Kapitel 31 - Theodora

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Das Bett ist hart und unbequem, doch selbst wenn es den Standards des Palastes entsprechen würde, könnte ich jetzt nicht schlafen. Heute ist einfach zu viel passiert.
Ich kann den Gedanken noch gar nicht zulassen, dass meine Eltern mein verdientes Geld veruntreut haben, um sich das zu ermöglichen, was sie unter einem schönen Leben verstehen. Ich kann auch nicht begreifen, dass sie Kassandra und mich -  ihre Kinder – durch meinen verzogenen, gemeinen Cousin ersetzt haben. Ich versuche, dieses Bild meiner Familie mit dem aus meiner Kindheit zu vereinbaren, aber es gelingt mir nicht.
Gut, meine Eltern waren immer ehrgeizig. Unsere Familiengeschichte, so unehrenhaft sie auch ist, hat ihnen vor Augen geführt, wie man es durch Geld zu einem Titel bringen kann. Und ich sollte ihr Weg sein, mit einem Titel Geld zu machen.
Dennoch habe ich sie nie fähig gehalten, uns zu verstoßen. Ich erinnere mich an Sommertage, an denen ich als kleines Mädchen über die Wiesen neben unserem Haus gerannt bin. Ich erinnere mich an gemütliche Kaminabende im Winter mit Geschichten und heißer Schokolade. Ich erinnere mich an den Stolz in den Augen meines Vaters, als ich das erste Mal allein unseren Reitparcours geritten bin und an die Worte meiner Mutter, als sie sagte, ich wäre etwas Besonderes, nachdem man mich als Hofdame gewollt hat.
Wir waren nie reich, aber glücklich. Meine einzige Sorge galt immer meiner kleinen Schwester, die so offensichtlich weniger geliebt wurde als ich, dass es mir wehtat.
Jetzt geht es mir ähnlich wie ihr damals. Jetzt frage ich mich, ob mein Leben eine Lüge war, die meine Eltern aufgebaut haben, um mich für ihr Ansehen zu benutzen. Ich fühle mich hinters Licht geführt und gedemütigt. Ich denke an die Jahre bei Hofe. Natürlich habe ich Katharina kennengelernt, habe eine hervorragende Bildung genossen und mich als Person weiterentwickelt. Aber es waren keine unbeschwerten Jahre. Mein Leben als Hofdame ist geprägt von Leistungsdruck, von Schikanen des Königs und durch den Verlust meiner freien Entscheidung.
Ich frage mich, wofür ich das alles ertragen habe. Ich tat es gerne in dem Glauben, dass Kassandra eine bessere Zukunft hat und die Sorge, die sie braucht und verdient. Ich hätte meinen Eltern den Luxus gegönnt, wenn sie für meine Schwester gesorgt hätten. Doch stattdessen haben sie sich von der Vorstellung eines Lebens als reiche Leute blenden lassen und alles Geld in eine protzige Fassade gesteckt. Sie haben sich einen Ersatzsohn zugelegt, der ihnen nach dem Mund redet. Wie soll ich ihnen das verzeihen?
Ich starre an die schlampig verputze Decke. Das leichte Glimmen des Kamins wirft Schatten und lässt jeden Makel noch deutlicher hervortreten. Ich stelle mir Kassandra vor, wie sie alleine hier wohnt in dieser heruntergekommenen Hütte, angewiesen auf die Güte anderer und mir wird das Herz schwer. Und doch fällt mir auf, dass wir dieses Schicksal im Grunde teilen.
Natürlich, ich habe den König überzeugt, dass er mich fahren lässt. Aber ich wäre nicht hier, wenn Alfons nicht die Güte besessen hätte, seine Geschäfte niederzulegen und mich zu begleiten. Er hat allein an diesem einzigen Tag so viel für mich getan. Er war mir eine Stütze bei meinen Eltern, er hat sich gegenüber Kassandra aufrichtig und freundlich gezeigt, nicht gezögert, ihr zu helfen. Er hat das Haus für uns bewohnbar gemacht, noch bevor ich überhaupt sagen konnte, dass ich hierbleiben muss. Er hat später am Abend, als Kassandras Husten schlimmer wurde, nach einem Arzt geschickt und ihn bezahlt, als er dachte, ich merke es nicht.
Mir wird bewusst, dass ich keine Angst habe, wenn ich mir eine Zukunft an seiner Seite vorstelle. Ich kenne ihn. Ich liebe ihn für das, was er für mich tut. Nicht, weil ich all das von ihm erwarte, sondern weil es offenbart, was für einen selbstlosen, gutherzigen Charakter er hat. Bei ihm weiß ich, dass er sich nicht verstellt, um mir zu gefallen, ich kenne auch seine Ecken und Kanten, seine teilweise unverfrorene Ehrlichkeit, seine Gleichgültigkeit gegenüber dem Königshaus und die Tatsache, dass er keine Scheu hat, Konflikte auszutragen und für das zu kämpfen, was ihm wichtig ist.
Wann immer Katharina mich aufgezogen oder auch ernsthaft gefragt hat, was zwischen uns sei, habe ich das Thema abgebogen. Mein Argument, ich sei aufgrund meines niedrigeren Ranges und meiner Verbindung zum Königshaus wohl die letzte, für die er sich interessieren könnte, hatte mich stets davor bewahrt, über meine Gefühle nachzudenken. Ob ich ihn akzeptieren würde, wenn er wider aller Erwartungen um meine Hand anhielte.
Doch jetzt ist das anders. Jetzt liegt er nur eine schäbige, schmale Holztür entfernt auf einem unbequemen Sofa in einem feuchten Haus und sorgt für meine Schwester und mich, als wären wir seine Familie. Jetzt kann ich nicht mehr anders, als zu denken, dass er Gefühle für mich haben muss.
Mein Herz klopft schneller bei dem Gedanken, aber ich weiß dennoch nicht, was ich jetzt tun soll.
Ich seufze und drehe mich auf die Seite. Vielleicht sollte ich mit Kassandra darüber reden. Meine Schwester hat ein scharfes Auge und eine starke Meinung und wird vermutlich sowieso schon wissen, was mich beschäftigt.
Mit dieser Überlegung versuche ich, meine Gedanken zum Schweigen zu bringen und endlich einzuschlafen. Aber es dauert sehr lange, bis mir endlich die Augen zufallen und ich in einen unruhigen Traum versinke.

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Die FürstinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt