„Hier bist du also!", tönt Santos' Stimme durch die Bibliothek, ohne auch nur im Geringsten Rücksicht auf den greisen Bibliothekaren oder den mittelalten Adligen zu nehmen, der in drei dicken Wälzern gleichzeitig stöbert.
Ich blicke überrascht auf. „Was machst du denn hier?", frage ich mit gedämpfter Stimme und ehrlich verwirrt. Santos hat mir seinen Besuch nicht angekündigt, wie er es sonst häufig tut.
„Die Frage ist: Was machst du hier, mein Freund. Du hast die große Ankündigung des Königs verpasst." Ich runzele die Stirn. „Was für eine Ankündigung?" Santos seufzt theatralisch. „Du bist wirklich der schlechteste Brautwerber aller Zeiten. Seine Majestät hat soeben deine Angebetete in einem sehr hübschen Kleid und mit angesäuerter Miene einer Horde Männer im besten Alter präsentiert und sie quasi zu Freiwild erklärt."
„Ich verstehe nicht...", setzte ich an und Santos unterbricht mich. „Alfons, wach auf! Der König lässt um Theodora werben. Ganz offiziell. Und entgegen meiner Prognose gibt es einige hochkarätige Herren, die es auf sie abgesehen haben. Und einige davon gefallen mir gar nicht. Es ist komisch, aber seit du dich Hals über Kopf in sie verliebt hast, habe ich einen ausgeprägten Beschützerinstinkt für dieses Mädchen entwickelt. Ich habe mich sogar dabei ertappt, wie ich sie einem blasierten Grafen madig gemacht habe. Dabei hätte er sowieso keine Chance gehabt."
Ich lege erschlagen mein Buch zur Seite. Santos merkt offenbar, dass ich die Neuigkeiten erst noch verdauen muss, denn er fragt ungewöhnlich feinfühlig: „Wie sieht es denn aus mit euch beiden? Bist du wenigstens auf einem guten Weg?"
Ich zucke mit den Schultern. „Wie soll ich das denn einschätzen? Ich stecke nicht in ihrer Haut. Aber allgemein habe ich ein durchaus positives Gefühl. Wir gehen ab und zu miteinander spazieren, sie interessiert sich für mein Leben und erzählt auch einiges von ihrer Familie. Gestern waren wir im Dunkeln Boot fahren und sie hat mir ein Geheimnis anvertraut."
Santos starrt mich an. „Im Ernst? Warum weiß ich davon nichts? Das ist hervorragend, ich hätte nicht gedacht, dass du das alleine so gut hinbekommst. Meine Güte, diese Frau muss dich mögen, wenn sie nachts mit dir Boot fährt. Du darfst jetzt auf keinen Fall nachlassen. Ihr versteht euch gut, ihr seid vertraut miteinander, jetzt muss sie nur noch begreifen, dass du Absichten verfolgst."
„Der junge Mann hat Recht", vernehme ich überraschend die Stimme des Bibliothekars und er lässt sich neben uns in einen Sessel fallen und stellt vor jeden von uns ein Glas Cognac. Santos und ich wechseln einen verdatterten Blick und der alte Mann lacht.
„Falls ich mich noch nicht vorgestellt habe: Ich bin Adalmar. Ich halte mich aus Dingen raus, die mich nichts angehen, aber die Baroness von Mühlen ist mir sehr ans Herz gewachsen. Eine wirklich kluge Frau. Ein Freigeist in einem goldenen Käfig. Sie braucht einen Mann, der sie nicht einschränken wird und der jeden Charakterzug an ihr liebt und schätzt." Er mustert mich eindringlich. „Das tun Sie doch, oder?" Ich nicke. „Ich würde genau dieser Mann gerne für sie sein." Der Alte lächelt verschmitzt. „Dann sollten Sie sich besser ranhalten. Der jungen Dame wird es nicht an Werbern fehlen, aber es wird wohl kaum einer dabei sein, der sie schätzt, geschweige denn für sie empfindet. Die Männer wollen Ruhm und den können sie durch sie auf zwei Varianten erhalten: Erstens ihre Stellung bei Hofe. Und zweitens wird sich wohl jeder damit brüsten wollen, sie gezähmt zu haben. Die Adligen tendieren dazu, sich selbst zu überschätzen. Nichts für ungut, mein Freund."
Ich nehme einen Schluck Cognac. Er rinnt mir angenehm warm die Kehle herunter. „Sie haben einen Vorteil, Durchlaucht. Die Baroness mag Sie. Aber sie wird Ihr Verhalten nicht unbedingt als absichtsvoll deuten, denn immerhin ist sie Ihre einzige Bezugsperson bei Hofe und es ist ihre Pflicht als Hofdame, Ihnen zur Verfügung zu stehen. Und sie geht mit Sicherheit davon aus, dass Sie das wissen und sich aus diesem Grund an sie wenden für den angenehmen Zeitvertreib."
„Wie bekommen Sie überhaupt so viel mit? Sie sind doch den ganzen Tag in dieser staubigen Bibliothek", platzt Santos nicht sehr geschickt heraus. Adalmar fixiert ihn amüsiert. „Nun, Herr Melatoni, ich muss Sie enttäuschen, aber Sie und unser Fürst hier sind nicht die einzigen, die sich in einer unerhörten Lautstärke hier unterhalten. Da gibt es ein paar Dienstmädchen, die immer zum Abstauben kommen. Die klingen ganz ähnlich."
Ich blicke peinlich berührt zu Boden, aber Santos zeigt weiterhin keine Zurückhaltung. „Also, Adalmar. Sie denken vermutlich, Sie sind schlauer als wir und haben auch garantiert einen ausgeklügelten Plan."
Der Bibliothekar lehnt sich entspannt zurück. „Ich weiß, wie die Dinge hier laufen. Das Werben ist eine Kunst und jeder tut es gleich, weil es sich nun mal bewährt hat. Zu Beginn stellen die interessierten Herren meistens ein monströses Blumenbouquet zusammen und schicken es mit einem Pagen an die Tür der Dame. Sie bestellen ihre Grüße und hoffen, dass die Dame ihre Lieblingsblume in dem Strauß findet. Meistens ist es kein Problem, denn die Gebinde sind groß genug, dass jede gängige Blume darin Platz findet. In den folgenden Tagen findet das Gleiche statt, bloß mit anderen kleinen Geschenken, die je nach Werber sehr unterschiedlich sein können und demnach den Geschmack der Dame treffen oder eben nicht. Die Dame beurteilt die Aufmerksamkeiten und gibt sie nach durchschnittlich einer Woche zurück in Form von kleinen Unternehmungen, Spaziergängen und Gesprächen, um ihre Werber besser kennenzulernen. Wen sie zuerst kennenlernt, der hat natürlich einen deutlichen Vorteil."
Ich verziehe das Gesicht. „Ich kann mir Theodora in diesem Zirkus nicht so ganz vorstellen." Santos winkt ab. „Das ist egal, Alfons, darum geht es nicht. Du musst trotzdem mitmachen und dir alle Mühe geben. Und am besten du machst irgendetwas anderes, damit du dich von den anderen abhebst."
„Das keine gute Idee, Herr Melatoni", widerspricht Adalmar und wir schauen ihn beide verblüfft an. „Und wieso nicht?", frage ich.
„Sie haben recht, das Werben in dieser Form ist lächerlich", bemerkt der Bibliothekar und beugt sich ein wenig vor. „Aber es hat einen Vorteil: Durch diese festen Riten sorgt es dafür, dass die betreffende Dame genau zuordnen kann, wer um sie wirbt, auch ohne dass der König es ihr sagt. Das Blumenbouquet vom Pagen vermittelt ihr: Dieser Adlige will mich heiraten. Also sollten Sie nichts komplett anderes machen. Sie sollten das Konzept aufgreifen..." „...aber die Ausführung abwandeln", beende ich Adalmars Gedanken. Er nickt zufrieden.
Während Santos noch zwischen uns hin und her blickt und sich über unser gegenseitiges Einvernehmen wundert, formt sich in mir schon die Idee, wie ich mein Werben angehen kann.
„Sie wissen doch einiges über Theodora von Mühlen, oder?", frage ich den alten Mann. Er schmunzelt „Was wollen Sie denn wissen?" „Was ist Theodoras Lieblingsblume?"
Santos verdreht die Augen. „Das fragt man eine Dame doch als Erstes. Jetzt musst du hoffen, dass der Bibliothekar es weiß. Also wirklich, Alfons, manchmal zweifle ich an deinem Verstand."
Adalmar beachtet ihn gar nicht. „Theodora liebt Rosen. Aber nicht die gewöhnlichen, gezüchteten. Sondern die wilden, die an Hecken wachsen. Sie sagt, die riechen besser. Sie sind wunderschön und fragil, sie haben Dornen, die ihnen Charakter geben. Und sie welken schneller, weil sie in die Natur gehören und nicht in die Vase. Aber sie freut sich mit Sicherheit, wenn Sie eine für sie pflücken."
„Und du bist sicherlich der einzige, der ihr eine Heckenrose schenkt", bemerkt mein Freund amüsiert.
Ich stürze meinen Cognac hinunter, voller Tatendrang. „Ich danke Ihnen für Ihre Hilfe, Adalmar. Ich glaube, ich muss heute noch nach Kroesus. Meine Mutter hat die schönsten Rosen pflanzen lassen, die ich kenne."
Adalmar nickt. „Das machen Sie richtig so, Durchlaucht. Aber wenn Sie mir einen letzten Hinweis gestatten: Es schadet nie, eindeutige Worte zu gebrauchen. Sagen Sie ihr, dass Sie um sie werben. Es zu hören ist sehr oft etwas anderes, als es zu vermuten."Ihr Lieben,
ich wünsche euch schöne Feiertage und einen guten Rutsch in das neue Jahr 2021. Über Weihnachten lege ich eine kleine Pause ein und melde mich mit einem neuen Kapitel nächstes Jahr.
Bleibt gesund!
Eure MissOpenBook
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Die Fürstin
Fiction HistoriqueEine berühmte Hofdame. Ein einflussreicher, junger Fürst. Ein Konflikt zwischen Liebe und politischem Streit. Theodora von Mühlen zählt als eine der einflussreichsten Personen am calischen Hof und stützt als Hofdame das Prestige der Königsfamilie. F...