Kapitel 33 - Theodora

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Die Tage vergehen wie im Fluge. Kassandras Gesundheit verbessert sich stetig, doch zu ihrem heiteren Gemüt kommt bald die Sorge, dass ich wieder werde abreisen müssen. Früher oder später. Ich kann mir nicht vorstellen, sie erneut alleine zu lassen. Meine Schwester ist nicht dafür geschaffen, alleine zu sein. Sie blüht auf in Gesellschaft, sie braucht Gespräche, neue Eindrücke und jemanden, mit dem sie lachen kann. Und ich brauche sie. Mit jedem Tag, den wir bei ihr sind, merke ich, wie sehr ich sie die letzten Jahre vermisst habe. Ich wünschte, wir hätten unsere Lebenswege miteinander teilen können. Ich wünschte, sie hätte mit mir über das bornierte Leben bei Hofe lachen können und ich hätte ihr Trost und Hilfe sein können.
Ich weiß, dass Alfons auch merkt, wie es uns geht. Er spricht es nicht an, aber manchmal bemerke ich den besorgten Blick, mit dem er uns betrachtet. Als wäre das ein Problem, das er lösen muss. Aber es ist nicht seine Verantwortung, für unser Glück zu sorgen. Das könnte er auch niemals schaffen.
An einem Vormittag – wir sind bereits eineinhalb Wochen hier – sitzen Kassandra und ich gemütlich im Wohnraum. Ich habe meine Hände um eine Tasse Tee geschlossen und meine Schwester liest in einem Buch, das ich ihr aus dem Dorf mitgebracht habe. Alfons ist, wie sehr häufig unterwegs, um Besorgungen zu machen.
Ein Klopfen unterbricht mich in meinen Gedanken. Auf Kassandras „Herein" betritt Fine das Haus und knickst schüchtern. Wir haben sie seit einer Woche nicht mehr gesehen. Sie weiß, dass Kassandra gut versorgt ist und kann sich um ihre eigentlichen Aufgaben kümmern. Doch schon an der Art, wie sie nun in der Tür steht, merke ich, dass etwas nicht stimmt.
„Alles in Ordnung?", frage ich besorgt. Sie schluckt. „Die Baronin schickt mich. Sie hat mir aufgetragen, ich solle Ihren Aufenthaltsort ausfindig machen. Sie weiß nicht, dass Sie hier sind und weiß auch nicht, dass ich es weiß, aber sie gibt gerne solche Aufgaben. Im Herrenhaus ist ein Brief für Sie eingegangen."
Sie reicht mir einen Umschlag. Das schwere Papier erkenne ich sofort als das formelle Briefpapier aus dem Palast. Ich wende den Brief um, um ihn zu öffnen, aber das Siegel ist bereits gebrochen. Es ist das private Siegel des Königs.
„Sie haben meine Post geöffnet", bringe ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Wut steigt in mir auf. Fine nickt.
„Ja, das haben sie. Und ich glaube, ihnen hat nicht gefallen, was darinsteht. Der Baron möchte eine Unterhaltung mit Ihnen führen. Wobei ich glaube, dass wohl eher die Baronin das Gespräch leiten wird."
Ich starre grimmig den Brief an. Fine verabschiedet sich eilig.
Kassandra beobachtet mich besorgt. „Was steht denn in dem Brief?" Ich rolle mit den Augen. „Um dir das zu beantworten, sollte ich ihn vermutlich erstmal gelesen haben."
Ich ziehe seufzend das Blatt Papier heraus und überfliege die Zeilen.

Seine Majestät König Ursus von Calia an die Hofdame Baroness Theodora von Mühlen.

Verehrteste,

so sehr ich Ihre Reise mit einem Mann, der nicht Ihr Verlobter ist, zu einer Familie, der bald nicht mehr Ihre Hauptsorge zusteht, gebilligt habe, ist es nun an der Zeit, zurückzukehren und Ihrer Pflicht nachzukommen.
Die Zahl Ihrer Werber ist ausreichend eingeschränkt und jedes weitere Fernbleiben würde Zweifel an Ihrem guten Ruf aufkommen lassen und Ihre Verbindung gefährden.
Wenn Sie nicht binnen vier Tage im Palast sind und Ihrer Pflicht nachgehen, werde ich ein Arrangement mit einem Herrn meiner Wahl treffen.

Aufrichtige Grüße an Ihre Familie,
Hochachtungsvoll, König Ursus von Calia

Zitternd lasse ich das Blatt sinken. Mein Leben hat mich mit einem Schlag wieder eingeholt. Beim Lesen dieser Zeilen spüre ich förmlich den unerbittlichen, kalten Blick des Königs auf mir. Zugegeben, er hat es schlau eingefädelt, mir zu drohen, dass er meinen Zukünftigen aussuchen wird, wenn ich nicht zurückkomme. Er weiß, wie viel Angst ich vor einer unglücklichen Ehe habe. Und auch, wenn ich bisher nicht viel Interesse an meinen Werbern gezeigt habe, so kann ich doch nicht zulassen, dass ein Mann die Wahl über mein Leben fällt, vor dem ich mich insgeheim fürchte.
Kassandra ist es wohl müde geworden, auf eine Auskunft meinerseits zu warten, denn sie schnappt sich den Brief aus meiner Hand und liest ihn aufmerksam durch. Schließlich richtet sie ihren Blick auf mich.
„Du bist meine Schwester. Du bist über eine Woche hier. Und du hältst es nicht für nötig, mir zu sagen, dass du dich bereits mit einem Fuß in einer arrangierten Ehe befindest?!" Sie starrt mich wütend an und ich senke den Blick. „Das ist nicht so wichtig. Ich..."
„Nicht so wichtig?!", ruft sie erbost. „Dora, das ist deine größte Angst!" Ihr Blick wird weicher und schließlich treten Tränen in ihre Augen. „Seit Tagen kümmerst du dich um mich und bist nur für mich da und ich... Ich habe es nicht einmal für nötig gehalten, mich nach dir zu erkundigen. Ich dachte, du führst dieses zauberhafte Leben im Wohlstand mit Menschen, die dich umsorgen. Ich dachte, du hast einen fantastischen Kavalier an deiner Seite, der nur dafür lebt, dich glücklich zu machen. Ich habe dich bewundert für deine Stärke und das Leben, das du führst. Und jetzt... Jetzt muss ich einen Brief seiner Majestät lesen, der einer Drohung gleichkommt. Ich muss erfahren, dass du in Kürze an einen Mann verscherbelt wirst, den du dir nicht ausgesucht hast und vermutlich nicht einmal magst. Ich muss hier lesen, dass du vermutlich viel mehr dafür kämpfen musstest, hierher zu kommen, als ich angenommen hatte. Warum hast du mir das alles nicht gesagt?"
Ich spüre ein Schluchzen in mir aufsteigen und schließlich fange ich haltlos an zu weinen. Es stimmt, ich habe Kassandra nichts von alldem erzählt. Ich habe mich um ihre Probleme gekümmert, damit ich meine vergessen kann. Meine Schwester nimmt mich in den Arm und eine Weile weine ich einfach nur an ihrer Schulter, lasse all meine angestauten Sorgen heraus.
Nach einigen Minuten reicht Kassandra mir ein Taschentuch und ich trockne mir die Augen und putze die Nase. Ich atme tief durch.
„So." Meine kleine Schwester schaut mich entschlossen an. „Und jetzt will ich alles wissen. Wieso springt der König so mit dir um? Wieso sollst du plötzlich heiraten? Hat nicht so eine andere Hofdame gerade geheiratet? Und welche Rolle spielt eigentlich der Fürst in alldem?"
Ich hole ein weiteres Mal tief Luft.
„Kroesus steht in Konflikt mit der Krone. Es geht um die Unabhängigkeit, um Politik... Demnach ist das Verhältnis zwischen Alfons und dem König nicht gerade gut. Es war der Tag vom Verlobungsball von Katharina, meiner Freundin bei Hofe, als ich Alfons das erste Mal getroffen habe. Wie er schon erzählt hat, hatte meine Kutsche eine Panne und er war auf dem Weg in den Palast. Er hat mir geholfen und mich mitgenommen und aus irgendeinem Grund hat er wohl beschlossen, dass er mich gut leiden kann. Er hatte eigentlich vor, den König am Tag der Verlobungsfeier zu stören und seinen Besuch so unangenehm wie möglich zu machen, aber ich habe ihn davon abgebracht, weil ich wollte, dass Katharina einen schönen Tag hat.
Der König hat gemerkt, dass er mich mag. Alfons hat keinen guten Ruf bei Hofe, er gilt als ungehobelt und selbstgefällig. Und der König hat beschlossen, sein Wohlwollen mir gegenüber zu nutzen und mir aufgetragen, mit ihm Zeit zu verbringen.
Ich bin in solch einen Schlamassel hineingeraten, Kassandra. Ich bin der Krone verpflichtet, aber gleichzeitig habe ich Alfons besser kennengelernt, ihn als Freund gewonnen und angefangen zu hinterfragen, wer eigentlich im Recht ist und wer wirklich das Beste für die Menschen will. Ich bin zu stark in diese Politik involviert worden und die Konsequenz seiner Majestät ist, mich zu verheiraten, damit ich aus dem Weg bin."
Kassandra greift nach meiner Hand. „Aber wenn ich es richtig verstehe, bleibt die letzte Wahl über deinen Ehemann dir überlassen. Sofern du binnen vier Tage zurück bist."
Ich nicke. „Das ist richtig. Aber ich weiß nicht, wer um mich wirbt. Und ich will keinen von denen." Kassandra fixiert mich. „Willst du Kroesus?" Ich blicke verdattert zurück. „Wie bitte?" „Würdest du Kroesus wollen?"
Ich atme tief durch. „Ja. Ihn würde ich wollen." Kassandra lächelt. „Dann zeig ihm das auch." Vor Panik beginnt mein Herz, schneller zu schlagen. „Aber ich weiß nicht, ob er..."
Kassandra stoppt mich mitten im Satz. „Natürlich weißt du es nicht. Sonst wäre die Situation nicht so vertrackt. Du weißt nicht, ob er dein Freund ist oder romantische Gefühle für dich hat oder bereits vor seinem geistigen Auge sieht, mit dir alt und schrumpelig zu werden, umgeben von zwanzig Enkeln. Ich weiß das auch nicht. Alles, was ich weiß, ist, dass er sich unglaublich Mühe gegeben hat, dir zu zeigen, dass er irgendetwas für dich empfindet. Und woher bitte soll er wissen, dass du ihn liebst? Soll er es daran erkennen, dass du ihm, genau wie mir, abends einen Tee gekocht hast? Oder ihn verträumt beobachtest, wenn er gerade einmal nicht hinschaut? Jetzt bist du an der Reihe. Sei mutig. Mach ihm deutlich, dass du ihn willst. Und zwar unmissverständlich. Wenn er genauso empfindet, dann könnte das deine Zukunft sein. Wenn nicht, dann bist du in vier Tagen mit jemand anderem verlobt und kannst diese Sache vergessen."
Ich lasse ihre Worte eine Weile nachklingen. „Danke, kleine Schwester", sage ich schließlich leise. „Das habe ich gebraucht."
Kassandra grinst. „Ich weiß."

Die FürstinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt