Kapitel 36 - Theodora

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Ich habe Recht behalten. Wobei – eigentlich habe ich erwartet, dass der König mich sofort am Tag meiner Ankunft zu sich zitiert, um meine Zukunft zu besprechen. Doch im Gegensatz zu seiner sonst so fordernden und bevormundenden Art, ließ er mir gestern über einen seiner Sekretäre ausrichten, dass er mir einen entspannten Abend wünsche und ich mich gut von der Reise erholen soll. Er würde mich am nächsten Vormittag gerne sprechen, um über meine Zukunft zu entscheiden.
Ich hätte Angst haben sollen, mich fragen sollen, warum er mir so entgegenkommt. Doch stattdessen hatte sich der Gedanke in meinen Kopf geschlichen, dass der König möglicherweise vermuten könnte, dass Alfons und ich uns nähergekommen sind und er ihm die Möglichkeit geben will, um meine Hand anzuhalten.
Aus diesem Grund kann ich jetzt entspannt im Studierzimmer des Königs sitzen und abwarten, was er zu sagen hat. Ich erwarte keine Überraschungen. Ich bin mir sicher, dass dies der Moment ist, der die Beziehung zwischen Alfons und mir offiziell machen wird.
„Nun, Baroness, es sieht so aus, als sei Ihr Plan aufgegangen", gibt seine Majestät freundlich zu. Er sitzt wie immer entspannt hinter seinem massiven Tisch, die Hände vor sich auf der Tischplatte verschränkt. „Während Ihrer Abwesenheit hat sich die Zahl Ihrer Werber deutlich reduziert. Ich bin zwar immer davon ausgegangen, dass es einer Dame zusagen würde, zwischen möglichst vielen Optionen wählen zu können, aber Sie sind in vielerlei Hinsicht anders. Ich meine, das sollte Ihnen die Wahl erleichtern. Mal sehen." Er wirft einen Blick auf seine Notizen.
„Zwei junge Männer sind gewillt, Sie in die Ehe zu führen. Und beide wären eine ausgesprochen hochkarätige Partie für Sie."
Mein Herz klopft wie wild und ich spüre das Pochen bis in jeden Winkel meines Körpers. Ich habe keine Angst mehr vor diesem Moment. Nicht seit der Reise, seitdem Alfons und ich uns so nah gekommen sind. Ich fiebere dem Augenblick entgegen, an dem der König seinen Namen nennt und ich endlich offiziell den nächsten Schritt in meine Zukunft gehen kann.
„Zum einen hätten wir Graf von Anwalth", eröffnet mir der König. „Er gehört in Stand, Ansehen und Vermögen zur soliden Mitte des Adels und kann Ihnen zweifellos mehr Luxus bieten, als sie aus Ihrem Elternhaus gewöhnt sind. Er ist öfters auf Reisen, was Sie zweifellos in Ihrer Rolle als Hausherrin aufblühen lassen dürfte und ansonsten ein recht geselliger Bursche. Die ein oder andere Soiree und ab und zu ein Ball lägen in Ihrer Verantwortung, aber eine Frau mit Ihrer Erfahrung bei solcherlei Dingen sollte deshalb nicht an ihre Grenzen stoßen. Das Anwesen von Anwalth liegt eher ländlich, die nächst größere Stadt ist eine viertel Stunde mit der Kutsche entfernt."
Die ganzen Informationen sind nur so an mir vorbei gerauscht. Ich weiß gar nicht, was der König alles gesagt hat, aber das muss ich auch nicht. Denn natürlich werde ich den Grafen nicht heiraten.
„Der zweite Kandidat hat mich etwas überrascht, da er sich seine Partie durchaus hätte höher stecken können. Er ist noch recht jung, gehört zur Elite des Reiches und besitzt ein stattliches Anwesen. Auch er ist geschäftlich öfters unterwegs, hat jedoch die erklärte Absicht, etwas sesshafter zu werden, sollte eine Ehefrau sein Eigenheim schmücken. Ihm liegt nicht sehr viel an gesellschaftlichen Veranstaltungen, allerdings weiß er, was sich gehört und verfolgt die feste Absicht, seiner Rolle in der Gesellschaft gerecht zu werden. Und er schätzt die Fähigkeiten einer Frau, die ihn dabei unterstützen könnte. Ich hege die erklärte Absicht, dass sich die Verbindung unserer Familien festigt, sollten Sie ihn wählen. Eine Freundschaft wäre ein Gewinn für das Königshaus."
Ich spüre, wie mein Körper nun doch beginnt, unkontrolliert zu zittern. „Meine liebe Baroness Theodora, Sie haben die Ehre, dass niemand Geringeres um Sie wirbt, als der junge Graf von Guondal."
Das erwartungsvolle Lächeln fällt mir von den Lippen. „Wie bitte?", bricht es ungläubig aus mir heraus und ich bin mir sicher, dass dem König nicht verborgen bleibt, dass meine Fassungslosigkeit nicht aus positiver Überraschung, sondern aus Schock resultiert.
„Aber...aber...das kann doch nicht... Sind Sie sicher, dass das alle Werber sind, Majestät?", stammele ich und merke, wie eine tiefe Röte mein Gesicht überzieht. Natürlich weiß ich, dass ich mir mit dieser Frage eine Blöße gebe, die ich bisher zu vermeiden gewusst habe, aber das alles ist unbedeutend dagegen, dass sich der Traum meiner Zukunft in Sekunden in Luft aufgelöst hat.
Der König lehnt sich über den Tisch auf mich zu. „Haben Sie denn jemanden sonst erwartet?" Ich atme tief durch. „Ich habe geglaubt, Fürst von Kroesus würde um mich werben. Hat er mit Ihnen darüber gesprochen?"
Der König schüttelt den Kopf. „Nein. Und es tut mir aufrichtig leid, wenn er Sie in dem Glauben gelassen hat, es wäre so." Er lehnt sich bequem zurück und mustert mich gleichmütig, während für mich eine Welt zusammenbricht. Meine Augen werden feucht, aber ich halte die Tränen zurück. Noch ist für mich nicht der Punkt erreicht, aufzugeben. Was ist, wenn er nicht wusste, dass er beim König um mich werben muss?
Ich bin es selber, die diesen Gedanken doch wieder verwirft. Es wurde laut verkündet, ich habe mich mit ihm ja sogar darüber unterhalten und mich mit ihm über diese Werber lustig gemacht.
„Edle Dame", fährt der König in sanftem Tonfall fort, „ich möchte Ihnen nichts unterstellen, aber vielleicht fragen Sie sich, an welchem Punkt Sie sein Verhalten möglicherweise überinterpretiert haben könnten. Zweifellos sind Sie eine besondere und hochkarätige junge Dame, aber selbst Ihnen muss doch klar sein, dass Fürst von Kroesus sich sehr viel besser verheiraten wird. Es mag Ihnen geschmeichelt haben, dass er sich Ihnen zugewandt hat, aber letztendlich ist er ein Mann, der sich einen Spaß daraus macht, selbst das kritischste Herz zu erobern. Sie von sich zu überzeugen, war ein Spiel für ihn. Ein Spiel, bei dem er testen wollte, wie weit er gehen kann. Und Sie haben es nicht gemerkt, weil er mit seiner schmeichelnden Aufmerksamkeit Ihren Verstand ausgeschaltet hat. Fürst von Kroesus ist hier, um seinen Standpunkt in einem Streit mit dem Königshaus zu festigen. Sie haben nicht ernsthaft geglaubt, dass er sich aus ehrlichem Interesse einer Frau zuwendet, über die ich die Vormundschaft besitze, oder?"
Meine Lippe bibbert und ich bin froh, dass ich zu Beginn unseres Gespräches Platz genommen habe, sonst hätten sicherlich meine Beine nachgegeben. Der König bedient systematisch meine eigenen Unsicherheiten, die Wenn und Abers, die ich mir die ganze Zeit selbst vor Augen gehalten und Katharina gegenüber ständig angeführt habe. Ein Mann wie er kann sich nicht für eine Frau wie mich interessieren. Ich bin zu unwichtig.
Aber das war, bevor wir zusammen gereist sind. Das war, bevor wir uns geküsst haben und er mich so glücklich angestrahlt hat, als hätte er, wie ich, seinen Seelenverwandten gefunden.
Mein Kopf ist wie in Watte gepackt, ich kann keinen klaren Gedanken mehr fassen. Das Einzige, was sich sowohl mein Herz als auch mein Verstand weigert zu glauben, ist, dass der König die Wahrheit sagt.
„Das glaube ich nicht", sage ich leise. "Warum hätte er sonst die ganze Zeit so zuvorkommend zu mir sein sollen? Warum hätte er mich zu meiner Familie begleiten sollen?"
Meine Stimme ist immer lauter und schriller geworden, aber es kümmert mich nicht. Ich will nur Antworten auf meine Fragen. Ich will, dass der König lacht und meint, er hätte sich geirrt oder einen Scherz erlaubt. Doch er sitzt nur mit gelangweilter Miene in seinem Lehnstuhl und betrachtet mich, als wäre ich die Küchenmagd. Er ist genau zu dem Verhalten zurückgekehrt, das ich von ihm erwartet habe.
„Sie überraschen mich, Theodora. Normalerweise arbeitet Ihr Verstand schneller und diesen peinlichen Hang zur Demütigung erkenne ich auch zum ersten Mal. Wem, wenn nicht Ihnen, hätte er sich denn zuwenden sollen? Sie vergessen, dass Sie nach wie vor die Einzige bei Hofe zu sein scheinen, die ihn überhaupt leiden kann. Das hätte Ihnen früher oder später zu denken geben müssen. Auf jeden Fall sind Sie die einzige Person, die sich mit ihm beschäftigt hat, mit der er seine Freizeit verbringen konnte. Und ich schließe nicht aus, dass er Sie tatsächlich mag oder Bewunderung für Sie empfindet, schließlich sind Sie attraktiv und meist auch recht schlau. Aber Sie haben bei Weitem nicht das Zeug zur Fürstin. Und was die Reise angeht – wir hatten einige ungemütliche Verhandlungen hinter uns. Ich glaube, der junge Herr hat eine Chance gesehen, dem zu entfliehen und hat sie ergriffen. Dass er damit Ihre irrwitzigen Hoffnungen genährt hat, ist, nun ja, ein unglücklicher Nebeneffekt gewesen."
Ich schlucke, Tränen treten mir in die Augen. Ich dachte, ich würde Alfons kennen. Aber wenn alles gespielt war, dann weiß ich nicht mehr, was er überhaupt für ein Mensch ist. Es war alles so real. Seine Zugewandtheit mir gegenüber, seine Sorge um meine Schwester, unsere körperliche und mentale Nähe. Doch es war alles zu perfekt, um wahr zu sein. Solche Männer gibt es nicht in der Wirklichkeit. Solche Männer, die immer da sind, die mich vorbehaltlos akzeptieren und in meine Seele blicken. Ich habe mich in einen Traum hineingesteigert, nur um jetzt schmerzhaft aufzuwachen. Es war alles ein Spiel. Das, was der König sagt, klingt so viel logischer als die Vorstellung, dass der seltsame, in Verruf geratene Fürst von Kroesus mit seinen weitläufigen Ländereien und seinem immensen Einfluss sich als der Mann meiner Träume entpuppt und mir seine Welt zu Füßen legt.
„Sehen Sie nach vorne, Theodora", unterbricht der König meine Gedanken mit nun wieder sanfter Stimme. „Wir alle werden in unserem Leben verletzt. Aber solche Wunden können heilen. Sie haben zwei wunderbare Herren, die um Ihre Hand anhalten und mit jedem von beiden können Sie glücklicher werden als mit Fürst von Kroesus. Glauben Sie mir. Und Sie können frei entscheiden. Es liegt ganz bei Ihnen."
Inzwischen laufen mir die Tränen über das Gesicht. Ich weiß, dass ich mich zusammenreißen müsste. Dass es hier um meine Zukunft geht und ich nicht zulassen dürfte, dass ein pechschwarzer Moment mir die Kontrolle über mein Leben entreißt. Aber dafür habe ich nicht mehr die Kraft. Es ist mir nicht mehr wichtig, mit wem ich mein Leben verbringen werde, weil es in beiden Fällen nicht so sein wird, wie ich es mir gewünscht habe.
„Nein, Majestät", sage ich deshalb. „Es liegt bei Ihnen. Mir ist egal, wen Sie wählen. Ich kenne beide nicht, also bestimmen Sie, was das Beste für das Königshaus ist. Damit meine Ehe wenigstens in einer Hinsicht erfolgreich wird."

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