Obwohl ich versucht habe, meine Garderobe auf das Nötigste zu beschränken, ist die Kutsche dennoch ziemlich vollgeladen, als all mein Gepäck verstaut ist. Ich zupfe nervös an meinem Reisekostüm, richte meinen Hut, überprüfe, ob ich alle nötigen Wertsachen bei mir trage.
Es ist das erste Mal seit Jahren, dass ich aus eigenem Antrieb verreise. Wenn ich in meiner Pflicht als Hofdame unterwegs bin, plant das Schlosspersonal mein Gepäck, alles wird auf die bevorstehenden Anlässe angepasst und ich habe Ernestine und bisher auch immer Katharina an meiner Seite gehabt.
Aber jetzt ist es anders. Ich fahre nach Hause. Und ich wundere mich, dass mich dieser Gedanke so nervös macht. Doch im Grunde weiß ich nicht, wie meine Familie mich empfangen wird. Wie ich mich verhalten soll. Ob ich nur die berühmte Tochter bin, deren Ruf wichtiger ist als ihre Anwesenheit, oder ob meine Eltern mich tatsächlich vermisst haben.
Kassandra, so hoffe ich, wird sich freuen, mich zu sehen. Ich habe meinen Besuch nicht angekündigt. Ich habe darüber nachgedacht, aber der Postweg ist ziemlich lang und ich wollte nicht, dass meine Familie denkt, sich auf mich vorbereiten zu müssen. Ich will einfach für eine Weile zu Hause sein, so, wie ich es kannte, so, wie ich aufgewachsen bin. Ein bisschen unperfekt, aber meine Heimat eben.
Eine weitere Ursache meiner Nervosität gründet sich in Alfons. Wir werden zu zweit reisen, nicht einmal eine Zofe werde ich mitnehmen. Ich gehe davon aus, dass meine Eltern mir Personal zur Verfügung stellen und es gibt genug hier, worum sie sich kümmern kann. Um mein Verlobungskleid zum Beispiel. Ich habe es so gewollt und dennoch ist es ein komisches Gefühl, mit dem Fürsten allein zu reisen. Es hat etwas Intimes, abseits der höfischen Regeln miteinander unterwegs zu sein. Und meine wachsende Zuneigung zu ihm dämpft nicht gerade meinen inneren Aufruhr.
Ich beobachte ihn, wie er gelassen beim Kutscher steht und unsere Route mit ihm bespricht. Er ist so ähnlich gekleidet wie an dem Tag, als er mir mit der Kutsche und den Pferden im strömenden Regen zur Hilfe kam. Das alles scheint eine Ewigkeit her zu sein. Wie damals trägt er auch jetzt eher abgetragene und bequeme Kleidung. Wenn ich am Anfang noch wie alle anderen dachte, er würde damit seine Gleichgültigkeit zur Schau stellen, so weiß ich jetzt, dass es seinem Charakter entspricht. Trotz seiner Stellung ist er bodenständig geblieben und das erinnert mich daran, wie sorglos, schlicht und glücklich ich einmal selbst gewesen bin.
Alfons bemerkt meinen Blick und schlendert zu mir herüber. „Wir sind fast soweit. Wir haben uns entschieden, heute Nacht einen Zwischenstopp in Ackerloh einzulegen. Da soll es ein gutes Gasthaus geben. Zwar würden wir die Strecke auch an einem Tag schaffen, dann aber erst nachts ankommen. Und ich dachte, Sie würden Ihre Familie gerne bei Tag das erste Mal aufsuchen."
Ich nicke dankbar. „Das klingt perfekt, vielen Dank." Er lächelt und schließt sich dann dem Kutscher an, um die Sicherung und Vollständigkeit des Gepäcks zu kontrollieren.
Ich denke an meinen Abschied von Katharina. Nach der indirekten Genehmigung meiner Reise, hatte sie relativ schnell beschlossen, in ihr neues Heim aufzubrechen. Sie gehen zu lassen fiel mir fast noch schwerer als nach ihrer Hochzeit. Damals musste ich mehr oder weniger nur mit ihrem Abschied klarkommen. Ich hatte den Ansporn, mehr Zeit mit Ernestine zu verbringen und die Aufgabe, mich um Alfons zu bemühen. Und jetzt steht meine Hochzeit mit einem Mann, den ich nicht kenne und mir nicht wählen will, unmittelbar bevor. Ich flüchte zu meiner Familie, zu meiner Schwester, aber vor meinen Gefühlen kann ich nicht flüchten, weil Alfons mich begleitet.
Ich brauche gerade jetzt so dringend eine Freundin und weiß aber auch, dass ich Katharina endlich in ihr eigenes Leben entlassen muss und mich selber um meine Angelegenheiten zu kümmern habe.
„Wir können", reißt mich Alfons aus meinen Gedanken. Er hilft mir in die Kutsche, steigt nach mir ein und schließt die Tür. Das Gefährt setzt sich ruckelnd in Bewegung. Ich werfe einen Blick auf den Palast und verspüre auf einmal ein Gefühl von Erleichterung. Es ist so lange her, dass ich einfach nach eigenem Bedürfnis verreisen konnte und für ein paar Tage nicht unter der Aufsicht der Krone stand. Für einige Zeit bin ich gewillt, meine Pflichten, meine Zukunft und meine Probleme einfach zu vergessen.***
Ich erwache von einem Ruckeln und brauche eine Weile, um zu wissen, wo ich bin. Draußen ist es dämmrig und wir haben vor einem hell erleuchteten, großen Gasthof gehalten.
Ich setze mich peinlich berührt etwas aufrechter hin. „Es tut mir leid, ich wollte nicht einschlafen", bemerke ich etwas verlegen und hoffe, dass ich nicht geschnarcht habe.
Alfons lächelt. „Das ist doch kein Problem. Die letzte Zeit war sicher sehr stressig für Sie, es ist doch ganz normal, dass Sie etwas Erholung brauchen. Sie sehen friedlich aus, wenn Sie schlafen." Bevor ich näher über diesen Kommentar nachdenken kann, hat er die Kutschentür geöffnet und reicht mir die Hand, um mir hinaus zu helfen. Der Kutscher hat sich bereits an Angestellte des Gasthofes gewandt, die ihm dabei helfen, die Pferde auszuspannen und zu versorgen.
Wir begeben uns zum Eingang und betreten den lauten, überfüllten Schankraum. Ich blicke mich neugierig um. In solch einer Bleibe bin ich schon ewig nicht mehr gewesen. Ich bin die kostbaren Tapeten, den Marmor und das Gold aus dem Palast gewohnt, doch die sauber verputzen Wände, die dicken Deckenbalken aus Holz und die Bodendielen vermitteln einen sehr rustikalen und gemütlichen Eindruck. Die Menschen hier gehören größtenteils zur Mittelschicht und ich wünschte fast, ich könnte auch in einem einfachen Kleid aus Leinen oder Baumwolle mitten unter ihnen sitzen und einfach dazugehören. Stattdessen hat vor allem mein Eintreten Aufsehen erregt. Meinem blauen, elegant geschnittenen Reisekostüm sieht man deutlich an, dass dies nicht meine Welt ist.
Alfons bahnt uns einen Weg zum Tresen und schiebt dabei alle Menschen beiseite, die mir irgendwie nahekommen könnten. An der Bar angekommen starrt er einen jungen, am Tresen lümmelnden Mann so lange an, bis dieser sich nach einigen Sekunden seinen Bierkrug schnappt und an einen der Tische verzieht. Ich kenne diese Seite von ihm nicht. Bei Hofe war er immer ein bisschen lockerer, entspannter und ungeschliffener als alle anderen Männer seines Standes, aber hier zeigt er eine Art Beschützerinstinkt. Es hindert die Anwesenden daran, sich uns zu nähern und gibt mir als Frau hohen Ranges das Gefühl, bei ihm sicher zu sein.
„Wir hätten gerne zwei Zimmer. Sauber, mit einer Waschgelegenheit und eines davon sollte abschließbar sein", wendet er sich an den Wirt, ohne dass dieser die Gelegenheit hätte, nach unseren Wünschen zu fragen.
„Sehr gerne, mein Herr", beeilt der untersetzte Mann sich zu antworten. „Wir haben sehr schöne und saubere Zimmer im ersten Stock. Allerdings ist keines unserer Zimmer abschließbar. Ich kann Ihnen jedoch versichern, dass wir eine gediegene und zuverlässige Unterkunft sind."
Sein gewinnbringendes Lächeln verblasst, als Alfons bestimmt den Kopf schüttelt. „Das ist mir gleich. Die Dame steht in enger Verbindung zum Königshaus und Sie werden Ihr eine Unterkunft zur Verfügung stellen, in der sie sich sicher fühlen kann. Wir zahlen selbstverständlich dafür."
Der Wirt fährt sich hektisch durch die Haare. „Nun, ich könnte... vermutlich... Die einzige Möglichkeit ist, die Dame im Zimmer meiner Tochter unterzubringen. Das müsste jedoch erst hergerichtet werden." „Das ist kein Problem. Wir essen solange etwas. Was möchten Sie?", fragt er mich und ich überfliege flüchtig die Speisekarte.
„Einmal den Eintopf, bitte. Und einen Pfefferminztee", bestelle ich. Der Wirt macht sich eilig Notizen. „Ich schließe mich beim Eintopf an und nehme dazu ein Wasser. Vielen Dank."
Er wendet sich vom Tresen ab und führt mich in eine Sitznische. Ich lasse mich auf einen Stuhl fallen. „Ich komme mir immer so furchtbar vor, wenn Leute sich meinetwegen Umstände machen müssen", seufze ich. Alfons setzt sich mir gegenüber und schenkt mir ein Lächeln.
„Aber es ist wichtig, dass Sie hier sicher sind. Egal, wie zuverlässig diese Bleibe auch scheint, ich muss dafür Sorge tragen, dass Ihnen gar nichts passieren kann. Und Sie müssen sich nicht schlecht fühlen. Der Mann wird ausreichend für seine Mühen entlohnt werden. Und ich bin sicher, er erkundigt sich beim Kutscher nach unserer Identität und wird die nächsten Jahre mit unserem Aufenthalt hier prahlen. Wir liefern den Menschen hier Gesprächsstoff und das belebt das Geschäft."
Aus einem Impuls heraus greife ich nach seiner Hand. „Ich bin sehr froh, dass Sie angeboten haben, mich zu begleiten. Ich glaube, ich würde mich sonst jetzt sehr unsicher und einsam fühlen."
Ich will meine Hand zurückziehen, doch er hält sie fest. „Keine Sorge, Theodora. Ich gebe auf Sie Acht." Und so verharren wir, bis das Essen kommt.
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Die Fürstin
Historical FictionEine berühmte Hofdame. Ein einflussreicher, junger Fürst. Ein Konflikt zwischen Liebe und politischem Streit. Theodora von Mühlen zählt als eine der einflussreichsten Personen am calischen Hof und stützt als Hofdame das Prestige der Königsfamilie. F...