Kapitel 34 - Alfons

490 60 4
                                    

Ich helfe Theodora aus der Kutsche. Schon die Fahrt über habe ich gemerkt, wie angespannt sie diesem zweiten Treffen mit ihren Eltern entgegensieht. Ich bewundere sie dafür, dass sie der Aufforderung zu einem Gespräch überhaupt nachkommt. Als Theodora gestern Abend kurz das Zimmer verlassen hat, meinte Kassandra zu mir, ihre Schwester würde es vermutlich vor allem deshalb tun, damit Fine nicht unterstellt bekommt, sie hätte die Nachricht nicht ausgerichtet. Sehr wahrscheinlich habe sie aber auch noch eine Rechnung offen.
Insgesamt ist Theodora schweigsam und in sich gekehrt, seit der Brief des Königs angekommen ist. Ich weiß nicht, was darinstand, aber es hat dazu geführt, dass Theodora um eine schnelle Abreise gebeten hat. Wir haben uns heute früh von Kassandra verabschiedet und werden nach diesem Besuch direkt den Heimweg antreten.
Theodora schreitet mit erhobenem Haupt auf die Eingangstür zu, klopft und schiebt sich ohne ein Wort an dem Butler vorbei ins Haus, als dieser öffnet. Die Mühe, ihren Mantel abzulegen, macht sie sich gar nicht.
„Ich nehme an, die Herrschaften sind im neuen Salon?" Der Butler scheint doch ein wenig verdattert und nickt nur. Theodora würdigt ihn keines weiteren Blickes und strebt mit energischen Schritten ihr Ziel an.
Ich folge ihr. „Das machen Sie hervorragend", raune ich ihr zu. Ihr angespanntes Gesicht wird kurz von einem Lächeln erhellt. „Das ist der Vorteil daran, wenn man vorbereitet ist."
Wir betreten den Anbau und Theodora stößt die Tür zum neuen Salon mit so viel Schwung auf, dass sie an eine besonders geschmacklose und fehlplatzierte Kommode kracht und dort eine sichtbare Schramme hinterlässt.
Die Köpfe von Baron und Baronin von Mühlen zucken nach oben. Sie haben sich in der Teenische platziert. Immerhin ist dieser furchtbare Cousin nicht da.
„Mutter. Vater", grüßt Theodora, aber es klingt eher wie eine Drohung. Sie steuert die Mitte des Raumes an, wo der Billard-Tisch steht. Erstaunlich elegant und mühelos, trotz ihres Kleides, stemmt sie sich auf den Spieltisch hinauf, sodass sie bequem sitzt und ihr Rock dabei in der Luft baumelt.
Dem Baron schläft das Gesicht ein. „Bitte, Theodora, könntest du dich woanders hinsetzen? Der Billard-Tisch... ist nicht dafür gemacht, dass man darauf sitzt." Ich muss mir ein Grinsen verkneifen. Offenbar weiß Theodora ganz genau, wo sie ihre Eltern treffen kann.
Sie schenkt ihrem Vater ein falsches Lächeln. „Tut mir leid, mein Geld war auch nicht dafür gemacht, dass ihr es in einen Billard-Tisch investiert. Da ihr es aber trotzdem getan habt, betrachte ich dieses Stück als mein Eigentum. Und das heißt, ich kann darauf sitzen, wenn ich das gerne möchte." Sie schaut mich an und schenkt mir ein echtes Lächeln.
„Alfons, nehmen Sie doch bitte Platz wo Sie möchten."
Ich nicke und steuere – ganz nach ihrem Vorbild – zielstrebig ein Sofa an, auf dem feinsäuberlich Zeitschriften, eine Stickarbeit und eine Seidenstola drapiert sind. Ich wische das Zeug achtlos beiseite, wobei die Zeitschriften und der Stickrahmen zu Boden befördert werden und lasse mich zufrieden in die Polster sinken.
Baronin von Mühlen sieht so aus, als hätte ich ihr soeben einen Dolch ins Herz gestoßen.
„So", fährt Theodora mit zuckersüßer Stimme fort, „wo wir nun alle gemütlich sitzen, bin ich schon ganz gespannt, was ihr gerne mit mir besprechen möchtet."
Einen Moment lang ist es still, dann donnert die Faust des Barons auf den Teetisch, was seiner Gattin ein undamenhaftes Quieken entlockt.
„Du benimmst dich schamlos! Das ist nicht das Mädchen, das wir an den königlichen Hof geschickt haben. Das ist eine eitle Frau, die ihre Wurzeln mit Füßen tritt." Theodoras Augen verengen sich gefährlich.
„Erzähl mir nichts davon, wie sehr ich mich verändert habe. Ihr habt komplett vergessen, wer ihr einmal wart. Ihr habt mein Geld genommen und es veruntreut. Ihr wollt meinen Ruhm, aber eure Tochter sein soll ich nicht mehr. Und was ihr Kassandra angetan habt, davon fange ich gar nicht erst an."
„Du tust ja gerade so, als wärst du die Tugend in Person", gibt die Baronin bissig zurück. „Aber deine Post war sehr aufschlussreich, was das angeht. Du ziehst durch die Lande, allein mit einem Mann, dem du nicht versprochen bist, obwohl der König dir aufgetragen hat, dich mit einem gut situierten Herrn zu verloben. Du gefährdest nicht nur dich und deine Stellung, sondern du bist auch bereit, alle, die mit dir verbunden sind, inklusive uns, dieser Schande auszusetzen. Du hattest nur zwei Aufgaben: Hübsch auszusehen und zu tun, was man dir sagt. Und offenbar bekommst du nicht einmal das hin. Und was Kassandra angeht: Wir haben immer damit gerechnet, dass du in einem wohlhabenden Haushalt leben würdest und die Baronie dich nicht weiter interessieren würde. Und wir konnten auf keinen Fall zulassen, dass dieses Haus, unser Grundstück und alles, was daran hängt, eines Tages an einen Krüppel geht."
Theodora fällt jede Beherrschung aus ihrem Gesicht. Ihre Lippe fängt an zu zittern und sie ist den Tränen nah. Gälte diese Beleidigung ihr, dann würden die Worte einfach an ihr abprallen. Aber Kassandra ist ihr wunder Punkt und abscheuliche Worte über ihre Schwester treffen Theodora umso mehr.
Ich springe auf, bin mit wenigen Schritten bei ihr und greife nach ihrer Hand. Dann fixiere ich die beiden und sage mit brodelnder Stimme:
„Hören Sie mir jetzt gut zu, denn ich werde es nicht wiederholen. Vielleicht denken Sie, dass ich nur irgendein Herr bin, mit dem Theodora durch die Gegend strolcht. Aber ich bin Fürst von Kroesus, ich verwalte das reichste Fürstentum Calias. Ich beschäftige die besten Anwälte. Und ich bin nicht bekannt für meine Nachsicht. Ich schwöre, dass ich einen Weg finden werde, Sie für all das bezahlen zu lassen. Sie werden das Haus verlieren. Ihr verpäppelter Neffe wird sich hüten, in Ihrer Gegenwart gesehen zu werden. Sie werden Ihren Töchtern Wiedergutmachung leisten. Und Sie werden sich wünschen, sich um Kassandra gesorgt zu haben, Theodora nicht verstoßen zu haben und mich nie getroffen zu haben."
Theodora drückt fest meine Hand. „Sind wir hier fertig?", frage ich sie und sie nickt bestimmt. Gemeinsam schreiten wir aus diesem Zimmer und beeilen uns dann, das Haus zu verlassen. Kaum ist die Haustür hinter uns zugeschlagen, holt Theodora tief Luft.
„Ich hoffe, ich war nicht zu hart", sage ich vorsichtig. „Ich verabscheue sie und ich glaube, das tun Sie auch, aber sie sind Ihre Eltern. Ich verspreche Ihnen, ich werde nichts tun, was Sie nicht wollen. Ich..." Ich werde jäh unterbrochen, als Theodora ihre Arme um meinen Hals wirft, sich auf die Zehenspitzen stellt und mich küsst. Sie ist überhaupt nicht schüchtern, sondern stürmisch und entschlossen und steckt meinen gesamten Körper in Brand. Mein Herz setzt einen Schlag aus, bevor es doppelt so schnell weiter schlägt. Ich umfange sie mit meinen Armen und nehme sie überdeutlich wahr. Ihre Wärme, die durch das feste Korsett dringt, ihre Hand, die sie in meinem Haar vergraben hat und ihre Lippen, die noch leicht nach dem Salz vergossener Tränen schmecken. Ich küsse sie genauso leidenschaftlich zurück, wie sie mich küsst. Ich will für sie keinen Zweifel daran lassen, dass ich sie liebe. Ich habe das Gefühl, als hätte sich dieser Kuss über Wochen, sogar Monate aufgestaut, als würde nun alles aus uns herausbrechen, was wir vorher aus Unsicherheit zurückgehalten haben. Jetzt gibt es keine Unsicherheit mehr, keine Zurückhaltung und nichts, was wir voreinander verbergen müssten. Jetzt sind wir einfach nur vollkommend ehrlich zueinander.
Nach einer Ewigkeit, die doch viel zu kurz ist, lösen wir uns schwer atmend voneinander. Theodoras Augen strahlen, ihre Wangen sind gerötet ihre Haare ein wenig zerzaust. Sie ist ein wunderschöner Anblick.
„Du hast mich geküsst!", lacht sie. Auf mein Gesicht tritt ein breites Grinsen. „Oh nein, Theodora, diesen Verdienst mache ich dir nicht streitig. Du hast mich geküsst." Ihre Wangen glühen noch ein bisschen mehr. „Ja, ich weiß. Aber du hast mich zurück geküsst." „Nur ein Idiot würde dich nicht küssen. Und ich bin kein Idiot. Naja, vielleicht bin ich einer, weil ich nicht den Mumm hatte, den ersten Schritt zu tun."
Theodora schmiegt sich an meine Seite. „Aber das hattest du doch. All das, was du für mich getan hast... Kassandra hat gesagt, dass du sehr wahrscheinlich etwas für mich empfindest und ich langsam mal mutig sein muss, um herauszufinden, was es ist." Mein Lächeln wird, wenn möglich, noch breiter.
„Ich vergöttere deine Schwester. Nicht so sehr wie dich selbstverständlich. Aber mehr als jeden Menschen sonst."
Sie lächelt mich warm an. „Ich bin froh, dass du das sagst. Denn du weißt, wie wichtig mir Kassandra ist. Und ich könnte nicht glücklich sein, wenn ich... Wenn ich in Zukunft nicht besser auf sie Acht geben könnte."
Ich verstehe, was Theodora mir damit sagen will. Eine Ehe mit ihr bedeutet, auch Kassandra Raum in unserem Leben zu geben. Ich weiß noch nicht genau, auf welche Weise es geschehen wird – ob ich ihr finanziell unter die Arme greife oder ob sie bei uns wohnen wird. Aber auch, wenn Theodora mich nicht darum bitten würde, käme es mir richtig vor. Ich habe ihre Schwester gern, es fühlt sich nach Familie an, mit ihr zu plaudern und zu lachen. Und eine Familie hatte ich schon lange nicht mehr.
Ich greife nach ihrer Hand. „Ich werde dafür sorgen, dass es ihr gut geht. Das verspreche ich."

Die FürstinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt