Es ist knapp eine Woche vergangen seit meiner Verlobung. Ich habe Alfons nicht mehr gesehen, bevor er abgefahren ist und habe auch nur zufällig erfahren, dass er weg ist. Mein Verstand hatte mir gesagt, dass es so besser ist, aber meinem Herz fiel es schwer, das zu glauben.
Alfons von Kroesus ist nicht mehr da und hat einen Scherbenhaufen hinterlassen. Nicht nur für uns gibt es keine Zukunft mehr, sondern auch der Neuanfang von Calia und Kroesus ist gescheitert. Schon die ganze Woche wimmelt es im Palast vor Journalisten, die versuchen, das Ereignis zu rekonstruieren und Ursachen zu finden. Sie sprechen mit jedem, der ihnen auch nur das winzigste Bisschen Tratsch liefern könnte.
Ausgerechnet dem König ist es zu verdanken, dass ich bisher noch nicht befragt wurde. Nach der Verkündung meiner Verlobung hatte ich es auf dem Ball nicht länger ausgehalten und war vor den Augen aller Anwesenden vor meinem Verlobten geflohen, obwohl es sich gehört hätte, dass wir gemeinsam Glückwünsche entgegennehmen. Katharina war es in ihrer Geistesgegenwärtigkeit gelungen, die Umstehenden davon zu überzeugen, dass mich bereits den ganzen Tag ein heftiger Kopfschmerz geplagt habe und ich nur so lange auf den Beinen geblieben sei, weil ich die Bekanntgebung meiner Verlobung erwartet hatte. Für den Abend hatte man ihr diese Geschichte geglaubt. Um am Tag darauf widmeten sich die Leute, die misstrauisch hätten werden können, einem viel größeren Skandal.
Nur der König hatte meinen Fehler nicht so schnell übersehen. Obwohl er zweifellos andere Probleme zu bewältigen hatte, verzichtete er nicht darauf, mich in höchstem Maße unfähig zu nennen und mich für die kommenden Tage zu Aktivitäten mit meinem Verlobten und seiner Familie zu verpflichten.
Das lieferte mir genug Zeit, um zu lernen, dass Graf von Guondal meinen vorgegebenen Kopfschmerz offenbar persönlich nimmt, da es von seiner Vorstellung von Perfektion abweicht, dass seine Mutter mich noch weniger leiden kann, als zunächst angenommen und dass die Dienerschaft im Hause Guondal offenbar so strikt kontrolliert wird, dass meine zukünftige Zofe mit mir nicht einmal über das Wetter reden wollte.
Wie schrecklich diese Tage auch hätten sein müssen, ich nahm das Geschehen um mich herum kaum war. Ich hielt mich aufrecht und schwieg – was wiederum für Zufriedenheit bei der zukünftigen Schwiegermutter sorgte, weil es genau das ist, was sie von einer Gräfin erwartet – und hatte genug Zeit, mein gebrochenes Herz zu bedauern und zu lernen, mich zusammenzureißen.
Jetzt sitze ich in einem der Teesalons und warte auf meine Befragung zu dem Geschehenen. Ich warte darauf, dass ein Journalist den Raum betritt und mir Fragen stellt, so wie Ernestine es berichtet hat. Und trotz ihrer Aussage, der Herr hätte ihr unangenehm bohrende und private Fragen gestellt, bin ich durchaus optimistisch, dass ich dieses Gespräch nach fast einer Woche bestehen kann, ohne in Tränen auszubrechen und allzu viel preiszugeben. Es fällt mir nicht im Traum ein, auch nur zu erwähnen, dass ich womöglich mehr Ahnung von der Calia-Kroesus-Politik habe, als man mir zubilligen würde. Ich werde verschweigen, dass Alfons mich um Rat gefragt hat und auf keinen Fall wird irgendjemand erfahren, dass ich ihn am Abend meiner Verlobung darin bestärkt habe, den Vertrag platzen zu lassen. Das wäre das Ende meiner Karriere und der Tod meines guten Rufes.
Ein Klopfen an der Tür unterbricht meine Gedanken. Ich setze mich aufrechter hin und auf mein „Herein" betritt niemand geringeres als Santos Melatoni den Salon.
Mein Herz beschleunigt seinen Schlag. Nicht, weil ich weiß, dass er zu den erfolgreichsten und unnachgiebigsten Journalisten in der Palaststadt und Umgebung gehört, sondern weil ich mich erinnere, dass er recht gut mit Alfons befreundet ist. Dass er vermutlich einiges weiß. Und wenn das der Fall ist, dann wird es unmöglich sein, auch nur irgendetwas vor ihm geheim zu halten.
Herr Melatoni verbeugt sich. „Ich grüße Sie, Baroness. Darf ich mich setzen?" Ich nicke und biete ihm Tee an. Er lehnt dankend ab. Er lümmelt sich entspannt in einem Lehnstuhl und beobachtet mich eine Weile nur. Gerade, als ich beginne, mich unter seinem Blick unwohl zu fühlen, fragt er: „Wie geht es Ihnen Baroness?"
Ich kneife die Augen zusammen und habe das Gefühl, dass es sich um eine Fangfrage handelt. „Ausgezeichnet", lüge ich schließlich und sage genau das, was man von mir erwartet. „Ich bin frisch verlobt und habe die letzten Tage mit meinem Zukünftigen sehr genossen. Und wie geht es Ihnen?"
Santos Melatoni antwortet nicht. Ich finde es erstaunlich, wie unruhig mich seine Präsenz macht. Normalerweise ist er eher charmant und zugänglich, wenn ich ihm begegne, doch ich kann plötzlich verstehen, warum er in seinem Beruf so gut ist. Er muss nur in diesem Stuhl sitzen und mich lächelnd mustern und schon habe ich das Gefühl, keine Kontrolle mehr über die Situation zu haben.
„Das muss seltsam für Sie sein, Baroness", fährt er schließlich fort. „Sie wissen, dass Alfons und ich uns gut kennen, aber vermutlich wissen Sie nicht, wie gut. Und Sie wissen nicht, wie viel ich weiß." Ich verschränke die Arme vor der Brust. „Und, wie gut kennen Sie sich? Wie viel wissen Sie?" Vermutlich zeigt es Schwäche, dass ich sein Spiel mitspiele. Auf jeden Fall zeigt es, dass er die Konversation beherrscht. Doch das ist mir im Moment egal, weil ich die Antwort auf meine Frage brauche, um ihn einschätzen zu können.
Zu meiner Überraschung antwortet er ohne zu Zögern: „Sagen wir es mal so: Ich stehe Alfons in etwa so nahe wie Sie Ihrer Freundin Katharina von Lelac. Wie viel weiß sie?"
Mein Körper wird von einem Zittern erfasst. Es ist nicht nötig, dass er mehr sagt. Er weiß, dass Katharina alles über mich weiß.
Ich hole tief Luft und schiebe trotzig mein Kinn nach vorne. „Katharina würde ihr Wissen niemals gegen mich verwenden", fauche ich und bin überrascht, dass ich dazu in der Lage bin. Herr Melatoni gibt sein entspanntes Lümmeln auf und beugt sich vor, die Ellbogen auf die Knie gestützt. Und ich habe das Gefühl, dass sich mit dieser Haltung alles ändert. Sein Lächeln ist nicht mehr überlegen, sein Blick nicht mehr so durchdringend. Stattdessen kann ich aus seiner Mimik lesen, dass er sich Sorgen macht.
„Baroness, ich entschuldige mich für meine Kommunikationskultur. Aber ich wollte einschätzen, wie weit Ihre Selbstbeherrschung reicht, wie offen ich mit Ihnen sprechen kann. Ich bin hier, um Sie zu schützen. Ich habe darum gebeten, dieses Gespräch mit Ihnen führen zu dürfen, obwohl man mich lieber dem Botschafter zugeteilt hätte. Sie haben einen so guten Ruf, dass Ihnen niemand zutraut, etwas über diese Politik zu wissen und Sie stehen dem Königshaus so nahe, dass niemand erwartet, dass Sie irgendetwas tun könnten, was über simple Pflichterfüllung hinausgeht. Ihre Eigenwilligkeit ist bekannt, aber sie wird als oberflächlich betrachtet und niemand nimmt auch nur im Geringsten an, dass in einen Konflikt hineingezogen worden sein könnten, vor dem das Königshaus Sie hätte schützen müssen. Aber die Dinge haben nun mal eine sehr unglückliche Wendung genommen. Ich nehme an, Sie wissen nicht, was Alfons bei dieser Ratsversammlung gesagt hat. Er hat sich hingestellt und verkündet, der König hätte seine Liebe und seine Zukunft zerstört. Und das führt dazu, dass wir Journalisten angehalten sind, jede Dame, mit der wir sprechen, eindringlich zu fragen, ob Alfons an ihr Interesse gezeigt hat.
Ich wusste nicht, wie gut Sie lügen können. Und ich wusste nicht, ob meine Kollegen bei ihren Nachforschungen nicht vielleicht darüber gestolpert wären, dass Sie gemeinsam mit ihm Ihre Familie besucht haben. Oder dass Sie Alfons auf dem Verlobungsball ein Glas Wasser ins Gesicht gekippt haben. Übrigens das Standardmanöver einer unglücklich verliebten Frau. Das alles hätte Fragen aufgeworfen und Sie in ein schlechtes Licht gerückt. Und nicht nur Sie, das wissen wir beide. Deshalb habe ich darum gebeten, Ihnen zugeteilt zu werden. Weil ich alles über Sie weiß und kein Interesse daran habe, dass auch nur ein Quäntchen davon an die Öffentlichkeit kommt."
Ich starre ihn an. „Sie stellen also die Freundschaft zu Alfons über die Pflicht Ihrem Arbeitgeber gegenüber?" Santos Melatoni zuckt mit den Schultern. „Normalerweise mache ich meine Arbeit überaus gewissenhaft und ich habe ihm in der letzten Zeit mehr als eine reißerische Schlagzeile geliefert. Er weiß, dass ich eigenwillig bin und er weiß, was er an mir hat. Und wenn er das irgendwann nicht mehr sehen sollte, dann werde ich weiterziehen. Es ist nur eine Arbeit. Der Journalismus ist nicht das, was mein Leben ausmacht."
Er lächelt und auf einmal kann ich sein Lächeln erwidern. Ich kenne Santos Melatoni so gut wie gar nicht und sicherlich wird er vor allem mir die Schuld geben, dass Alfons unglücklich ist, aber dennoch steht er an meiner Seite. Und das ist das beste, was mir diese Woche widerfahren ist.
„Aber Sie werden doch irgendjemandem berichten müssen, worüber wir gesprochen haben." Er grinst verschlagen. „Oh ja, und darauf bin ich vorbereitet. Wie gesagt, alle glauben, dass Sie eh nichts zu diesem Skandal beigetragen haben, also wird es mir jeder abnehmen, wenn ich sage, dass ich meine Zeit mit Ihnen genutzt habe, um andere Themen anzusprechen. Und mein Fazit aus diesem Gespräch wird sein, dass Sie die Wahl Ihres Gatten nach der Präferenz des Königs gerichtet haben, dass Sie für Ihr Brautkleid auf klassische Schnitte und Perlen setzen werden, dass es vermutlich nur einen Monat dauert, bis entweder Sie oder Ihre Schwiegermutter sich auf einen Landsitz der Guondals zurückzieht und dass man Ihren Zukünftigen von nun an wohl häufiger im Herrenclub zu sehen bekommt, da er es zwischen zwei meinungsstarken Frauen wohl kaum aushalten wird."
Ich mustere ihn fasziniert. „Sie sind wirklich gut in dem, was Sie tun. Diese Dinge sind alle wahr, zumindest was mich betrifft, und dabei habe ich nie auch nur darüber nachgedacht, was ich zu meiner Hochzeit tragen werde oder wohin die Abneigung zur alten Gräfin noch führen wird."
Herr Melatoni seufzt und wird wieder ernst. „Ich sagte doch, ich weiß alles. Und fast alles über Sie. Ich habe Alfons davor gewarnt, um Sie zu werben. Ich wusste um Ihre Position und Ihr Temperament und es gab so viele Möglichkeiten, wie sein Werben hätte scheitern können. Aber dass es letztendlich der König sein würde, der Ihnen offen ins Gesicht lügt, damit hätte ich nicht gerechnet. Und es tut mir leid. Für Alfons und auch für Sie. Auch wenn Sie das vielleicht denken, ich gebe Ihnen nicht die Schuld."
Ich nicke dankbar. „Das weiß ich zu schätzen." Es entsteht eine Pause und Santos Melatoni schaut auf die Standuhr des Salons.
„Nun denn, ich glaube, ich habe genug Ihrer kostbaren Zeit in Anspruch genommen. Ich wünsche Ihnen alles Gute."
Er verabschiedet sich mit einer Verbeugung und verlässt mich.
Verwirrt rekapituliere ich unser Gespräch. Seine Offenheit und Ernsthaftigkeit, dann die Aussagen über mein Kleid und meine Zukunft mit Graf von Guondal. Ich zweifle nicht daran, dass das alles so eintreten wird. Ich habe mich so mit Alfons und meiner gescheiterten Zukunft beschäftigt, dass mir die Folgen meiner neuen Zukunft nicht wirklich bewusst geworden sind. Aber letztendlich wird meine Heirat dazu führen, dass ich mit meiner Schwiegermutter so lange aneinandergerate, bis eine von uns weichen muss. Es wird dazu führen, dass ich keinen Rückhalt mehr vom Grafen erfahren werde, dass unsere Ehe nur aus Zweck und Pflicht besteht. Und davor bekomme ich Angst.
Und plötzlich fällt mir etwas ein, das Santos Melatoni gesagt hat. Ich sehe ihn vor mir, wie er entspannt in seinem Stuhl lümmelt und sich in seiner Rolle als Journalist absolut wohlfühlt. Und doch konnte er schulterzuckend sagen, es sei nur eine Arbeit. Es sei nicht das, was sein Leben ausmacht.
Ich springe auf. Denn ich, was ich tun muss.
***
„Das kannst du nicht tun!" Katharina sieht mich entgeistert an. „Theodora, ich weiß, dass du verletzt bist und dass du Angst hast, aber glaub mir, es wird besser werden. Du wirst mit dem Grafen zusammenwachsen."
Ich werfe hilflos meine Arme in die Luft. „Nein, das werde ich nicht! Katharina, begreife es doch. Es ist nicht wie bei dir und Lelac. Ihr hattet ein paar Probleme, aber seine Familie liebt dich, er liebt dich und du liebst ihn. Aber ich liebe Alfons. Ich verabscheue den Grafen, ich hasse seine Mutter und ich weiß, dass es andersherum ähnlich ist. Ich will nicht schauen und hoffen, dass es irgendwann besser wird. Lieber gebe ich meinen Status auf als meine Freiheit und die Chance auf Glück. Das alles hier", ich deute um mich auf meine Möbel, den Schmuck, die Kleider, „es macht mich nicht aus. Es bedeutet mir nichts. Dafür war ich sowieso nie geschaffen. Meine Eltern wollten diese Zukunft für mich, aber mir bedeutet sie nichts."
Katharina rauft sich die Haare. Ihre derangierte Frisur zeigt deutlich, dass es nicht das erste Mal während unseres Gespräches ist.
„Aber der König wird niemals zulassen, dass du deine Verlobung löst. Und wenn doch, dann wirst du hier nicht mehr bleiben dürfen. Du hast kein Geld, wo willst du hin?"
Ich seufze. „Ich habe ein wenig Geld. Ich werde erst in ein Gasthaus gehen. Dann werde ich mich bei Alfons für meine Dummheit entschuldigen, mich mit einem anderen Mann verloben zu lassen. Und dann sehe ich weiter. Ich könnte arbeiten. Oder das Land verlassen. Oder zu Kassandra ziehen. Egal was kommt, alles ist besser als die Repressalien des Königs und der Graf als zukünftiger Ehemann."
Katharina sieht mich kläglich an. „Theodora, du weißt, dass ich deine Freundin bin und dich immer unterstütze. Aber diesen Plan... ich kann dir nicht helfen und ich weiß nicht, ob ich es wollen würde. Das musst du alleine durchführen. Wenn du das wirklich willst, dann bist du allein. Ich muss an den Ruf meiner Familie denken. Ich muss zuerst Terence' Interessen schützen. Und bitte nimm nicht an, dass zwischen dir und dem Fürsten alles so werden kann, wie vorher. Er wird sich auch vor dem schlechten Ruf schützen müssen, der dir anhaften wird."
Katharina sieht mich bedauernd an, aber ich nehme ihr diese Worte nicht übel. Es ist ein Punkt erreicht, an dem jede für sich entscheiden muss. Und ich weiß, dass ich niemanden mit meiner Entscheidung belasten darf. Aber genauso wenig sehe ich es ein, dass ich mein Leben weiterhin nach anderen ausrichte.
Ich hinterfrage mich, ob ich darauf hoffe, dass es für Alfons und mich noch eine Zukunft gibt. Und die ehrliche Antwort ist Ja. Natürlich mache ich mir noch etwas vor, natürlich habe ich noch Hoffnung. Selbstverständlich wünsche ich mir, dass Alfons mir vergibt und mich trotz allem noch liebt. Doch auch, wenn sich diese Hoffnung zerschlagen sollte, würde ich ein Leben haben, das ich lieber führen will als das derzeitige. Und deshalb bin ich bereit, das alles aufzugeben.
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Die Fürstin
Historical FictionEine berühmte Hofdame. Ein einflussreicher, junger Fürst. Ein Konflikt zwischen Liebe und politischem Streit. Theodora von Mühlen zählt als eine der einflussreichsten Personen am calischen Hof und stützt als Hofdame das Prestige der Königsfamilie. F...