Kapitel 22 - Theodora

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Ich begutachte zufrieden unser Werk. Bunte Decken und Kissen bilden eine gemütliche Oase inmitten eines durch Sträucher abgegrenzten Wiesenstückes. Auf kleinen Tischen stehen Obstschalen und Konfekt und Fürst von Kroesus öffnet gerade den Champagner, den er anschließend zum Kühlen in Eis stellt. Das schönste aber sind die Kerzen. Ein bunter Mix aus großen, prächtigen Leuchtern und kleinen robusten Laternen erleuchtet den Picknickplatz und spendet ein warmes Licht in der Dämmerung.
„Ich würde sagen, wir sind fertig", sage ich leise in die wohltuende Stille des Abends hinein. „Es ist wunderschön geworden", stimmt der Fürst mir zu. „Sie haben wirklich ein Talent dafür."
Ich schüttele den Kopf. „Wohl kaum, Durchlaucht. Ich habe Übung darin, nichts weiter."
Wir hören Stimmen näherkommen. „Ich würde sagen, das sind sie", meint er. „Wir sollten uns dann wohl unauffällig zurückziehen." Fürst von Kroesus bietet mir seinen Arm an und ohne groß darüber nachzudenken, hake ich mich ein.
Wir schlagen einen der schmalen Parkwege ein und laufen ein paar Minuten schweigend, ehe ich zugebe: „Ich weiß wirklich nicht, wie Sie es geschafft haben, dass Baron von Lelac ein romantisches Picknick für Katharina organisiert, aber ich möchte Ihnen wirklich dafür danken. Es bedeutet mir viel, dass die beiden die Chance haben, zueinander zu finden." Fürst von Kroesus lächelt. „Ich würde Ihnen ja erzählen, was ich ihm gesagt habe, aber..." „Aber?", hake ich nach.
Er schmunzelt. „Vielleicht müssten Sie mir im Gegenzug verraten, wie Sie mir damals die Audienz beim König verschafft haben. Es fällt mir schwer, das zuzugeben, aber ich zerbreche mir bisweilen immer noch den Kopf darüber."
Ich muss lachen und spiele einen Moment lang mit dem Gedanken, es einfach weiterhin für mich zu behalten, um ihn zu ärgern, aber dafür bin ich einfach zu neugierig, was er Lelac gesagt hat.
„Im Prinzip habe ich den König damals an seine Pflicht mir gegenüber erinnert." „Ihnen gegenüber?", fragt der Fürst verwirrt. Ich zucke mit den Schultern. „Ja. Das Königshaus trägt die Verantwortung für mich, wie ein Vater für seine Tochter. Sie haben mir an dem Tag zuvor mehr als geholfen, Sie haben mich und die Tiere gerettet. Damit stand ich in Ihrer Schuld. Und meine Schuld ist die Schuld des Königs."
Er sinnt einen Augenblick darüber nach. Dann meint er: „Sie standen nie bei mir in Schuld, Theodora. Ich bin der Meinung, dass man nicht handeln soll, um alles zu vergelten. Sondern man soll handeln, weil es ein Bedürfnis ist, anderen zu helfen. Ich habe heute mit Lelac gesprochen, weil ich zunächst Ihnen eine Freude machen wollte. Aber im Gespräch habe ich gemerkt, dass ich begonnen habe, ihm helfen zu wollen. Er liebt Katharina, aber er ist unsicher, weil er sich geringschätzt. Und ich habe ihm gesagt, dass Frauen selbst wissen, was sie wollen und er sich nicht vorwerfen soll, ihr irgendwelche Chancen genommen zu haben. Und dass die Liebe einer Frau mehr wert ist, als Reichtum und Einfluss."
Ich bin überrascht von seinen Worten. „Ich hätte Sie nicht für so einfühlsam gehalten. Glauben Sie das wirklich?" „Was genau?" „Das mit der Liebe der Frau. Viele Männer sehen uns nur als Zierrat, als Accessoire, das man zusammen mit Uniform und Orden zur Schau stellen muss. Wir gehören eben dazu zum Lebensplan. Wir sind eben notwendig für den Fortbestand der Familie. Aber ich bezweifle, dass den meisten Männern unsere Zuneigung etwas bedeutet."
„Dann gehöre ich nicht zu den meisten", entgegnet er. „Ich frage mich, was es für einen Mann schöneres geben kann, als von der Frau erhört zu werden, die er liebt."
Irgendwie fühle ich mich bei seinen Worten ganz zittrig. „Es klingt als hätten Sie sich darüber einige Gedanken gemacht. Haben Sie denn jemanden, von dem Sie gerne erhört werden würden? Ist sie aus Kroesus?"
Er schweigt einen Moment, dann sagt er leise: „Manchmal ist man blind für das Offensichtliche."
Ich weiß nicht genau, was er damit meint. Verlegen blicke ich mich um. Es ist inzwischen richtig dunkel geworden und ich weiß einen Moment lang nicht, wo ich bin. Dann erkenne ich einen hinteren Teil des Schlossparks. Ich war so in das Gespräch vertieft, dass ich gar nicht darauf geachtet habe, wo Fürst von Kroesus mich hinführt.
„Was machen wir hier eigentlich?", frage ich nun etwas nervös. Das verschmitzte Lächeln, das ich von ihm kenne, tritt auf sein Gesicht. „Ich habe mir gedacht, Sie schulden mir vielleicht ein Dankeschön. Ich habe etwas Kleines vorbereitet und bitte Sie um ein wenig Ihrer Zeit. Ich hätte heute Abend gern Gesellschaft."
Ich bleibe zögerlich stehen. „Ist alles in Ordnung?", erkundigt er sich besorgt. „Ich weiß nicht", erwidere ich zögerlich. „Ich bin mir nicht sicher, ob es eine gute Idee ist, im Dunkeln allein mit einem Mann ins Ungewisse zu laufen. Obwohl ich Sie schon etwas besser kenne..."
Meine Unsicherheit ist mir peinlich, andererseits weiß ich nicht, worauf ich mich hier einlasse. Ich rechne damit, dass der Fürst mir meine Bedenken übelnimmt, doch er reagiert genau gegenteilig und zeigt Verständnis.
„Ich möchte Sie zu nichts überreden, womit Sie sich nicht wohl fühlen. Und ich hoffe, dass Sie wissen, dass ich trotz meiner Eigenheiten ein anständiger Mensch bin und dass Sie mir vertrauen können."
„Das tue ich", versichere ich ihm unumwunden und es stimmt. Bei ihm weiß ich nie, worauf ich mich gefasst machen muss, aber ich fühle mich aus irgendeinem Grund sicher in seiner Gegenwart.
„Ich habe vor ein paar Tagen den großen See mit dem Steg entdeckt. Und ich habe mir für heute Abend ein Boot besorgt, um ein wenig zu rudern. Ich würde es genießen, mich dabei mit Ihnen zu unterhalten. Aber wenn Sie nicht möchten, bin ich Ihnen nicht böse und begleite Sie gerne zurück zum Palast."
„Nein, das klingt schön", versichere ich ihm und meine es auch so. Ich bin gerne am und auf dem Wasser und wenn ich ihm so einen Gefallen tun kann, dann geht es mir gut dabei.
„Ich wusste nicht, dass Rudern unter dem Adel verbreitet ist." Er lächelt und wir setzen uns wieder in Bewegung. „Ist es nicht. Aber mein Vater hat mir beigebracht, dass man die Menschen am besten kennenlernt, wenn man tut, was sie tun. Als ich Fürst geworden bin, habe ich deshalb angefangen, Seite an Seite mit den Menschen in Kroesus zu arbeiten. Wir haben viel Wasser auf unserem Land und über das Fischen habe ich das Rudern kennengelernt. Es hilft mir, den Kopf freizubekommen."
Wir erreichen das Ufer des Sees und den Steg, an dessen Ende das Boot befestigt ist. Er hilft mir hinein, bindet es los und steigt selbst ein. Geschickt stößt er sich vom Steg ab und rudert mit ein paar kräftigen Zügen auf das dunkle Wasser hinaus.
„Wie ist es eigentlich, in so jungen Jahren Fürst zu werden? War es schwer für Sie?" Er überlegt einen Augenblick.
„Ja und nein. Die Bevölkerung hat es mir leicht gemacht. Dadurch, dass wir in Kroesus ein kleineres, unabhängiges Gebiet sind, herrscht ein großer Respekt zwischen den Menschen. Ich hatte viel Unterstützung und die Menschen sind geduldig gewesen, bis ich den nötigen Überblick gewonnen habe. Ich liebe das Fürstentum und ich liebe die Menschen darin und ich fühle mich jeden Tag glücklich, für sie da sein zu dürfen. Aber ich hätte diese Verantwortung lieber später als früher übernommen, denn das würde bedeuten, dass mein Vater noch lebt."
Ich blicke in die Dunkelheit, auf einmal melancholisch gestimmt. „Das kann ich gut verstehen", sage ich. „Manchmal bereut man Dinge, die man nicht in der Hand hatte."
Ich merke, wie er mich betrachtet. Schließlich fragt er: „Was ist es bei Ihnen?"
Ich seufze. „Das alles hier. Ich hatte nie den Wunsch, Hofdame zu werden. Schon gar nicht dieses Sinnbild für Reichtum und Prestige, diese öffentliche Person, die ich bin. In Mühlen war ich ein Wildfang. Frei und unabhängig und nicht auf die Mächtigen angewiesen. Aber als ich an den Hof kam, habe ich mich gebildet, mich hervorgetan, danach gestrebt, in allem das leuchtende Vorbild zu sein. Damit ich mich unentbehrlich mache und der König mich nicht so schnell verheiratet."
„Warum wollen Sie nicht heiraten?" Ich weiß nicht, ob ich es mir einbilde, doch seine Stimme klingt etwas unruhig, als er diese Frage stellt.
„Es ist nicht so, dass ich nie heiraten will", beginne ich, mich zu erklären. „Aber als Hofdame habe ich kaum die große Wahl, was meinen Zukünftigen angeht. Ich weiß, welche Herren der König als würdig erachtet und mit keinem von ihnen möchte ich den Rest meines Lebens verbringen. Aber vor allem brauche ich die finanzielle Unterstützung, die das Königshaus meiner Familie zahlt."
Er hört mir aufmerksam zu. „Wenn es Ihrer Familie an finanziellen Einkünften mangelt, dann würde ein zukünftiger Ehemann sicher die Unterstützung leisten, die jetzt das Königshaus erbringt", bemerkt er ernsthaft. Ich beiße mir auf die Lippe. „So einfach ist es nicht." „Warum nicht?"
Ich blicke beiseite, aufs Wasser. „Die wenigen Menschen, die davon wissen, verspotten mich dafür. Es macht mich verwundbar. Katharina ist die einzige, die mich nie verurteilt hat, vor der ich mich nie rechtfertigen musste."
„Ich könnte Sie für nichts verspotten, ich hoffe, das wissen Sie. Aber ich werde nicht darauf bestehen, dass Sie mir etwas erzählen, das Sie lieber für sich behalten wollen."
Wieder spüre ich seinen Blick auf mir. Und ich sehne mich danach, es ihm zu erzählen. Ich habe hier, im Dunkeln, das Gefühl, ihm nahe zu sein. Als würde er mich komplett verstehen. Aus irgendeinem Grund weiß ich sicher, dass ich mich vor ihm verwundbar machen kann und er es nicht gegen mich verwenden wird.
„Meinen Eltern geht es gut", beginne ich, „sie haben mehr, als sie brauchen und weitaus  mehr, als ihnen zusteht. Um sie sorge ich mich nicht, ich habe kein gutes Verhältnis zu ihnen. Ich mache mir Sorgen um meine jüngere Schwester Kassandra. Sie..." Mir treten Tränen in die Augen und ich schniefe, um meine Nase am Laufen zu hindern.
„Kassandra ist mit einer Behinderung zur Welt gekommen. Sie kann nicht laufen. Und damit ist sie meinen Eltern egal. Sie ist so eine schöne und kluge und liebenswerte Frau, aber sie braucht nun mal Unterstützung und Zuwendung, ein wenig mehr als andere Menschen, die hingehen können, wohin sie wollen. Und da meine Eltern ihr jede finanzielle Zuwendung verweigern, muss ich dafür sorgen, dass sie hat, was sie braucht. Sie ist der wichtigste Mensch in meinem Leben und ich wünschte, das würden auch andere so sehen. Aber die Leute beschimpfen sie als Krüppel und Nichtsnutz und sehen mich an, als wäre etwas falsch mit mir, wenn sie es erfahren. Als wäre ich irgendwie ansteckend. Auf jeden Fall kenne ich keinen potentiellen zukünftigen Ehemann, der nur ein Geldstück für sie aufwenden würde."
Meine Wangen sind feucht und ich will mir gerade mit dem Ärmel übers Gesicht fahren, da reicht mir der Fürst ein Taschentuch. Ich trockne mir die Augen und putze die Nase, dann sehe ich ihn unsicher an.
„Was sagen Sie?" Er holt die Ruder ein, sodass wir einfach auf dem Wasser treiben.
„Ich sage, Baroness Theodora, dass es keine Schande ist, wunderbare Menschen bedingungslos zu lieben. Und es ist noch weniger eine Schande, für sie Opfer zu bringen. Ich kenne nicht viele Menschen, die wahrhafte Größe und Stärke besitzen, aber Sie gehören dazu." Ein Stein fällt mir vom Herzen. Erst jetzt bemerke ich, wie wichtig mir seine Meinung ist und wie viel es mir bedeutet, dass er gut von mir denkt.
Ich neige den Kopf. „Darf ich Sie etwas fragen?" „Natürlich, immer", antwortet er unumwunden. „Warum schenken Sie mir so viel Aufmerksamkeit? Irgendwie sind Sie immer da, bringen mir etwas zu Trinken oder unterhalten sich mit mir, hören mir zu und muntern mich auf, fahren sogar mit mir Boot."
Ich erwarte, dass er bei dieser direkten Frage herumdruckst, doch er antwortet ohne zu zögern: „Weil ich Sie schätze. Sie sind intelligent und authentisch, Sie wissen, was Sie wollen, Sie haben keine Scheu, ehrlich zu sein und Sie sind ein interessanter und undurchschaubarer Charakter. Ich genieße unsere Gespräche. Ich genieße, dass Sie mich überraschen können mit dem, was Sie tun oder sagen. Und Sie inspirieren mich, einen neuen Blickwinkel einzunehmen. Ich lerne viel von Ihnen, Theodora, ich hoffe, das ist Ihnen bewusst."
Ich räuspere mich verlegen. „So ausführlich hatte ich das gar nicht erwartet. Ich wusste nicht, dass es über mich so viel Positives zu sagen gibt." Er schmunzelt. „Ich könnte noch weitaus mehr über Sie sagen, aber ich fürchte, das würde Sie verlegen machen. Und ich glaube, dass es klug ist, wenn ich Sie nicht frage, was Sie von mir halten."
Meine Mundwinkel verziehen sich zu einem Lächeln. „Jetzt tun Sie nicht so, als würde es Sie kümmern, was irgendjemand über Sie denkt. Sie besitzen ein Selbstbewusstsein, da können andere nur von träumen. Aber wenn es Sie beruhigt, ich denke gar nicht so schlecht von Ihnen."
„Oh ja, das beruhigt mich sehr", entgegnet er ironisch und ich muss lachen. Schließlich füge ich hinzu: „Tatsächlich bin ich der Meinung, dass die Vorurteile über Sie Ihnen Unrecht tun, Durchlaucht. Sie sind vielleicht etwas eigenwillig, aber Sie sind ein besserer Mensch, als die meisten Leute hier."
Fürst von Kroesus greift zu den Rudern. „Nun, Baroness Theodora, ich glaube, mit diesem Urteil kann ich leben."

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