Kapitel 32 - Theodora

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Die Bäume lichten sich und geben den Blick frei auf die ersten einfachen Häuser. Wahllos verteilt und schief und schräg aneinandergebaut ergeben sie das Dorf, das ich noch aus meiner Kindheit kenne. Hier hat sich nicht viel verändert.
Die Menschen gehen betriebsam ihrem Tagewerk nach und nicht selten versperrt ein Fuhrwerk den Weg für die Passanten, die durch die wahllos arrangierten Gassen und Straßen eilen.
Unwillkürlich tritt ein Lächeln auf mein Gesicht. Ich fühle mich in eine Zeit zurückversetzt, in der alles noch so einfach war. In der das Dorf die Grenzen meiner Welt bedeutete und ich unbeschwert ein paar Münzen über den Marktstand reichen konnte, um dafür heiße Maronen oder Krapfen zu bekommen und für die nächste Stunde satt und selig zu sein.
Aber es ist nicht alles gleichgeblieben. Ich bemerke, wie die Menschen anfangen zu tuscheln, wenn sie mich sehen und erkennen. Ohne Zweifel hat der Hof aus mir eine feine Dame gemacht. Ich bin mit meinen schlichtesten Kleidern gereist, aber die Stickereien, die Farben und Schnitte stellen dennoch alles in den Schatten, was man hier bekommt. Ich bin auch nicht mehr der kleine Wildfang von damals. Mein Gang ist aufrecht, meine Schritte sicher, mein Blick niemals zu Boden gesenkt. Meine Welt hat sich vergrößert und diese Erfahrung strahle ich aus.
„Es ist zauberhaft", meint Alfons verblüfft. „Ich kann mir gut vorstellen, dass Sie hier aufgewachsen sind. Anders als..." Ich lächele wehmütig. „Anders als in meinem Elternhaus. Ja, das kann ich gut verstehen. Hier ist alles noch wie damals. Und das ist schön."
Einen Moment lang verfallen wir in Schweigen, dann fragt er amüsiert: „Wo ist denn nun dieser Seifenladen, der mir einen seltsamen Morgen und Ihre Begleitung beschert hat?" Ich lächele. „Wollen Sie dorthin wirklich zuerst gehen? Denn wenn wir einmal da sind, dann dauert es eine Stunde, bis ich bereit bin, mich den anderen Einkäufen zu widmen." Er schmunzelt. „Ich dachte, Frauen interessieren sich für Schmuck, Kleider und Schuhe und nicht für Seife." Ich zucke mit den Schultern. „Ich aber nicht. Ich liebe die Düfte. Als ich klein war, fand ich Kleider und Schuhe ziemlich blöd. Sie konnten beim Spielen nur schmutzig werden und dann erntete ich eine Rüge von meiner Mutter und von der Hausdame, die mich umkleiden musste. Seife dagegen hat mich immer sauber gemacht und danach gab es Lob."
Alfons lacht und folgt mir in eine Seitengasse. Ein paar Abzweigungen später stehen wir in einem Nebel von Gerüchen vor einem kleinen Geschäft mit blau-weiß gestreifter Markise. Der Türrahmen ist schon ein wenig abgewetzt und die Fenster eine Weile nicht mehr geputzt, aber meine Augen fangen an zu leuchten. „Ich liebe diesen Ort", sage ich euphorisch. „Kommen Sie, gehen wir hinein."
Alfons öffnet mir widerspruchslos die Tür und eine helle Glocke kündigt unsere Ankunft an. Auf schmalen Holzregalen sind kleine und große Seifen in hübschen Pyramiden aufgebaut. Einige sind ganz einfach, cremefarben oder weiß, andere sind farbig, mit eingeschlossenen Blüten, Gewürzen oder Blattgold. Es gibt Stücke, die aus einem großen Block zurechtgeschnitten wurden und grobe Kanten besitzen, andere sind sorgfältig in Form gegossen und mit Bildern oder Wörtern geprägt.
„Ich hielt das Seifendilemma für eine ziemlich schlechte Ausrede", gibt Alfons zu, „aber tatsächlich muss ich sagen, dass es eine wahnsinnig gute ist." Ich runzele die Stirn. „Das war doch keine Ausrede", widerspreche ich so überzeugend wie möglich. Der Fürst lächelt. „Natürlich war es das. Erstens habe ich gestern im Badezimmer noch ein ganzes Stück Seife gesehen und zweitens glaube ich, dass zwei Schwestern, die sich so nahestehen wie Sie und Baroness Kassandra, einiges mehr zu erzählen haben, wenn sie allein gelassen werden."
Ich verschränke die Arme vor der Brust. „Fein, denken Sie doch, was Sie wollen. Sie werden dennoch nicht erfahren, worüber wir gesprochen haben." „Dann geben Sie es also zu?" „Das habe ich nicht...", setze ich verdattert an, werde jedoch unterbrochen von einem lauten „Baroness von Mühlen? Das sind Sie doch, nicht wahr?"
Wir wenden uns dem Sprecher zu, einem kleinen, älteren Herrn mit Halbglatze, der mich durch seine runde Brille anstrahlt. Ich lächele erfreut zurück. „Herr Hector, es ist schön, Sie zu sehen. Und es ist noch alles beim Alten. Nur die Ecke mit den orientalischen Seifen ist neu, nicht wahr? Haben Sie den Gewürzhändler doch noch von seinem astronomischen Preis herunterhandeln können?" Der Mann lacht. „Scharfes Auge und scharfe Zunge. Aber ganz recht. Der gute Mann konnte mein Betteln einfach nicht mehr ertragen."
Alfons sieht zwischen uns hin und her. Ich räuspere mich. „Bevor ich meine gute Erziehung vergesse, möchte ich Ihnen meinen Begleiter vorstellen. Das ist Fürst Alfons von Kroesus, ein sehr guter Freund, der mich begleitet hat, damit ich meine Schwester besuchen kann. Und das ist Herr Hector, ihm gehört das Geschäft. Wir haben eine interessante Vorgeschichte."
„Oh ja, das ist wahr", bestätigt der ältere Herr. „Die Baroness kam als kleines Mädchen einmal in den Laden und war unendlich traurig. Sie hatte ihrer kleinen Schwester von meinem Laden vorgeschwärmt und von den Gerüchen, den Farben und all dem. Baroness Kassandra war es aufgrund ihrer besonderen Umstände jedoch nicht möglich und auch nicht erlaubt, selbst herzukommen und das alles zu sehen und deshalb hatte sie ihre ganze Wut gebündelt und an ihrer älteren Schwester ausgelassen. Also haben wir gemeinsam einen Plan geschmiedet."
Ich fahre fort: „Herr Hector und ich haben fortan zu jedem ihrer Geburtstage, zu Weihnachten und zu Ostern eine andere Seife für sie ausgesucht. Er hat sie mir jedes Mal geschenkt." Herr Hector stemmt seine Arme in die Seiten. „Na hören Sie mal, ich werde doch kein Geld verlangen von einem kleinen Mädchen, das seiner Schwester eine Freude machen will. Außerdem haben Sie es tausendmal wieder gut gemacht. In einem Jahr liefen meine Geschäfte nicht so gut und meine Tochter sollte zur Kommunion gehen. Ich konnte mir kein weißes Kleid für sie leisten, obwohl der Anlass so wichtig für uns war. Baroness von Mühlen kam kurzerhand mit einigen ihrer hellen Kleider in den Laden spaziert und meinte, meine Tochter solle sich eins aussuchen. Und sie war wohl das am besten gekleidete Mädchen an diesem Sonntag."
Alfons lächelt. „Das klingt sehr nach Theodora." „Aber wir schweifen ab", sage ich und schaue mich erneut im Geschäft um. „Ich möchte eine Seife für Kassandra aussuchen. Vielleicht helfen Sie mir ja, wie in alten Zeiten?"
Herr Hector nickt eifrig und gemeinsam bewegen wir uns durch das Geschäft. Er zeigt mir seine neuesten Stücke, gibt mir immer wieder etwas zum Riechen und erinnert mich an Sorten, die ich bereits für Kassandra gekauft habe. Schließlich entscheide ich mich für eine Seife mit dem Geruch nach Kirschblüten.
„Danke für Ihre Hilfe", bemerke ich, als ich ihm das Geld dafür reiche. Er schüttelt den Kopf. „Das hat mir große Freude gemacht, Baroness. Und, das muss ich sagen, Sie haben einen sehr geduldigen Begleiter. Wie ich sehe, hat er meine limitierte Ecke entdeckt."
Ich folge seinem Blick und entdecke Alfons, wie er in einer hinteren Ecke an einem Seifenstück schnuppert. Als würde er unsere Blicke spüren, dreht er sich zu uns um.
„Was ist das hier für eine Sorte? Die riecht irgendwie..." Herr Hector schenkt ihm ein breites Lächeln. „Nur zu, sagen Sie ruhig, wie sie riecht." Alfons räuspert sich unbehaglich. „Nun ja, sie riecht nach Theodora."
Ich erröte und senke meinen Blick auf den Fußboden. Der ältere Mann jedoch nickt zufrieden. „Sehr gut, junger Herr. Dieser Geruch hat der Baroness so gut gefallen, dass sie ihn fortan jedes Mal gekauft hat. Die meisten Kunden kaufen gewöhnlichere Gerüche wie Rose oder Vanille, deshalb habe ich diese Sorte irgendwann aus dem Sortiment genommen und nur noch für Baroness von Mühlen hergestellt." Ich lächele schüchtern. „Der Palast hat ordentlich dafür bezahlt, um meine Seife jedes Mal von hier zu kaufen. Aber als Hofdame darf ich es mir leisten, manchmal ein wenig egozentrisch zu sein."
Alfons schmunzelt. „Ohne Frage. Und er steht Ihnen sehr gut, dieser Duft."
Wir verabschieden uns von Herrn Hector und widmen uns den anderen Besorgungen. Ich merke, dass ich heute seit langem mal wieder entspannt und glücklich bin. Kassandra geht es besser, ich genieße die schönen Seiten meiner Heimat und ich fühle mich wohl mit Alfons als Gesellschaft. Für den Moment ist es perfekt. So lange, bis ich an meine Eltern denke oder an das, was mich erwartet, wenn ich wieder bei Hofe bin. Aber darüber muss ich mir jetzt keine Gedanken machen. Denn vorerst bleibe ich hier.

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