Kapitel 42 - Theodora

578 61 9
                                    

Kroesus hat ein wunderschönes Anwesen. Den meisten Adligen wäre die Fassade vermutlich zu schlicht und der Eindruck zu ländlich, aber mir gefällt dieses Gebäude aus hellem Stein, das weder bildhauerische Elemente noch metallene Beschläge und Verzierungen besitzt. Dafür sind die Fenster groß, mit eleganten weißen Fensterläden und der reiche Garten, der direkt vor der Haustür beginnt, macht dieses Heim zu etwas Besonderem.
Selbstbewusster, als ich mich fühle, gehe ich auf die Eingangstür zu und betätige den Türklopfer aus Messing. Ich höre das Klopfen im Haus nachhallen und es verstreicht nur ein Augenblick, ehe die Tür geöffnet wird und ein Butler im mittleren Alter mich freundlich begrüßt.
„Willkommen auf dem Anwesen von Kroesus, Baroness. Wenn ich Sie hereinbitten darf..."
Er tritt beiseite, sodass ich die große Eingangshalle betreten kann. Ich wundere mich nicht darüber, dass der Butler weiß, wer ich bin. Es ist die Aufgabe von gutem Personal, so etwas zu wissen, nicht nur, um den Gast angemessen begrüßen zu können, sondern auch, um dem Hausherrn dessen Identität mitteilen zu können. Und ich kann mir vorstellen, dass Alfons vor allem auf das zweite Wert legt.
„Darf ich Ihren Mantel abnehmen, Baroness?", fragt der Butler höflich, aber ich schüttele den Kopf. „Danke, aber ich habe nicht vor, lange zu bleiben. Ich weiß nicht, ob seine Durchlaucht mich sehen möchte."
Der Bedienstete verzieht keine Miene. Stattdessen erwidert er: „Seine Durchlaucht pflegt die Gewohnheit, sich für jeden seiner Gäste mindestens zehn Minuten Zeit zu nehmen. Oder er empfängt sie überhaupt nicht. Aber das halte ich bei Ihnen für ausgeschlossen. Also bitte, erlauben Sie mir, Ihnen den Mantel abzunehmen."
Ich seufze und gebe nach. Erst jetzt nehme ich die Halle überhaupt erst richtig wahr. Der Boden besteht ungewöhnlicherweise aus einheitlichem grauen Marmor und nicht, wie in vielen Häusern, aus schwarz-weißem Schachbrettmuster. Er spiegelt in gewisser Weise die Decke wider, die einen bedrohlichen Gewitterhimmel zeigt. Über die gesamte Eingangshalle verteilt stehen gepolsterte Sitzmöglichkeiten mit kleinen Beistelltischen, deren Bezüge sich in Wandbehängen oder den Farben der Gemälde widerspiegeln, die eine mystische Jagdszene mit Einhörnern und einem dreiköpfigen Hund zeigen. Seltsamerweise finde ich die Bilder nicht geschmacklos, sondern sie faszinieren mich.
„Sehen Sie sich ruhig um und machen Sie es sich bequem. Ich werde seine Durchlaucht unterrichten, dass Sie warten. Kann ich Ihnen darüber hinaus eine Erfrischung kommen lassen?"
Ich schüttele den Kopf. „Nein, vielen Dank. Ich hatte keine allzu lange Anreise."
Der Butler neigt zustimmend den Kopf und entfernt sich dann. Und urplötzlich kommt die Aufregung zurück. Habe ich das auch wirklich gut durchdacht? Ich habe mir nicht viele Gedanken darüber gemacht, was ich sagen werde. Nur, dass ich zumindest irgendetwas zu ihm sagen muss. Ich hatte halb erwartet, dass man mich nicht empfangen würde, weil er die Anweisung dazu gegeben hat oder dass die Begrüßung durch die Dienerschaft äußerst unfreundlich ausfallen würde, da ich ihrem Herrn das Herz gebrochen habe. Aber hier stehe ich, in einem Anwesen, das meines hätte werden können, und werde willkommen geheißen, als wäre ich der hochrangigste Gast auf Erden. Es zeigt mir wieder einmal, was für ein Mensch Alfons ist. Sein Wesen spiegelt sich in der Gastfreundschaft seiner Untergebenen und er öffnet sein Haus für jeden, der ein Anliegen hat.
Ich versuche, meine Gedanken zu beruhigen und mich auf eines der Gemälde zu konzentrieren, aber meine Bemühungen werden jäh zunichte gemacht, als aus einem angrenzenden Raum, dessen Tür nur angelehnt ist, ein fröhliches Kichern ertönt, das mir vage bekannt vorkommt. Es folgen ein paar leise Worte, die ich nicht verstehe und ein erneutes Kichern, das mein Herz schneller schlagen lässt. Das kann doch nicht...
Vorsichtig schleiche ich mich an die Tür und blinzele durch den Türspalt. Fast erwarte ich, dass die Möbel so ungünstig platziert sind, dass ich überhaupt niemanden sehen kann, aber tatsächlich wird mein Blick direkt auf ein großes, bequem aussehendes Sofa gelenkt, auf dem eine Frau sitzt, die lächelnd eine Tasse Tee entgegennimmt, die ihr von einer Bediensteten gereicht wird. Die Frau hat meine dunklen Haare und meine Augen.
Ich starre meine Schwester an, wie sie gesund und munter mit der Bediensteten quatscht. Ich habe sie lange nicht mehr so glücklich gesehen. Auch während unseres Besuches bei ihr schwebte immer die Ahnung mit, dass das nicht für immer sein kann. Aber ich kann sehen, dass sie sich hier wohlfühlt, dass sie unbeschwert ist. Und das hat rein gar nichts mit mir zu tun.
„Ich hätte dir noch geschrieben, dass Kassandra bei mir ist", ertönt eine vertraute Stimme hinter mir und ich schrecke zusammen und trete ein wenig vom Türspalt zurück, ehe ich mich umdrehe und in Alfons' Gesicht blicke. Er bemüht sich um einen neutralen Gesichtsausdruck, aber ich sehe ihm den Stress der vergangenen Tage an, der sich in seinen Augenschatten spiegelt.
„Ich habe den Brief sogar schon fertig, aber ich konnte ihn noch nicht abschicken. Es hätte sich für mich so angefühlt, als würde ich dich ködern, mich zu besuchen. Kassandra meinte zwar, das sei Nonsens, aber sie hat wohl gemerkt, dass sie in dieser Angelegenheit keine Mitsprache hat. Und sie hat sich geweigert, selbst zu schreiben. Das sei eine Sache zwischen uns, hat sie gesagt."
Ich kann ihn nur stumm anstarren. Ich weiß noch nicht, was es bedeutet, dass meine Schwester hier ist, bei dem Mann, den ich liebe. Aber ich habe jede Absicht, es herauszufinden.
„Es gibt hier im Erdgeschoss einen kleinen Salon, da können wir uns unterhalten. Ist dir das recht?"
Ich nicke und finde meine Stimme wieder. „Ja, ist es." Er bedeutet mir, ihm zu folgen und wir gehen einen hellen Flur entlang, fast bis ans Ende, ehe er eine Tür öffnet und mich zuerst eintreten lässt. Ein kleiner runder Tisch mit einem bunten Blumenensemble darauf bildet das Herzstück des Raumes. Ansonsten entdecke ich nur noch einen Teewagen und Regale voller Bücher, die den ganzen Raum umspannen.
„Setz dich. Willst du etwas trinken?" Ich schüttele den Kopf. „Nein, danke. Ich brauche nichts."
Alfons atmet tief durch. „In Ordnung. Dann schätze ich, können wir jetzt zur Sache kommen. Warum bist du hier, Theodora?"
Sein Blick fixiert mich mit einer Mischung aus Sehnsucht und Schmerz. Und obwohl ich ihm diese Frage beantworten will, gibt es etwas, das ich vorher wissen muss.
„Warum ist Kassandra bei dir?", frage ich leise. Er senkt den Kopf und starrt auf den Boden. Ich erwarte, dass er darauf besteht, dass ich ihm seine Frage zuerst beantworte, da sie ihm ebenso brennende Unruhe verschaffen muss, wie meine Frage mir, aber er antwortet ohne zu zögern und geradeheraus: „Weil ich ein Narr bin, der sich sein Leben selbst zur Hölle machen will. Immer, wenn ich sie ansehe, werde ich an dich erinnert und an das Leben, das wir gemeinsam hätten haben können. Aber ich konnte sie nicht einfach dort lassen, in diesem kleinen Haus, ohne wirkliche Hilfe, vernachlässigt und unglücklich. Ich weiß, wie viel sie dir bedeutet und ich habe dir versprochen, für sie zu sorgen. Du hast dieses Versprechen vermutlich an unsere Beziehung gekoppelt, aber das war für mich nie der Fall. Ich fühle mich für Kassandra verantwortlich. Ich hatte nie Geschwister und hätte nicht gedacht, dass ich jemals jemandem gegenüber diese Pflicht verspüren würde, die ich Kassandra gegenüber habe. Aber du hast sie mir auf unserer Reise zur Familie gemacht. Und ich bin mir sicher, dass dein Verlobter nicht das gleiche für sie tun würde, also wird sie bei mir wohnen. Auch auf die Gefahr hin, dass das die Situation zwischen uns schmerzhaft und kompliziert macht."
Ich starre ihn an. Ich kann nicht fassen, dass Alfons seine eigenen Gefühle zurückstellt, um Kassandra, der er in keiner Weise verpflichtet ist, ein gutes Leben zu ermöglichen. Ich habe gesehen, wie glücklich sie hier ist und ich weiß, dass Alfons auch alles für sie tun wird, damit das so bleibt. Ohne, dass es ihm selber nützt. Ohne, dass er je erwartet, etwas dafür zu bekommen.
„Du tust das für mich? Obwohl ich dich so sehr verletzt habe?", frage ich nach. Er seufzt. „Ich würde alles tun, um dich glücklich zu sehen. Und ich koppele es nicht an Bedingungen, dass Kassandra hier wohnt. Das werde ich auch niemals. Obwohl ich verzweifelt nach einem Weg suche, noch eine Chance zu haben, aber es gibt keinen. Ich wäre bereit, so ziemlich alles dafür zu geben, aber ich könnte dich niemals in einen Zwiespalt bringen oder dir die Entscheidung über deine Zukunft vorwerfen."
Tränen treten mir in die Augen. Er sieht so gebrochen aus, wie ich mich fühle. Und doch sehe ich immer noch seinen Stolz in ihm.
„Ich bin so dumm gewesen, Alfons", sage ich leise. „Ich weiß nicht, warum ich mich für eine Zukunft entschieden habe, die mir Angst macht, die ich nicht will und die mich nicht glücklich machen kann. Ich habe erkannt, dass nur ich etwas daran ändern kann. Und ja, ich würde auch alles tun, um noch eine Chance mit dir zu bekommen. Und im Gegensatz zu dir habe ich Möglichkeiten, diese Chance zu schaffen. Ich habe meine Stellung im Palast aufgegeben, meinen Rang und alles, was mich besonders und begehrenswert gemacht hat, damit..." Ich schlucke. „Damit ich nicht mehr unter der Kontrolle des Königs stehe. Damit ich die Verlobung lösen kann." Ein Schluchzen entringt sich meiner Kehle. „Damit auch nur die kleinste Chance besteht, dass du mir verzeihst und mich zu deiner Frau machst."
Mir ist bewusst, wie verzweifelt ich klinge. Wie wenig ich ihm jetzt noch zu bieten habe.
„Und doch bin ich hier ohne Erwartungen. Ich weiß, dass ich dir und Kroesus nichts mehr bieten kann. Aber ich werde keine weiteren Missverständnisse zwischen uns dulden. Ich liebe dich."
Er hebt seinen Kopf und sieht mir direkt in die Augen. Die Intensität seines Blickes raubt mir den Atem.
„Du bist nicht mehr verlobt", vergewissert er sich. Ich nicke. Einen Moment lang schauen wir uns beide einfach nur an, als könnten wir es nicht fassen, dass nun plötzlich keine Hürde, keine Lüge und keine Kraft der Welt zwischen uns steht, die uns daran hindert, zusammen zu sein. Dann streckt er seinen Arm nach mir aus und ich ergreife seine Hand, lasse mich an seine Brust in eine feste Umarmung ziehen. Ich spüre sein Herz wie wild schlagen, ich fühle mich sicher und beschützt und klammere mich nur noch fester an ihn, um ihn ja nie wieder zu verlieren.
„Ich kann dich heiraten", flüstert er ungläubig an meinem Ohr und ich muss lächeln.
„Ja, du kannst mich heiraten. Wenn du das noch willst. Denn du musst wissen, dass der König furchtbare Geschichten über mich verbreiten wird und ich in Verruf geraten werde. Und du wirst davon nicht verschont bleiben, wenn du mich heiratest."
Alfons lockert seine Umarmung und sieht mich lächelnd an. „Ich weiß nicht, ob es dir aufgefallen ist, aber mein Ruf war außerhalb von Kroesus noch nie der beste." Ein erleichtertes, befreiendes Kichern bricht aus mir heraus und Alfons fängt es auf, indem er sanft seine Lippen auf meine legt. Er hält mich fest und ich fühle mich endlich wieder zu Hause.

Die FürstinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt