Kaum stehe ich vor dem Studierzimmer des Königs, werde ich umgehend zu ihm vorgelassen. Er sitzt nicht wie sonst hinter seinem Schreibtisch, von wo aus er das Geschehen in einer angemessenen Distanz lenken kann, sondern empfängt mich bereits an der Tür. Meine Hände werden schwitzig und mein ungutes Gefühl verstärkt sich noch. Irgendetwas führt er im Schilde und das macht mich unsicher. Ich fühle mich nicht wohl, wenn ich nicht weiß, was vorgeht.
„Theodora." Der König mustert mich ruhig, seine tiefe Stimme ist gelassen und gibt mir keinen Anhaltspunkt über sein Vorhaben.
„Majestät", erwidere ich den Gruß vorsichtig. „Ich bin überrascht. Ich hoffe, Sie sind mir nicht böse, dass ich heute Morgen darauf gedrängt habe, den Fürsten zu empfangen. Ich weiß..." Er winkt ab. „Sie wissen einfach, was sich gehört. Liebe Baroness Theodora, Sie wissen, mit welcher Sorgfalt ich bemüht bin, das Ansehen aller Hofdamen zu fördern, gegenwärtig und über die Zeit bei Hofe hinaus. Sie sind ein Muster aller Tugenden, die eine Dame am königlichen Hof verkörpern soll und ich hoffe, Sie wissen, wie sehr Sie geschätzt werden. Wir profitieren von einander, im besten Sinne und Ihre kritische Art hat mich schon manches Mal zu meinem Vorteil entscheiden lassen. Ich weiß, dass ich Ihnen in vielerlei Hinsicht große Aufgaben anvertrauen kann, denn Sie haben mich nicht ein einziges Mal all die Jahre enttäuscht."
Ich nicke, unsicher, worauf er hinauswill. Es ist so gar nicht die Art des Königs, sich zu Schmeicheleien hinreißen zu lassen. Normalerweise verkörpert er eine fast kühle Strenge, die mir an ihm auch um einiges besser gefällt. Ich habe das Gefühl, als wäre er ein Wolf, der seine hilflose Beute umkreist und jeden Moment zuschnappen kann.
„Ich habe vor, Sie in eine wohlhabende und angemessene Ehe zu geben, wenn die Zeit dafür reif ist. Aber bis dahin möchte ich, dass Sie etwas für mich tun."
Mir wird flau im Magen. Ich lasse mich ungern für Vorhaben einspannen. So sehr ich mich auch für Politik und dergleichen interessiere, ich bin ungern der Spielball der reichen und mächtigen Herrenwelt. Ich weiß, dass König Ursus nicht mich als Person schätzt, sondern den Einfluss, den er durch mich hat.
Der König scheint zu merken, dass mir nicht ganz wohl ist, denn ein freundliches Lächeln tritt auf sein Gesicht und er deutet auf den Stuhl diesseits des Schreibtisches. „Warum setzen Sie sich nicht?" Ich lasse mich auf der Stuhlkante nieder, während er um den Schreibtisch herum geht und seine gewohnte Position einnimmt.
„Wie Sie sich vielleicht denken, drehen sich meine Gedanken derzeit erheblich um die Calia-Kroesus-Frage. Fürst von Kroesus ist ein junger Mann mit einem großen Vermögen", kommt er endlich zur Sache. „Wie Sie zweifellos wissen, ist sein Fürstentum Teil unseres Landes, jedoch insofern unabhängig, dass die dort lebenden Bürger nur seinem Befehl unterworfen sind. Kroesus besitzt zudem ein eigenes Gericht und oftmals werden die Gesetze dort weit milder ausgelegt, als es am calischen Gerichtshof der Fall wäre. Das sorgt für Zwist in der Bevölkerung – verständlicherweise. Zwar gilt das calische Recht auch auf seinem Grund und Boden, doch sobald es um seine Ländereien, seine Untertanen und seine Handelsbeziehungen geht, genießt er ein uneingeschränktes Veto-Recht, was es recht mühselig macht, mit ihm zu verhandeln. Ich habe das Ziel, unser Verhältnis in Zukunft brüderlicher zu gestalten, denn seine Ländereien können nicht ohne unsere und wir können nicht ohne ihn."
Er schweigt einen Moment und ich runzele die Stirn. „Ich verstehe nicht, was ich damit zu tun habe", gebe ich ehrlich zu. Was er mir hier erzählt, ist mir nicht neu. Doch dass ich in irgendeiner Weise über solche Dinge informiert werde, das ist sehr wohl neu. Und es lässt mich vermuten, dass er einen konkreten Plan verfolgt.
Der König neigt den Kopf zur Seite und mustert mich. „Fürst von Kroesus scheint recht eingenommen von Ihnen zu sein. Sosehr er die vergangenen Stunden auch Unruhe gestiftet haben mag, Ihnen gegenüber ist er ausnahmslos freundlich gewesen." Mein ungutes Gefühl nimmt zu.
„Majestät, ich möchte Ihrer Auffassung nicht widersprechen, aber ich wage zu bezweifeln, dass ich irgendeinen Einfluss auf den Fürsten haben könnte. Schon gar nicht in politischen und gesellschaftlichen Fragestellungen. Vielleicht habe ich ihm bisher einfach keinen Anlass gegeben, schlecht von mir zu denken. Unser Zusammentreffen war rein zufällig und womöglich habe ich seine Freundlichkeit nur dem Umstand zu verdanken, dass er mich nicht sofort mit der Königsfamilie in Verbindung gebracht hat", rede ich mich um Kopf und Kragen. Ich glaube ja selber nicht, was ich da sage. Tatsächlich habe ich den Eindruck, als würde Fürst von Kroesus bewusst immer wieder meine Nähe suchen. Und ich habe keine Ahnung, warum das so ist.
König Ursus tippt sich mit dem Zeigefinger nachdenklich an die Lippen. „Aber sehen Sie, Fräulein Theodora", setzt er neu an, „damit haben Sie mehr erreicht als der Rest von uns." Ein Lächeln schleicht sich auf seine Lippen und erreicht sogar seine Augen. Es suggeriert mir, dass er mehr weiß als ich, aber ich verwerfe den Gedanken wieder. Die beiden Herren haben sehr viel Wichtigeres zu besprechen als meine Person und ich bezweifle, dass Fürst von Kroesus in irgendeiner Weise dem König gegenüber Andeutungen machen würde.
Ich möchte ihm erneut widersprechen, aber er lässt mich nicht zu Wort kommen. „Hören Sie, ich halte viel von Ihnen. Und ich weiß, dass Sie jetzt befürchten, ich würde Sie in diesen Konflikt mit hineinziehen. Aber Ihre Bedenken sind unbegründet, Edle Dame. Ich verlange in keinem Fall, dass Sie ihn umstimmen, mit ihm diskutieren und sich in die Angelegenheiten des Reiches einmischen. Das läge mir fern, mehr als alles andere. Das Einzige, was ich Sie bitte zu tun, ist, seine Gesellschaft zu suchen, wenn er es wünscht. Sie wissen gar nicht, wie sich der Wind drehen kann, wenn ein Verhandlungspartner mit guter Laune an den Konferenztisch tritt. Verbringen Sie etwas Zeit mit ihm. Machen Sie ihm die Zeit bei Hofe angenehm. Lernen und profitieren Sie selbst von einem intelligenten und gleichsam komplizierten Gesprächspartner. Und stehen Sie mit all Ihrer Überzeugung zur Krone, so wie Sie es immer tun. Ich hege die erklärte Hoffnung, dass sein Geist dadurch aufgeschlossener werden könnte."
Ich beiße mir auf die Lippen, unzufrieden mit diesem ganzen Ansinnen. Fürst von Kroesus ist nie unfreundlich zu mir gewesen, im Gegenteil. Wie der König festgestellt hat, scheine ich eine der wenigen, wenn nicht die einzige Person zu sein, die er nicht unfreundlich behandelt. Und doch ist da etwas in seiner Präsenz, das mich beklommen macht. Vielleicht die Tatsache, dass er keinen guten Ruf genießt. Oder dass ich seine Absichten nicht kenne. Womöglich, dass sein Fürstentum schon fast wie ein kleines eigenes Land ist. Dass er so mächtig ist. Oder schlicht, dass er sich vollständig von allen Männern unterscheidet, die ich kenne. Ich sträube mich dagegen, mehr Zeit als nötig mit ihm zu verbringen.
Und doch bin ich dem König verpflichtet. Solange er nichts verlangt, was meinen Ruf gefährdet – und das ist derzeit noch nicht der Fall – muss ich alles in meiner Macht Stehende tun, um ihn zu unterstützen. Auch, wenn ich dadurch das Gefühl habe, unaufrichtig zu sein.
Ich seufze. „Ich tue, was ich kann, Majestät. Aber es liegt mir fern, Versprechungen zu machen." Ein Lächeln schleicht sich auf sein Gesicht, das dieses Mal nicht seine Augen erreicht. „Ich danke Ihnen, Edle Dame. Mehr verlange ich nicht."
***
Ich finde Katharina im Laubengang im Schlosspark. Sie spaziert gemächlich, an ihrer Seite Ernestine, die sich von ihrer Zofe einen Sonnenschirm halten lässt. Als meine Freundin mich auf sich zu eilen sieht, winkt sie mir gut gelaunt zu.
„Wie war dein Gespräch mit dem König?", fragt sie neugierig. Ich seufze. „Ehrlich gesagt, weiß ich nicht so ganz, was ich davon halten soll. Erst hat er mir einen Haufen Komplimente gemacht, sodass ich mich schon äußerst unwohl gefühlt habe, dann hat er mir in Grundzügen den Einfluss von Fürst von Kroesus auf das Königreich dargelegt und dann hat er mich gebeten, dass ich mich um das Sorgenkind des Reiches ausgiebig kümmere, damit er bessere Laune an den Verhandlungstisch mitbringt."
Katharina runzelt die Stirn. „Wieso denkt er, dass du so viel Einfluss auf den Fürsten hast? Es ist allseits bekannt, dass er sich von niemandem etwas vorschreiben lässt oder in irgendeiner Weise manipulierbar ist."
Ich starre unglücklich zu Boden. „Du hältst es also für Manipulation, wenn ich tue, was der König verlangt." Katharina verzieht mitleidig das Gesicht. „So habe ich das nicht gemeint. Und ich bin sicher, du würdest ihn nicht absichtlich irgendwie beeinflussen. Wie gesagt glaube ich kaum, dass du das könntest. Aber ich frage mich natürlich, warum König Ursus denkt, du könntest es. Wenn er dir zutraut, dass du Kroesus' Laune am Verhandlungstisch beeinflusst, dann solltest du dich fragen, warum er das glaubt und ob du vielleicht wirklich die Macht hast, etwas in ihm zu verändern."
„Du denkst also, dass der König mit unlauteren Mitteln kämpfen will und dass ich aus irgendeinem Grund so ein Mittel für ihn bin?", fasse ich ihr Gesagtes in einer Frage zusammen. Bevor sie mir antworten kann, meint Ernestine: „Seine Majestät führt sein Reich sehr gut. Und ich glaube, dass er das Beste für Kroesus im Sinn hat. Wer sind wir, dass wir darüber urteilen? Wir sind der Königsfamilie zu Dank und Treue verpflichtet. Für mich steht außer Frage, auf welcher Seite du stehen solltest, Theodora."
Katharina wirft ihr einen bösen Blick zu, woraufhin diese sich um die nächste Ecke des Laubenganges zurückzieht. Meine beste Freundin ist die meiste Zeit ein Engel, doch wenn sie wütend wird, wollen die wenigsten in ihrer Nähe sein.
„Hör nicht auf Ernestine", fährt sie jetzt in bestimmtem Tonfall fort. „Sie ist noch nicht lange hier und hat einen Hang dazu, das Königshaus zu glorifizieren. Ich habe per se auch nichts gegen König Ursus, aber ich warne davor, ihm eigennützige Motive abzusprechen. Treue ist das eine, aber sich so offensichtlich instrumentalisieren zu lassen, das andere. Und man kann viel über Fürst von Kroesus sagen, aber nicht, dass er sein Fürstentum schlecht führt."
„Du scheinst ja ein Herz für den jungen Fürsten zu haben", necke ich sie und Katharina errötet leicht. „Unsinn. Ich bin glücklich verlobt und in Kürze verheiratet. Ich meine, er ist schon ein seltsamer Kauz, aber er hat mir keinen Grund gegeben, schlecht von ihm zu denken. Und dir auch nicht, wenn du mal ehrlich bist. Ich finde eindeutig nicht, dass du dich in diese Fehde hineinziehen lassen solltest."
Ich lasse ihre Worte in mir nachklingen und frage nach einer kurzen Pause: „Was soll ich deiner Meinung nach tun? Mich offiziell verweigern?" „Nein", lenkt meine Freundin umgehend ein, „das würde ich selbst dir nicht zutrauen. Aus meiner Sicht spricht nichts dagegen, dass du mit Kroesus Zeit verbringst, seine Nachmittage angenehm gestaltest und höfliche Konversation betreibst. Das ist, wenn man es genau nimmt, auch die Aufgabe von uns Hofdamen. Aber ich würde überall da eine Grenze ziehen, wo der König versucht, die Meinung des Fürsten über dich zu beeinflussen. Wenn du sprichst, dann sprich aus dir selbst. Wenn er deine Meinung hören will, dann sage deine Meinung und nicht die des Königs. Treue ja, aber nicht blinder Gehorsam. Wenn du das Gefühl hast, du gehst zu weit, wenn du empfindest, dass du unaufrichtig bist, dann ziehe eine Grenze. Wenn er dich direkt fragt, warum du dich mit ihm befasst, dann sage deutlich, dass der Königsfamilie daran gelegen ist, dass er sich bei Hofe wohlfühlt. Und du bist nicht verpflichtet, seiner Majestät zu berichten, was Kroesus gesagt oder angedeutet hat. Das wäre Bespitzelung."
Ich durchdenke ihren Ansatz und stimme innerlich zu. Ich fühle mich bei dem Gedanken, dass meine beste Freundin Bescheid weiß und mein Vorgehen abgesegnet hat, schon viel wohler.
Auf Katharinas Gesicht tritt ein verschmitztes Grinsen. „Und ich habe eine Idee, wie du sowohl den König als auch mich und vermutlich auch den Fürsten glücklich machen kannst." Ich ahne nichts Gutes und frage vorsichtig: „Und was ist das für eine Idee?"
Katharina reckt ihr Kinn nach vorne. „Du bittest Fürst von Kroesus, dich auf meinen Hochzeitsball zu begleiten." Mir klappt die Kinnlade hinunter. „Das kommt nicht infrage!"
Meine Freundin ergreift beschwichtigend meinen Arm. „Überlege doch mal: Der König achtet womöglich darauf, wie penibel du seine Anweisungen umsetzt. Wenn du nach wenigen Tagen mit dem Fürsten als Partner zu meinem Ball erscheinst, denkt er, du folgst seinen Instruktionen und lässt dich in Ruhe. Außerdem würdest du eine Basis schaffen, Kroesus besser kennenzulernen und es wäre nicht mehr so merkwürdig, wenn du tatsächlich weiterhin seine Bekanntschaft machst und dich ein bisschen um ihn kümmerst. Und schließlich könnte ich beruhigt meine Hochzeit feiern und mich um all die vielen Gäste kümmern, weil ich weiß, dass du dich mit jemandem gut unterhältst, dass jemand dafür sorgt, dass du ein Glas in der Hand hast, dass jemand dich auf die Tanzfläche und durch den vollen Saal führt und jemand mitbekommt, falls es dir unwohl wird."
Ich blicke sie gequält an, doch sie lässt nicht locker. „Bitte, tu es für mich. Als Hochzeitsgeschenk. Damit ich als Braut einen Punkt weniger auf meiner Liste habe, um den ich mir Sorgen machen muss."
Ich stoße frustriert die Luft aus. „Also gut. Ich frage ihn. Aber wenn er ablehnt, dann zwingst du mich nicht dazu, noch irgendjemanden sonst zu fragen, verstanden?"
Katharina strahlt über das ganze Gesicht und hüpft fast vor Freude. „Einverstanden und versprochen. Du wirst es nicht bereuen, glaub mir!" Ich wünschte, ich könnte mir da so sicher sein, wie sie.
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Die Fürstin
Historical FictionEine berühmte Hofdame. Ein einflussreicher, junger Fürst. Ein Konflikt zwischen Liebe und politischem Streit. Theodora von Mühlen zählt als eine der einflussreichsten Personen am calischen Hof und stützt als Hofdame das Prestige der Königsfamilie. F...