Kapitel 10 - Alfons

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„Das hast du nicht getan." Santos sieht mich entgeistert an. Unter seinem Blick schrumpfe ich innerlich zusammen. „Was ist dabei?", frage ich ihn scheinbar gleichgültig. „Es ist nicht so, als hätte ich ihm Kroesus versprochen. Ich habe lediglich einer fairen Verhandlung zugestimmt, etwas, was schon die Generationen vor mir hätten tun sollen."
Ich weiß nicht, ob ich selber glaube, was ich da sage. Einerseits hätte es gar nicht besser laufen können. Der König ist überraschend zuvorkommend gewesen und aufgeschlossen meinen Absichten Theodora gegenüber. Er hat nicht gefordert, dass ich ihm etwas in die Hand hinein verspreche, vielmehr bat er um einen Gefallen. Andererseits ist genau das mein Problem. Er hat mir keine Aufgabe angetragen, die ich irgendwann erledigen und abhaken kann. Seine schwammige Bitte um ‚Entgegenkommen' gibt mir das Gefühl, als hätte er Fallstricke gespannt, die ich übersehen habe.
Santos schüttelt den Kopf über mich, als wäre ich ein kleines, begriffsstutziges Kind. „Alfons, du hast deine Überzeugungen verkauft. Du hast zugelassen, dass er dich in der Hand hat", spricht mein Freund meine und seine Bedenken aus. „Egal, wieviel Mühe du dir gibst, er wird nicht fair verhandeln, er wird weiterhin nur seinen Vorteil suchen und wenn ihr euch einig werdet, dann nur auf deine Kosten."
Ich spüre einen Stich in der Brust, dieses Gefühl, wenn ein Freund Recht hat und man sich trotzdem verraten fühlt. Ich weiß nicht, ob es schlau war, dem König meine Kooperation zuzusichern, aber Santos scheint völlig außer Acht zu lassen, warum ich das überhaupt getan habe.
„Was kümmert es dich überhaupt?", blaffe ich zurück. „Du hast Kroesus und seinen Angelegenheiten ohne mit der Wimper zu zucken den Rücken gekehrt. Du wirfst das, was du dir aufbaust, ständig über Bord und bist inkonsequent in deiner ganzen Lebensweise. Was also kannst du mir vorwerfen? Ich denke immer zuerst an Kroesus, immer zuerst an alle anderen. Und ich treffe keine Entscheidung leichtfertig, auch diese nicht. Seit wann mischst du dich in meine Angelegenheiten ein?"
Santos runzelt verärgert die Stirn. „Um mein Leben geht es hier nicht, Alfons. Ich habe nicht deinen gesellschaftlichen Status und bin, Gott sei Dank, nicht in der Situation, mich mit dem Königshaus streiten zu müssen. Und ja, es könnte mir egal sein, was du treibst. Aber ich versuche, dich als Freund vor etwas zu schützen, was du später bereuen könntest. Vermische niemals Herzensangelegenheiten mit Politik, das ist die erste Lektion deines Vaters gewesen. Überlege dir gut, ob du diese Grenze überschreiten möchtest."
„Ich bin nicht mein Vater!", brülle ich in Rage. „Ich habe meinen Vater geliebt, aber ich bin nicht er. Mein Vater hat erst geheiratet, und das Fürstentum danach geerbt. Für ihn war es leicht, Liebe und Politik zu trennen. Aber jetzt ist er tot und hat mir das alles hinterlassen, mir als einzelnem Mann. Mein Erbe ist mir wichtig, aber ich möchte auch die Weichen für mein persönliches Glück stellen. Und deshalb kann und möchte ich nicht er sein. Ich möchte meinen eigenen Weg gehen! Ich bin hier, um die Interessen der Menschen zu schützen, die in Kroesus wohnen. Aber ich bin nicht länger bereit, diese alberne Historie zu schützen, die unserer Familie seit Generationen einbläut, wir wären etwas Besseres. Nathanael von Kroesus war ein Egomane, der gewillt war, seine Schwester ins Unglück zu stürzen und jede Generation an Fürsten folgt ihm in dieser krankhaften Einstellung nach. Ich möchte das nicht. Ich möchte frei um eine Frau werben können, wenn sie mir gefällt, egal ob sie innerhalb oder außerhalb meiner Grenzen wohnt. Ich will nicht, dass die Politik mein Leben bestimmt."
Ich hole tief Luft und lasse mich auf mein Bett fallen, völlig ausgelaugt. Ich habe nicht viele Menschen um mich und ich möchte, dass Santos, mein Freund, mich versteht. Ich war immer stolz auf meine Familientradition, habe mich lustig gemacht über die Dummheit des Königshauses und die verzweifelten Anläufe, etwas in der Unabhängigkeitsfrage zu ändern. Aber momentan empfinde ich mich selber als Opfer. Ich habe das Gefühl, als würden die Erwartungen meiner Familie mir die Luft zum Atmen nehmen.
„Du hast Recht", gibt Santos zu. „Verdammt, du hast Recht und es tut mir leid. Ich bin in aller Selbstbestimmtheit aufgewachsen und kann nicht mal im Ansatz nachvollziehen, welchen Restriktionen du dich ausgesetzt siehst. Ich schätze, ich kann nicht so ganz glauben, dass es für dich so etwas wie Liebe auf den ersten Blick gibt."
Ich massiere mir mit dem Daumen meine Schläfen – eine Angewohnheit, wenn ich erschöpft bin. „Ich weiß nicht, was es ist. Ich bin noch nie verliebt gewesen. Aber ich habe das Gefühl, dass ich einen großen Fehler machen würde, wenn ich Theodora von Mühlen nicht in Betracht ziehe. Ich fühle mich lebendig bei ihr und ich habe den Eindruck, dass sie sich vorurteilsfrei eine Meinung über mich bilden möchte. Das ist mehr, als die meisten Adligen bereit sind zu tun. Es ist ein Zeichen ihres guten Charakters. Sie ist eine Frau, die sich nicht davor scheut, ihre Stärke und ihre Macken zu zeigen, weil sie ihren Wert kennt. Und das zieht mich an."
Santos nickt bedächtig. „Ich weiß, was du meinst. Und ich nehme an, ihr würdet wirklich gut zueinander passen. Also – gibt es einen Plan?"
Ich lächele schwach. „Mein Plan war es, um die Zustimmung des Königs zu betteln. Weiter habe ich nicht gedacht. Und jetzt, wo ich die königliche Erlaubnis habe, glaube ich fast, die kritische Baroness Theodora von mir zu überzeugen, wird noch schwieriger. So ungern ich es zugebe, ich denke, du weißt mehr über sie als ich."
Santos überlegt einen Moment. „Theodora ist ziemlich schwierig zu durchschauen. Ich meine, sie ist ein großes Vorbild, hat immensen Einfluss, ist eine Stilikone und unglaublich gebildet. Aber kaum einer weiß, wie sie dahin gekommen ist. Sie entspricht nicht dem Durchschnittsbild einer Frau, sagt offen ihre Meinung und ist bisweilen etwas starrsinnig. Ich habe schon viel über sie nachgegrübelt und bin zu dem Entschluss gekommen, dass eine Dame in der Regel nur durch ihr einnehmendes Wesen so glorifiziert wird. Da Theodora nicht wirklich einnehmend ist, gibt es nur noch einen weiteren Weg, wie sie an ihre gesellschaftliche Stellung gekommen sein kann."
Santos legt eine Kunstpause ein und ich seufze. „Und wie?", frage ich ungeduldig nach. Mein Freund grinst selbstzufrieden. „Durch harte Arbeit."
Ich runzele die Stirn. „Aber – so wenig ich auch über sie weiß – sie erscheint mir nicht wie jemand, der dem Erfolg nacheifert. Mehr wie eine Person, die sich nicht darum schert." Santos nickt. „Richtig beobachtet. Und das solltest du auf jeden Fall berücksichtigen, wenn du um sie werben willst. Während andere Frauen sich über ein tägliches Blumenbukett freuen und sich geschmeichelt fühlen, wird sie ziemlich schnell äußerst genervt sein. Wenn überhaupt, dann führt der Weg in ihr Herz über ihren Verstand und nicht über deine Geldbörse. Also lass dich von ihr nicht so schnell durchschauen, gib ihr was zum Denken, führe schlaue Gespräche mit ihr und gehe auf sie ein. Das ist alles, was ich dir raten kann.
Wie dem auch sei, ich vermute sehr stark, dass sie nicht für sich, sondern für jemand anderen so hart arbeitet. Ich hatte mal die Freude, durch einen inoffiziellen Kontakt einen Blick in die Finanzen des Königshauses werfen zu können. Und mir ist aufgefallen, dass Baroness Theodora nur etwa zehn Prozent ihres sogenannten Einkommens für sich behält und den Rest an ihre Familie schickt. Üblicherweise reichen zwanzig Prozent als Abfindung für die Familien mehr als aus und die Hofdamen nutzen das Geld für ihre persönlichen Bedürfnisse."
„König Ursus meinte, Mühlen wäre nicht reich", gebe ich wieder, was ich dazu weiß. „Aber glaubst du, es ist so schlimm, dass sie ihre Familie unterhalten muss?" Santos schüttelt den Kopf. „Nein. Keine der adligen Familien nagt am Hungertuch. Jede kann sich ein komfortables, gut bürgerliches Leben leisten. Mindestens. Selbst wenn der Baron von Mühlen finanzielle Engpässe hätte, würde das nicht die Abgabe von neunzig Prozent ihrer Einkünfte rechtfertigen. Ich glaube, da steckt mehr dahinter. Und, mein Freund, ich bin der Meinung, du hast dir da eine sehr interessante Frau ausgesucht. Ich hoffe nur, dass du nicht an ihr verzweifelst."
Ich rolle spaßeshalber mit den Augen, doch innerlich macht sich Unsicherheit breit. Theodora von mir zu überzeugen, könnte eine Lebensaufgabe sein.

Die FürstinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt