Kapitel 19 - Theodora

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Ich sitze mit Ernestine im Teesalon, jede von uns hat eine dampfende Tasse parfümierten Roibos-Tees vor sich und beschäftigt sich mit ihrem Nachmittagsprogramm. Bei mir ist es eine spannende Lektüre über Frauen in der Königsfamilie, Ernestine ist an ihrem Stickrahmen zugange.
Seit Katharina abgereist ist, verbringe ich mehr Zeit mit Ernestine. Und das ist gut so, habe ich gemerkt. Sie stellt kluge Fragen und saugt Wissen in sich auf, ist aber auch manchmal wie ein kühlender Ruhepol für mich, wenn ich wieder von meiner eigenen Gedankenflut überfordert bin. Und ich habe wirklich viel, was mich in letzter Zeit beschäftigt. Die Forderung des Königs, die sicherlich begründete Sorge, bald die nächste Hofdame zu sein, die verheiratet wird, der Calia-Kroesus Konflikt und alles überschattend natürlich Fürst von Kroesus und was ich von ihm halten soll.
Auf ein sanftes Klopfen betritt ein junger Lakai den Teesalon. „Verzeihung, Edle Damen", beginnt er und blickt errötend zu Boden. „Ich bin angehalten, Sie zu fragen, ob Sie gewillt sind, Besuch zu empfangen."
Ich lächele freundlich. „Das ist sehr freundlich vorgetragen, aber bitte verzichte doch das nächste Mal auf die Schachtelsätze", sage ich möglichst sanft. Ich sehe, wie es in Ernestines Mundwinkeln zuckt und der Lakai weiß offenbar nicht, ob er erleichtert oder peinlich berührt sein soll.
„Wer ist es denn?", frage ich ihn. Er richtet sich auf. „Baronin von Lelac", antwortet er knapp. Es dauert eine Sekunde, ehe ich diesen Namen meiner besten Freundin zuordne, dann springe ich begeistert auf. „Sie soll sofort hereinkommen!", sage ich ganz aus dem Häuschen.
Der Lakai öffnet Katharina die Tür und sie betritt freudestrahlend den Raum, um zuerst mich und dann Ernestine fest zu umarmen.
„Was machst du hier? Meine Güte, ich bin so froh, dich zu sehen! Ich hätte erwartet, dich frühestens in einem halben Jahr wiederzusehen, aber nicht nach zweieinhalb Wochen."
Katharina lacht. „Ich habe euch vermisst. Es ist nicht so leicht, sich vom Hof und den Freundinnen von jetzt auf gleich zu entwöhnen. Also habe ich gegenüber einer Cousine von Lelac, die mit einem der Minister liiert ist, fallen lassen, dass es lange kein Gartenfest mehr im Palastpark gab und sie hat die Idee begeistert aufgegriffen. Und da es seine Familie ist, konnte Lelac mir auch nicht den Wunsch abschlagen, daran teilzunehmen."
Ernestine bietet Katharina eine Tasse Tee an, ehe sie sich mit einer Entschuldigung zurückzieht. Ich mustere meine Freundin. Sie sieht etwas abgeschlagen aus, ganz und gar nicht so, wie man sich eine strahlende, frisch verheiratete Frau in den ersten Wochen ihrer Ehe vorstellt.
„Stimmt etwas nicht? Ist alles in Ordnung?", frage ich besorgt. Katharina lässt sich seufzend aufs Sofa fallen und nippt an ihrem Tee. Jetzt, wo Ernestine nicht mehr im Raum ist, sehe ich fast eine fröhliche Maskerade fallen und ich merke, dass sie etwas ernsthaft beschäftigt.
„Das ist der eigentliche Grund, warum ich herkommen wollte. Dieses blöde Gartenfest wäre mir ja egal gewesen, aber ich brauche einfach ganz dringend jemanden zum Reden. Und Lelacs Familie ist nun mal seine Familie. Und meine Eltern erwarten in gewisser Weise, dass ich alles auf die Reihe kriege und weiterhin die perfekte Frau bin. Aber die Wahrheit ist – ich bin einfach ratlos. Ich bin wirklich mit positiven Aussichten in diese Ehe gestartet, ich empfinde eine Zuneigung für meinen Mann, aber ich habe das Gefühl, dass er sich vor mir zurückzieht. Ich bemühe mich um Kommunikation und mache ihm Komplimente, sage ihm, wie gemütlich ich sein Haus finde und wie angenehm die ländliche Lage ist und dass es schön ist, dass ich im Leben wieder ein Stück zurücktreten darf und nicht permanent in der Öffentlichkeit stehe. Aber er blockt das ab. In seinem Haus haben wir getrennte Zimmer und seit der Hochzeitsnacht haben wir nicht die Räumlichkeiten des anderen betreten. Ich habe Angst, dass sich diese arrangierte Ehe als riesiger Fehler entpuppt und ich für ihn nicht die Gefährtin sein darf, die ich gerne wäre. Ich möchte ja nur, dass wir einander vertraut sind und kommunizieren und miteinander wachsen, so wie es vor der Hochzeit unser beider Wunsch war."
Ich sehe ihre Augen feucht werden und das tut mir im Herzen weh. Niemand hätte mit so viel Enthusiasmus in eine arrangierte Ehe gehen können wie Katharina. Und ausgerechnet sie muss sich nun Sorgen machen, dass sie den falschen Partner gewählt hat.
Ich streiche ihr beruhigend über das Haar. „Das ist in Ordnung. Und du solltest dir den Druck nehmen, dass alles von Anfang an perfekt sein muss. Ihr kennt euch kaum und seid nun verheiratet, das ist ganz normal, dass manche Dinge sich da erst finden müssen."
„Und wenn es immer so bleibt?", schluchzt meine Freundin. „Wenn er bereut, mich geheiratet zu haben? Ich will nicht, dass es in Zukunft so weitergeht. Aber ich weiß auch nicht, wie ich es ändern kann, wenn er Gesprächen mit mir aus dem Weg geht." Ich drücke ihre Hand. „Kein Mann könnte bereuen, dich geheiratet zu haben. Du bist liebevoll und verständnisvoll, du willst nicht im Mittelpunkt stehen und machst deine Aufgaben gewissenhaft und gerne. Ich glaube, Lelac hat ein Problem mit sich selber und nicht mit dir. Für ihn hat sich doch schließlich auch einiges verändert. Er ist jetzt für dich verantwortlich und Themen wie Familienplanung und Sorgfaltspflicht rücken in sein Blickfeld. Womöglich braucht er einfach Zeit, um sich mit seinem neuen Rollenbild zu identifizieren."
Ich weiß nicht, warum ich diesen Rüpel auch noch in Schutz nehme, der meine Freundin so unglücklich macht. Was auch immer sein Problem ist, das hätte er sich vor der Hochzeit überlegen sollen. Ich bin überzeugt davon, dass Katharina nichts falsch gemacht hat, denn sie ist ein Engel und sie lebt dafür, es ihrem Gatten in allen Dingen recht zu machen. Aber ich weiß, dass es ihr nicht hilft, wenn ich ihren Ehemann beschimpfe.
„Womöglich hast du Recht", schnieft sie. „Auf jeden Fall kann ich die nächsten Tage ein bisschen Ablenkung gut gebrauchen. Komm, lass uns nach draußen gehen und ein bisschen spazieren gehen."

***

„Was gibt es eigentlich bei dir Neues?", fragt Katharina, als wir im Schlosspark sind, offenbar entschlossen, nicht mehr von ihren Problemen zu reden. Sie sieht mich neugierig an. „Man hört so einiges." Ich verschränke die Arme vor der Brust. „Ach so? Was hört man denn?" „Dass du, liebe Theodora, sehr viel Zeit mit dem Sorgenkind des Reiches verbringst. Dem jungen Fürsten von Kroesus persönlich. Er soll in deiner Gegenwart ja nahezu handzahm sein. Und glaub mir, von dem her, was ich mit eigenen Augen gesehen habe, fällt es mir nicht schwer, das zu glauben."
Ich seufze. „An den  Forderungen von König Ursus hat sich nichts geändert. Ich tue nur meine Pflicht als Hofdame", rechtfertige ich mich – ohne zu wissen, wofür überhaupt. Ich weiß auch nicht, ob diese Aussage überhaupt noch der Wahrheit entspricht. Ehrlich gesagt habe ich in meinen letzten Gesprächen mit Fürst von Kroesus überhaupt nicht an den König oder seine Bitte gedacht.
„Und bevor du fragst - nein, ich habe keine Ahnung, weshalb er mir gegenüber so aufgeschlossen ist", füge ich hinzu.
Katharina schaut nachdenklich ins Leere. „Vielleicht macht er sich ja Hoffnungen?" Ich lache auf. „Da kennst du ihn aber schlecht. Ich bekomme doch mit, wie er und der König sich gegenseitig ausstechen wollen, obwohl ich geneigt bin, dem Fürsten durchaus selbstlose Motive zuzusprechen. Auf jeden Fall hat er überhaupt keine Zeit, sich romantisch zu orientieren. Und selbst wenn, ich wäre mit meiner engen Verbindung zum Königshaus wohl die letzte, die ihn interessiert."
Sie senkt die Stimme, als sie meint: „Dieser Bart ist aber schon gewöhnungsbedürftig, oder nicht? Herren, die seinen Stand bekleiden, sieht man doch sonst gut rasiert."
„Ja, das dachte ich am Anfang auch. Aber inzwischen..." Katharina wirft mir einen warnenden Blick zu, den ich nicht ganz deuten kann. „Inzwischen finde ich ihn eigentlich recht attraktiv."
Meine Freundin räuspert sich peinlich berührt. Und ehe ich mich wundern kann, ertönt hinter mir eine wohl bekannte Stimme, die mich gedanklich im Erdboden versinken lässt.
„Recht herzlichen Danke für das Kompliment, Edle Dame. Solch wohlwollende Worte zu meiner Person vernehme ich selten aus Ihrem Mund."
Ich werde rot und werfe Katharina einen vernichtenden Blick zu. Sie hätte ja auch einfach etwas sagen können. Ich bemühe mich um Contenance und einen gelassenen Gesichtsausdruck, dann wende ich mich zu Fürst von Kroesus um.
„Bilden Sie sich nichts darauf ein, Durchlaucht. In Frauengesprächen haben wir Damen den Hang, zu übertreiben. Außerdem dürfte ich wohl die Einzige weit und breit sein, die Sie nicht gänzlich seltsam findet." Der Fürst zeigt ein Schmunzeln. „Ich glaube, dass Damen in vertrauten Gesprächen am ehrlichsten sind. Und deshalb werde ich mir auf Ihren Kommentar von eben so viel einbilden, wie es mir beliebt. Ihre Meinung ist schließlich die einzige, auf die ich überhaupt etwas gebe. Im Übrigen möchte ich das Kompliment gerne zurückgeben. Ich finde Sie ebenfalls sehr attraktiv. Guten Tag die Damen."
Kaum hat er sich auf dem schmalen Gartenweg an uns vorbei begeben, stupst Katharina mich in die Seite. „Und du sagst, er ist nicht interessiert an dir? Ich wünschte, Baron von Lelac wäre so freizügig mit seinen Komplimenten mir gegenüber. Das würde unsere Ehe sicher bereichern." Ich hake mich bei ihr unter und ziehe sie in die entgegengesetzte Richtung als die, in welche Fürst von Kroesus gegangen ist.
„Lelac schätzt dich sehr. Er hat sich von den vielen Bewerbern, die du hattest, nicht abschrecken lassen. Er ist einfach ein Mann und Männer sind nie gut darin, einer Frau gegenüber offen zu sprechen. Und was Kroesus angeht: Er ist eben der Typ, der immer sagt, was er denkt. In gewisser Weise verspottet er mich doch damit, dass er sich herausnimmt, so ungehemmt mit mir als Mitglied des Hofes zu reden." Katharina zuckt mit den Schultern. „Ich finde, so solltest du das nicht sehen, Dora. Vielleicht mag es dir jetzt noch als Spott vorkommen, aber früher oder später wirst du womöglich merken, dass er doch ernstere Absichten hat als gedacht. Er ist einfach eine ungeschliffene Persönlichkeit, die sich nicht um höfische Höflichkeiten schert. Bleibe doch einfach offen dafür, wie sich diese Sache entwickelt. Und achte vielleicht das nächste Mal darauf, wer zuhört, bevor du solche ehrlichen Kommentare von dir gibst."
Sie kichert und ich stupse ihr meinen Ellbogen in die Seite. „Schön, dass es für dich lustig ist. Ich habe mich gänzlich blamiert. Du hättest mich ja warnen können." Katharina zuckt mit den Schultern. „Aber das wäre ja nicht lustig gewesen", sagt sie, immer noch erheitert.
So peinlich mit meine Bemerkung von eben ist, eine gute Sache hat das Ganze: Meine beste Freundin hat für einen Moment ihre Eheprobleme vergessen.

Die FürstinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt