Kapitel 13 - Alfons

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Ich atme die Atmosphäre um mich herum ein. Bücher, Holz, Staub, ein Geruch, der mich an Zuhause denken lässt. Da ich mich nicht wohl dabei fühle, alleine durch das Schloss zu streifen und sonst wem zu begegnen, habe ich mich mit Santos in die Bibliothek zurückgezogen. Mein Freund scheint – seit ich hier im Palast wohne – immer einen Vorwand zu finden, ebenfalls hier aufkreuzen zu können. Er behauptet hartnäckig, dass er Recherche zur Hochzeit von Baron von Lelac und Katharina Mollock betreibt, doch ich habe den begründeten Verdacht, dass er einfach den Vorwand und die Umgebung genießt und es sich für ein paar Tage gut gehen lässt. Er hat sich in den Ohrensessel neben meinem fallen lassen und liest in einer leichten Komödie. Ich selbst habe einen Geschichtsband auf meinem Schoß, den mir der Bibliothekar nach einem ausführlichen Gespräch über meine Interessen empfohlen hat. Der alte Mann – Adalmar, wie er sich vorgestellt hat – scheint mir so verstaubt und geschichtsträchtig wie die Bibliothek zu sein und erinnert mich ein wenig an einen ehemaligen Kroesus-Verwalter, den ich als Kind vergöttert habe.
„Und, hast du dir inzwischen schon etwas überlegt?", flüstert Santos nicht wirklich verhalten in die Stille hinein. Ich hebe meinen Kopf und unterbreche mich in einem Absatz über den ersten König von Arex.
„Was soll ich mir überlegt haben?", flüstere ich etwas leiser zurück. Santos beugt sich weiter zu mir. „Wie du weiter vorgehst mit Baroness von Mühlen. Wie willst du an sie herankommen?"
Ein ungehaltenes Räuspern in meinem Rücken ertönt und kurz darauf vernehme ich die Stimme des Bibliothekars: „Das ist eine Bibliothek, ein Raum der Stille und der Studien. Wenn Sie sich über Nichtigkeiten unterhalten wollen, empfehle ich einen der königlichen Teesalons für ein Kaffeekränzchen."
Adalmar verschwindet hinter dem nächsten Bücherregal und ich vertiefe mich wieder in die Chronik um die Schlacht bei Arenfelde, der Hauptstadt von Arex. Zumindest versuche ich es, denn Santos wispert: „Im Ernst, hast du dir schon mal überlegt, dass sie dich vielleicht gar nicht mag?"
Ich seufze übertrieben auf. „Santos, ich versuche hier zu lesen. Wenn ich mir Gedanken über etwas anderes als über die Geschichte von Arex machen wöllte, dann hätte ich mir einen Knigge-Ratgeber oder dergleichen herausgesucht. Ich glaube, du willst dieses Thema permanent aufwärmen, weil deine Lektüre nicht anspruchsvoll genug ist."
Mein Freund verzieht beleidigt das Gesicht. „Ich versuche ja nur zu helfen. Es macht viel mehr Spaß, sich um dein Liebesleben zu kümmern als um mein eigenes. Außerdem – irgendwer muss ja die Initiative ergreifen, wenn du die Frau für dich gewinnen willst. Und du bist es schon mal nicht."
Ich vertiefe mich kommentarlos wieder in mein Buch. Santos' Argumente sind nicht ganz von der Hand zu weisen, doch ich weiß einfach nicht, wie ich vorgehen soll. Und ehe ich mich in Grübeleien verliere, kann ich mich genauso gut ernsthaft weiterbilden.
Ich habe zwei weitere Seiten gelesen, da werden meine Gedanken erneut unterbrochen von einer Unterhaltung ein paar Regale weiter vorne.
„Edle Dame, wie schön, Sie wieder einmal zu sehen", erkenne ich die Stimme des Bibliothekars. „Hat Ihnen das Buch gefallen? Sie haben außergewöhnlich lange dafür gebraucht." „Das stimmt, Adalmar, aber es war sehr gut", vernehme ich eine weibliche, mir wohlbekannte Stimme. Santos blickt von seinem Roman auf und zwinkert mir verschmitzt zu, während mein Herz einen Satz macht.
„Mit Katharinas Hochzeit ist irgendwie sehr viel zu tun und ich komme weniger zum Lesen, als ich es möchte. Aber vielleicht sind Sie dennoch so freundlich, mir den zweiten Band herauszusuchen, von dem Sie sprachen. Über die Unabhängigkeitskriege weiß ich noch nicht so viel."
Santos blickt mich verdattert an. „Unabhängigkeitskriege?", formt er das Wort mit seinen Lippen, als könne er nicht begreifen, wie man so etwas lesen kann.
Indes antwortet der Bibliothekar: „Mit Vergnügen, Edle Dame. Bitte machen Sie es sich doch bequem, ich bringe es Ihnen."
Ich höre sein Trippeln leiser werden und dann energische Schritte näherkommen. Kurz darauf biegt Theodora um die Ecke und hält überrascht inne, als sie uns sieht.
„Oh, hier sind Sie", bringt sie unwillkürlich hervor, bevor sie sich räuspert und höflich knickst. Santos und ich erheben uns sofort – ich etwas flinker als er – und verbeugen uns gebührend.
„Ja, so sind wir", bricht Santos das einsetzende Schweigen. „Immer daran interessiert, uns weiterzubilden." Theodora von Mühlen wirft einen Blick auf sein Buch und ich erkenne ein Zucken in ihren Mundwinkeln. „Sturmnacht bei Kerzenschein? Interessante Wahl, Herr Melatoni." Santos lächelt verschmitzt. „Sie kennen es, Edle Dame?" Theodora schüttelt den Kopf. „Ich habe es nicht gelesen, aber ich weiß in etwa, worum es geht. Das ist die Art von Buch, die Katharina liest, wenn sie etwas Anspruchsloses für heiße Tage sucht."
Ich kann mir ein Grinsen nicht verkneifen, als mein Freund peinlich berührt errötet.
„Sie müssen nicht so auf Abstand stehen bleiben, Baroness", werfe ich ein, um die Stimmung zu lockern. „Sie dürfen sich gerne zu uns setzen." Sie folgt meiner Aufforderung mit bedächtigen Schritten und lässt sich auf der Chaiselongue nieder, die Santos' Sessel gegenüber und rechts von meinem steht. Wir setzen uns ebenfalls wieder und ich klappe mein Buch zu und platziere es auf einem nahen Beistelltisch.
Die Baroness wirft auch hier einen Blick auf den Titel und hebt dann anerkennend die Augenbrauen. „Die Chronik der drei Königreiche. Wie gefällt es Ihnen bisher?" Ich räuspere mich und antworte dann: „Ich bin noch nicht weit, aber mir gefällt der Stil. Der Chronist schreibt anschaulich und dadurch wirkt das Geschehen bildlich und nicht ganz so trocken, wie es leider häufig bei Geschichtsbüchern der Fall ist. Und er beleuchtet interessante Details."
Theodora lächelt. „Ja, das finde ich auch. Es ist eines der ersten Bücher aus dieser Bibliothek, das ich gelesen habe. Als ich neu bei Hofe war, hielt ich es irgendwie für unumgänglich, mich mehr mit der Geschichte meines Landes auseinanderzusetzen."
„Im Ernst?", lässt sich Santos vernehmen. „Sie lesen ein Geschichtsbuch über die Gründung der Königreiche, aber eine romantische Komödie kann Sie nicht begeistern? Was sind Sie eigentlich für eine Dame?" Ich schaue ihn böse an und er schiebt noch ein unterwürfiges „Baroness" hinterher. Theodora lächelt amüsiert. „Eine, die Bildung als Privileg betrachtet."
In der einsetzenden Stille schießt mir ein Gedanke durch den Kopf. „Edle Dame, als Sie gekommen sind, hat es so geklungen, als hätten Sie einen von uns gesucht...", setze ich vorsichtig an und merke, wie die Baroness nervös ihre Hände knetet.
„Allerdings, gut beobachtet. Ich habe nach Ihnen gesucht, Durchlaucht." Ich hebe überrascht meine Augenbraue. „Nach mir?" Sie räuspert sich verlegen. „Ja. Eigentlich hatte ich schon aufgehört zu suchen, weil Sie nirgendwo zu finden waren und ich wäre nie auf die Idee gekommen, Sie hier zu suchen. Aber dann wollte ich meine freie Zeit nutzen und ein Buch über die Intrigen der Königshäuser zurückbringen und..." Sie holt Luft und unterbricht sich in ihrem Redeschwall.
Ich weiß gar nicht, was sie so nervös macht, doch ich setze mich etwas aufrechter hin und warte ab, bis sie weiterspricht. Auch Santos hört aufmerksam zu.
„Es tut mir leid, das ist alles gar nicht so wichtig. Ich wollte Sie eigentlich nur etwas fragen. Und ich hoffe, dass Sie es nicht als impertinent auffassen, denn eigentlich steht es mir als Frau nicht zu, diese Frage zu stellen. Aber Katharina hat mich auf die Idee gebracht und dann..."
„Baroness", unterbreche ich sie, „fragen Sie einfach." Sie holt abermals tief Luft. „Durchlaucht, könnten Sie sich vorstellen, mich auf den Hochzeitsball von Katharina zu begleiten? Also hätten Sie Lust? Also, ich meine, natürlich nur, wenn Sie vorhatten, hinzugehen." Sie blickt mich unsicher an, während ich noch zu erfassen versuche, ob sie wirklich meint, was ich denke, das sie meint.
„Es ist so, normalerweise nehme ich ohne Begleitung an Bällen teil, deshalb gibt es auch niemanden, der mich fragen würde", beginnt sie, sich zu erklären. „Aber Katharina ist daran gelegen, dass ich an dem Abend nicht allein bin und ich dachte, da Sie bei Hofe nicht allzu viele Bekanntschaften haben, hätten Sie vielleicht Lust, mich zu begleiten. Und es tut mir leid, dass ich so unumwunden frage, wie gesagt, ich weiß, es steht mir nicht zu, aber vielleicht verzeihen Sie ja meinen Etikettenverstoß."
Ich nutze ihre nächste Atempause, um zu beteuern: „Es gibt absolut nichts zu verzeihen, Baroness. Und ich fühle mich geehrt, Sie begleiten zu dürfen." Sie starrt mich an. „Das heißt... das heißt Ja?" „Ja", wiederhole ich. „Absolut und unglaublich gerne."
Sie stößt erleichtert die Luft aus. „Das ist... schön. Ähm, danke für Ihre Zusage."
In diesem Moment biegt der Bibliothekar mit einem dicken Wälzer um die Ecke und Theodora springt prompt auf.
„Also, meine Herren, es war mir eine Ehre, ich will Sie nicht weiter von Ihrer Lektüre abhalten." Sie wendet sich ab, da fällt mir noch etwas ein und ich halte Sie zurück. „Warten Sie – wo soll ich Sie abholen?"
Sie dreht sich noch einmal um und meint: „Vor meinen Gemächern. Ist Ihnen das recht? Fragen Sie am besten einen Pagen, dann finden Sie den Weg."
Und ohne einen weiteren Blick zurück eilt sie davon. Santos und ich blicken uns verdattert an. „Was um Himmels Willen war das denn gerade?", fragt mein Freund etwas überfordert. „Hat dich die Frau deiner Träume gerade wirklich dazu eingeladen, dass du einen ganzen Ballabend an ihrer Seite verbringst?"
Ein breites Lächeln tritt auf mein Gesicht und ich lasse mich zufrieden tiefer in meinen Sessel sinken. „Ich habe keine Ahnung, was in sie gefahren ist, aber es ist mir auch egal. Ob nun ihre Freundin dahintersteckt oder höhere Mächte – ich danke dem Schicksal und werde jede kostbare Minute dieses Abends nutzen, darauf kannst du dich verlassen."

Die FürstinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt