Kapitel 37 - Theodora

456 54 4
                                    

Katharina hält mich geduldig im Arm, während ich zitternd und schluchzend meinem Schmerz freien Lauf lasse. Damit habe ich nicht gerechnet. Warum war ich nur so blind? Im Prinzip ist es nur meinem eigenen Stolz zuzuschreiben, der hohen Meinung, die ich von mir selber besitze. Habe ich mich im Grunde nicht selbst damit gerühmt, dass Alfons von Kroesus mir quasi zu Füßen liegt, mir jeden Wunsch von den Lippen abliest, aufmerksam und zuvorkommend ist und mich für intelligent hält? Natürlich hat es mir geschmeichelt. Er, der als rücksichtslos und eigenwillig gilt, er schenkt mir seine Aufmerksamkeit. Der zweitmächtigste Mann des Landes. Was wäre das für ein Fang gewesen! Es wäre wahrlich alles übertroffen worden, wovon eine Hofdame träumen kann. Meine besondere Karriere, meine schillernde Rolle, die ich nie gewollt und doch irgendwann wie ganz selbstverständlich angenommen habe, hätte ihren krönenden Abschluss erhalten.
Komischerweise war diese innere Lähmung, die mich während meines Gesprächs mit dem König befallen hatte, verschwunden, sobald ich das Studierzimmer verließ. Ein winzig kleiner, dummer Funken Hoffnung war erneut in mir aufgeflammt und hatte mir die wahnwitzige Idee in den Kopf gesetzt, nach Alfons zu suchen und von ihm selbst zu hören, dass alles nur gespielt war. Meine Würde und mein Selbstvertrauen hatten sich zu diesem Zeitpunkt schon eindeutig verflüchtigt, aber in mir war der Gedanke aufgekeimt, dass es sich um ein riesengroßes, wie auch immer geartetes Missverständnis handeln musste.
Zwei Stunden später, nach einer vergeblichen Suche, musste ich mir eingestehen, dass Alfons offenbar nicht gefunden werden wollte. Als würde er ahnen, dass seine Scharade aufgeflogen war und ein heulendes, hysterisches Nervenbündel im Begriff war, ihn für ihre dummen Gefühle verantwortlich zu machen. Und das war wohl der Moment, in dem mich all meine Kraft, der letzte Rest meiner dummen Hoffnung, verlassen hatte.
Ich hatte mich in meine Gemächer geschleppt und war auf einem der wunderschönen Sofas zusammengesackt. Ich hatte Unmengen an Tränen vergossen, bis meine geistesgegenwärtige Zofe so freundlich gewesen war, Katharina Bescheid zu geben, die mich in den Arm genommen und eine Weile einfach festgehalten hatte, bis der Tränenstrom nachließ.
Und jetzt sitze ich hier, mit meiner besten Freundin, ein zusammengeknülltes Taschentuch in der Hand, und weiß nicht, wie es weitergehen soll.
„Ich fühle mich so furchtbar, dass ich dir auch noch eingeredet habe, er wäre an dir interessiert", murmelt Katharina betrübt, während sie meine Hand drückt. „Was bin ich eigentlich für eine Freundin? Ich hätte dir lieber anders helfen sollen, hätte mit dir all deine Werber durchgehen und dich beraten sollen, stattdessen habe ich dir den Floh mit dem Fürsten ins Ohr gesetzt. Und jetzt bist du einfach nur furchtbar unglücklich und ich fühle mich, als hätte ich komplett versagt."
Ich schüttele den Kopf. So elend ich mich auch fühle, das alles ist am wenigsten Katharina anzulasten. Im Gegenteil – trotz ihrer Hochzeit ist sie in der letzten Zeit immer für mich da gewesen. Ohne sie hätte ich schon lange nicht mehr gewusst, wo mir der Kopf steht.
„Es ist nicht deine Schuld", widerspreche ich deshalb. „Du hast doch auch nur gedeutet, was du gesehen hast. Und hast geglaubt, es sei echt. Genauso wie Kassandra. Genau wie ich." Mein Blick verschwimmt durch neu aufsteigende Tränen. Ich war immer der Meinung, dass Männer uns Frauen unterschätzen. Aber gerade sieht es so aus, als hätte ein einziger Herr uns alle drei an der Nase herumgeführt.
„Und dazu hattest du jedes Recht!", schnaubt Katharina. „Jeder hier hat es so gedeutet. Trotz allem, was über ihn gesagt wird, zählt er immer noch zur feinen Gesellschaft. Und in diesen Kreisen gelten Regeln. Keine falschen Signale senden. Keine Hoffnungen wecken, die nicht erfüllt werden. Zu seinem Wort stehen und zu dem, was deine Handlungen versprechen. Mit diesem schäbigen Verhalten hat er sich endgültig geoffenbart. Sein Charakter, der im Grunde immer schon bekannt war und den wir trotzdem nicht sehen wollten."
Mein Herz krampft sich zusammen. Es klingt so logisch, was Katharina sagt. Mein Kopf möchte ihr Recht geben, Fürst von Kroesus verfluchen und ihn als den Fiesling abstempeln, der er ist. Aber mein Herz weigert sich, so schlecht von ihm zu denken. Da war eine Aufrichtigkeit in der Weise, wie er mit Kassandra umgegangen ist. Eine Zärtlichkeit mir gegenüber. Er hat mir ein Verständnis entgegengebracht wie niemand sonst. Meine Güte, ich war überzeugt, dass er der Mann meines Lebens ist! Ich kann nicht glauben, dass ich mich so in ihm getäuscht habe. Und doch spricht alles dafür. Sein Ruf. Die Argumente des Königs. Die Tatsache, dass er nicht um mich geworben hat. Der Fakt, dass er seit unserer Ankunft hier wie vom Erdboden verschluckt ist. Es kommt einfach zu viel zusammen.
Katharina setzt eine entschlossene Miene auf. „Genug jetzt von ihm. Es gibt wichtigere Dinge. Deine Zukunft zum Beispiel. Und es kommt überhaupt nicht infrage, dass er dir auch noch das versaut! Ich habe ein wenig über diesen Grafen von Guondal in Erfahrung gebracht."
Graf von Guondal ist der Werber, den der König für mich ausgesucht hat. In wenigen Tagen soll unsere Verlobung bekannt gegeben werden auf dem Ball, der offiziell zum Geburtstag von Prinz Korbinian, dem Bruder des Königs ausgerichtet wird. Offenbar zögert seine Majestät, das Fest offiziell als Verlobungsball zu deklarieren, aus Angst, ich könnte in meinem Liebeskummer irgendwie durchdrehen, bevor die Verlobung verkündet wird, und damit die Königsfamilie und den Grafen bloßstellen. Vermutlich denkt er aber auch einfach, dass ich in der Eigenwilligkeit, die ich mir in letzter Zeit geleistet habe, kein eigenes Fest verdient habe. Und unter den Umständen ist mir das ganz recht. Ich werde die Verlobung durchziehen und ich werde das glamouröse Bild abgeben, das alle immer von mir kennen. Ich werde nicht zeigen, wie verletzt ich bin. Ich werde nicht davonlaufen. Ich weiß nicht, ob die Ehe mit dem Grafen mir eine Perspektive öffnet, die mich auf lange Sicht glücklich machen wird. Aber so viel ist sicher: Bei Hofe sehe ich auch keinen Platz mehr für mich.
Katharina fährt fort: „Graf von Guondal hat jahrelang im Ausland studiert, weshalb er erst vor einem Jahr bei Hofe aufgetaucht ist und wir ihn bisher noch nicht gut kennenlernen konnten. Aber alles, was ich über ihn höre, klingt sehr vielversprechend.
Er entstammt einer alten Linie und glaubt man den Chroniken seiner Familie, waren seine Vorfahren allesamt treue Diener des Königshauses. Die Guondals haben sichere Finanzen, geregelte Haushalte, beste Kontakte und Ambitionen für die Zukunft. Für den jungen Grafen ergibt es absolut Sinn, um dich zu werben. Er festigt damit seine Beziehung zum Königshaus und hat eine Frau an seiner Seite, die all der gesellschaftlichen Aufmerksamkeit gewachsen ist."
„Ich werde also eine Ehe führen, die Sinn ergibt", fasse ich murmelnder Stimme Katharinas Worte zusammen. Sie seufzt. „Ist das wirklich so schlimm? Ich weiß, es ist vielleicht nicht die perfekte Romanze, die du dir ausgemalt hast und du kennst ihn kaum, aber du kannst darauf vertrauen, dass er dich nicht nur aus einer Laune heraus zur Frau nimmt. Viele Ehen unter Adligen werden gestiftet, weil man sich anziehend findet oder nicht viel vom Leben erwartet und führen dann dahin, dass die Ehepartner aneinander vorbei leben. Aber bei euch beiden wird es anders sein. Ihr werdet als Mann und Frau zusammenarbeiten müssen, um den gesellschaftlichen Anforderungen zu genügen. Ihr werdet zusammen Feste planen, du wirst für seinen Haushalt verantwortlich sein, er wird auf dich angewiesen sein. Und das ist doch eine gute Basis für ein gemeinsames Leben."
Ich weiß, dass Katharina es nur gut meint. Und ich weiß, dass sie insgeheim daran glauben will, dass es für mich irgendwann genauso einvernehmlich endet wie für sie mit Baron von Lelac. Aber daran glaube ich nicht. Verglichen mit dem Leben, das ich mir mit Alfons erträumt habe, erscheint mir diese Zukunft erschreckend einsam und unpersönlich. Und was wird aus Kassandra? Ich weiß nicht, was dieser Graf von Guondal für ein Mensch ist, aber ich gebe mich nicht der Illusion hin, dass er sein Haus für meine Schwester öffnet und für sie sorgt.
Katharina streicht mir sanft über den Rücken, als könnte sie meine unruhigen Gedanken sehen. „Es wird alles gut werden, du wirst schon sehen." Ich schenke ihr ein zaghaftes Lächeln, um sie zu beruhigen. In Wahrheit kann ich mir aber nicht vorstellen, wie jemals wieder alles gut werden soll.

Die FürstinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt