auszureden."
Ich schüttele den Kopf über ihn.
„Was täte ich nur ohne dich. Wollen wir es wagen, bevor sich diese günstige Konstellation verändert?" Mein Freund lächelt. „Nichts lieber als das."
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Die Fürstin
Historical FictionEine berühmte Hofdame. Ein einflussreicher, junger Fürst. Ein Konflikt zwischen Liebe und politischem Streit. Theodora von Mühlen zählt als eine der einflussreichsten Personen am calischen Hof und stützt als Hofdame das Prestige der Königsfamilie. F...