Kapitel 39 - Alfons

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Die Lakaien öffnen mir die Türen zum Ratssaal. Der gesamte königliche Rat ist anwesend, ebenso der Hochadel und ausgewählte Vertreter der Presse. Sie sollen Zeugen werden, wie Geschichte geschrieben wird.
Der König sitzt zufrieden in seinem massiven Lehnstuhl am Kopf des Tisches, vor sich einen Stapel an Dokumenten, Siegelwachs und Tinte. Wir sind uns einig geworden. Bereits vor meiner Reise mit Theodora waren die Verhandlungen beinahe zu einem Abschluss gekommen. Ich war bereit, Zugeständnisse zu machen, weil ich den Eindruck hatte, der König wäre fair. Doch jetzt rechne ich damit, auch hiermit hintergangen zu werden. Vielleicht war ich durch mein Werben um Theodora zu beschäftigt, um jede Folge für mein Fürstentum abschätzen zu können. Oder vielleicht ist das auch ein wunderbarer Vertrag, der sowohl Calia als auch Kroesus voranbringt. Egal, was darinsteht, ich bin zu einem entschlossen: Ich werde mit diesem Menschen keine Verträge schließen. Er hat den letzten Rest meines Wohlwollens verloren.
Kurioserweise bin ich mir ziemlich sicher, dass der König nicht weiß, dass Theodora und ich gestern Abend das ganze Ausmaß seiner Pläne durchschaut haben. Er muss davon ausgehen, dass seine Hofdame nicht den Wunsch hatte, überhaupt noch mit mir zu reden. Und vermutlich ist es auch allgemein bekannt, dass ich das Fest bereits weit vor Mitternacht verlassen habe. Wie hätte ich bis heute Morgen von der Verlobung erfahren sollen? Er wiegt sich in Sicherheit und das werde ich nutzen. Ich werde seine Hoffnungen vernichten, so wie er meine vernichtet hat.
Ich steuere gemächlich den Platz rechts von König Ursus an, der für mich freigelassen wurde. Ich lasse mich nieder und verschränke abwartend die Hände. Mir gegenüber sitzt Prinz Titus, bereit, sich Notizen zu machen. Ich bin mir sicher, dass er keine Stimme im Rat besitzt, so jung wie er ist. Aber er ist anwesend, um zu lernen. Und – wie gesagt – heute wird Geschichte geschrieben.
Der König erhebt sich und die beiden Protokollanten an den Längsseiten des Saales zücken ihre Federn.
„Sehr geehrter Fürst Alfons von Kroesus, verehrte Mitglieder des Rates, meine Damen und Herren. Heute bezeugen wir Regentschaft in ihrer reinsten Form. Heute gestalten wir die Zukunft unseres Reiches. Ein politischer Streit, der Generationen überdauert hat, wird heute beigelegt. Seine Durchlaucht und ich haben nach bestem Wissen und Gewissen darum gerungen, eine Fehde beizulegen. Und mit unserem Vertrag zur Calia-Kroesus-Kooperation haben wir dies erfolgreich bewerkstelligt."
Die Protokollanten pinseln eifrig mit, während der König die Inhalte des Vertrages umreist. Ich erkenne Santos bei den Vertretern der Presse und bin froh, dass er hier ist. Er sucht den Blickkontakt mit mir und sieht besorgt aus.
Wir haben gestern nicht miteinander gesprochen. Aber ich weiß, dass er den Ball bis zum Schluss besucht hat und dass er Zeuge der Verlobung von Theodora wurde. Etwas, das ich mir nicht antun konnte. Ich vermute, dass er sich fragt, ob ich Bescheid weiß. Er wird es herausfinden. Er wird es sehr bald herausfinden.
König Ursus kommt zum Ende seiner Ansprache. „Und so werdet Zeuge, verehrte Bürger dieses Landes, wie wir heute Geschichte schreiben. Wie Kroesus zu Calia zurückkehrt."
Er lässt sich auf seinem Stuhl nieder, während Beifall einsetzt. Wie inszeniert greift er zu der Feder, taucht sie in Tinte und setzt bedacht seine Unterschrift unter den Vertrag. Er greift nach dem Siegelwachs, das bereits in einem Silberlöffel über einer Kerze erhitzt wurde und lässt es auf das Papier fließen. Er nimmt seinen Ring vom Finger – den Siegelring, den es nur ein einziges Mal gibt – und drückt das Motiv in das weiche Wachs.
Die Adligen applaudieren abermals. Ein Lakai tritt heran, hebt die Dokumente vorsichtig auf ein Tablett und arrangiert sie vor mir neu. Feder, Tinte und Wachs werden ebenfalls an meinen Platz übertragen.
Alle schauen mich erwartungsvoll an, warten darauf, dass ich die Feder aufnehme. Stattdessen stehe ich auf, wie der König vormals.
„Eure Majestät, verehrte Mitglieder des Rates, sehr geehrte Damen und Herren. Ich weiß, ich störe das Protokoll, indem ich persönlich das Wort erhebe, aber dies ist ein denkwürdiger Augenblick in der Geschichte des Reiches und in der Historie meiner Familie und ich möchte selbst ein paar Worte verlieren."
Die Ratsmitglieder nicken wohlwollend, die Presse spitzt die Ohren und der König lehnt sich entspannt zurück. Die Protokollanten nehmen ihre Federn wieder auf.
„Die erste Lektion, die mir mein verstorbener Vater mit auf den Weg gab, war jene, niemals Liebe und Politik zu vermischen. Und diese Lehre hat ihre Berechtigung. Sie hat uns in diese Lage gebracht. Calia und Kroesus wären heute noch eins, wenn es die Liebe nicht gegeben hätte. Ich war gewillt, dieser Regel ein Leben lang zu folgen. Und dann kam ich her, an den calischen Hof, und verliebte mich in eine Dame, die enger mit dem Königshaus verbunden ist, als es meine Vorfahren gutgeheißen hätten. Und ich entdeckte diese Liebe als Grund und als Chance dafür, unsere verschiedenen Heimaten zu einer Heimat zu machen. Und das führte zu diesem Vertrag."
Einige anwesenden Damen greifen sich ergriffen an die Brust. Der König runzelt die Stirn.
„Ich bin nun der Meinung, dass Liebe und Politik nicht trennbar sind. Wir versuchen es. Wir Mächtigen versuchen es immer wieder. Doch wir scheitern. Wir scheitern durch die Liebe zur Macht, durch die Liebe zu unserem Volk und durch die Liebe zu einer Frau. Da Gefühle und Politik für mich so untrennbar zusammenhängen, werde ich keiner Person politisch vertrauen, der ich nicht privat vertrauen kann."
Ich wende mich zum König und sehe, dass er nicht ganz greifen kann, was nun kommen wird, aber dennoch ahnt, dass es nicht so läuft, wie er will.
„Majestät, Sie haben mich im Privaten hintergangen und deshalb werde ich Ihnen politisch keine Zugeständnisse machen. Meine Chancen auf Glück sind vereitelt und so sind es Ihre Pläne für die Zukunft."
Ich greife nach dem Vertrag und reiße ihn in der Mitte entzwei. „Sehr verehrte Damen und Herren, Ihre Hoffnungen für die Zukunft scheitern an der Hinterhältigkeit Ihres Königs. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit."
Ich schiebe meinen Stuhl zurück, während um mich herum das Chaos ausbricht. Die Anwesenden verfallen in Diskussionen und Beschimpfungen, die Ratsmitglieder stehen auf und bedrängen den König, er solle etwas tun, ein Lakai sammelt sie Schnipsel des Vertrages auf, der nunmehr wertlos geworden ist. Und ich schreite mit grimmiger Zufriedenheit aus dem Saal, während der König mir hinterhersieht, erstarrt, als wäre er aus Eis.

***
„Was zur Hölle hast du da gerade getan?", fragt Santos aufgeregt, während ich die Dienerschaft anweise, mein Gepäck aus dem Zimmer zu tragen. Gepackt habe ich schon gestern.
„Ich habe verhindert, dass Theodora und ich zu Spielbällen des Königs werden." Santos kneift die Augen zusammen, wie immer, wenn er jemandem nicht ganz folgen kann.
„Alfons, Theodora hat dich abgewiesen. Sie hat einen anderen gewählt, aus welchen Gründen auch immer. Schiebe das jetzt nicht auf den König und wirf nicht die Arbeit der letzten Monate weg. Du machst dir Feinde!"
Ich schnelle herum. „Lass Theodora aus dem Spiel. Sie hat eine falsche Entscheidung getroffen, indem sie aus Verzweiflung der Verlobung mit diesem Grafen zugestimmt hat, aber ich habe auch falsch entschieden, indem ich so lange gewartet habe, mit ihr zu reden. Aber der König hat die Fäden in seiner Hand gehalten. Er hat genau darauf gezählt. Er hat ihr verschwiegen, dass ich um sie werbe und nur deshalb sind wir jetzt beide unglücklich. Ich werde mich hüten, diesem Mann noch weitere Zugeständnisse zu machen."
Ich verlasse den Raum und Santos eilt hinter mir her. „Wie bitte? Bist du dir sicher? Meinst du nicht, dass Theodora sich vielleicht rausreden wollte?" Ich strafe meinen Freund mit einem finsteren Blick.
„Ich vertraue Theodora. Ihr Leben ist genauso zerstört wie meins. Das habe ich ihr angesehen."
Santos seufzt. „Aber Alfons, du wirst dir Feinde machen." „Das sagtest du schon." „Ja, weil es stimmt! Die Mehrheit Calias hat erwartet, dass ihr zu einer Einigung kommt. Du bist in Schwierigkeiten, mein Freund."
Ich schüttele den Kopf. „Die Mehrheit Calias hat gar nichts erwartet, weil es dem einfachen Volk egal ist, so schlecht, wie es in weiten Teilen Calias gebildet ist. Der Adel ist wütend, mit Sicherheit. Sie hätten von meinem Geld vermutlich ihre Ausschweifungen finanziert. Und der König ist höchst wahrscheinlich rasend. Aber sie können mir nichts anhaben. Mein derzeitiger Erbe ist sowohl eitel, als auch ein Nichtsnutz. Er würde Kroesus in den Ruin treiben und das würde die Abgaben ans Königshaus nicht gerade erhöhen."
„Meinst du nicht, dir ist das alles ein wenig zu gleichgültig? Die anwesende Presse wird dich verschmähen und niemand wird danach fragen, dass er dir deine Liebste genommen hat."
„Dann schreib du doch die Wahrheit!", herrsche ich ihn an. Ich trete hinaus auf den Vorplatz des Schlosses, wo meine Kutsche schon vollständig beladen zur Abfahrt bereitsteht. Santos, der mir immer noch folgt, schweigt eine Weile, ehe er meint: „Ich würde meine Arbeit verlieren, wenn ich mich öffentlich gegen den König stelle. Das weißt du. Also verlange es nicht."
Ich spüre, dass meine Augen feucht sind, dass ich die Tränen zurückhalten muss, die vor lauter Elend aus mir herausbrechen wollen. Seit gestern Abend habe ich sie zurückgedrängt und mich auf mein Vorhaben heute fokussiert. Aber das hat mir Theodora nicht zurückgebracht. Ich drehe mich zu Santos um.
„Das würde ich niemals von dir verlangen. Es tut mir leid. Aber jetzt, wo ich Theodora nicht mehr habe, muss ich wenigstens auf mein Fürstentum aufpassen und es beschützen. Und deshalb muss ich dafür sorgen, dass dieser Mensch, der uns beide die ganze Zeit benutzt hat, keine Macht über mich und meinen Teil des Reiches bekommt. Das ist keine Rache. Das ist Selbstschutz. Und das hat Theodora mir geraten. Sie hat ein sehr gutes Verständnis für Politik."
Santos schließt mich in seine Arme. „Fahr vorsichtig. Und tu, was du tun musst. Ich werde hierbleiben müssen, um die Stimmung aufzuschnappen, sonst würde ich dich begleiten. Es tut mir so leid für dich."
Ich nicke knapp und steige in die Kutsche. Die Tür schließt sich und als ich vom Vorplatz rolle, habe ich das Gefühl, einen großen und wichtigen Teil meines Lebens für immer zurückzulassen.

Die FürstinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt