Kapitel 9 - Alfons

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Es sind wohl nur etwa zehn Minuten vergangen, als die Tür zum Studierzimmer sich wieder öffnet und Theodora von Mühlen mit einem stolzen Gesichtsausdruck heraustritt, der zum Niederknien ist. Ich würde ja vermuten, dass der König sie hinausgeworfen hat, doch ihre Mimik spricht eine ganz andere Sprache. Sie scheint vollends mit sich zufrieden zu sein und der Blick, den sie mir zuwirft, macht mich ganz zittrig. Es ist absolut verrückt, dass diese Frau mich so gefangen nimmt, doch ihre Stärke, ihr Stolz und der innere Widerstand gegen die Welt, der nie so ganz aus ihrem Blick verschwindet, machen mich neugierig und ketten meine Gedanken an sie. Ich weiß nicht, ob ich im Begriff bin, etwas wirklich Dummes zu tun, doch diese Frau kampflos ziehen zu lassen, wäre eine noch größere Torheit. Denn obwohl ich sie kaum kenne, weiß ich doch, dass sie mir innerlich gleichberechtigt ist, obgleich ich sehr von mir überzeugt bin. Sie kann mit den Ansprüchen, die ich an eine Frau, eine potentielle Partnerin stelle, problemlos mithalten und ich hatte nicht erwartet, dass ich je eine Person kennenlernen würde, bei der das der Fall ist.
Die Baroness baut sich vor mir auf. „Ich hoffe, Sie nutzen diese Chance gut und lassen es mich nicht bereuen, dass ich mich für Sie eingesetzt habe. Seine Majestät erwartet Sie."
Ich versuche, meine überraschte Neugier zu verbergen, doch es gelingt mir wohl nicht genug, denn auf Theodoras Gesicht tritt ein selbstzufriedener Ausdruck. „Wie genau...", setze ich an, doch sie unterbricht mich. „Zerbrechen Sie sich nicht den Kopf darüber, was ich gesagt haben könnte, Durchlaucht. Vielleicht verstehe ich nichts von dieser wichtigen Calia-Kroesus-Politik", ihr Tonfall klingt spöttisch, „doch ein wenig Argumentationsgeschick dürfen Sie mir durchaus zutrauen."
Ich verneige mich leicht und meine: „Vom heutigen Tag an, Edle Dame, werde ich mich hüten, Sie zu unterschätzen. Wenn Sie mich entschuldigen, ich habe eine Audienz beim König." Sie lächelt. „Selbstverständlich. Haben Sie einen schönen Tag."
Aufrecht schreitet sie davon und auch ich straffe meine Schultern. Jetzt oder nie. So selbstbewusst wie möglich betrete ich die Räumlichkeiten des Königs.
Das Studierzimmer empfängt mich mit einer überraschend angenehmen Atmosphäre. Die dunklen Möbel und vielen Bücher geben dem Raum eine angenehme Präsenz, lassen aber noch genug Freiraum zum Denken. Zweifellos ist dies ein Ort zum Arbeiten und nicht, um Eindruck zu schinden. Der König erhebt sich für mich, wir verbeugen uns voreinander und anschließend tritt er um seinen Schreibtisch herum auf mich zu.
„Durchlaucht, ich will keinen Hehl daraus machen, dass Ihr Besuch ungelegen und unverschämt ist, dass die Diskussion der Belange von Kroesus mir momentan nicht passt und dass ich froh wäre, Sie derzeit nicht zu Gast zu haben. Wie dem auch sei... Möchten Sie einen Grappa als Auftakt? Solche Thematiken besprechen sich niemals angenehm, doch ein wenig Alkohol verhindert meist, dass sich unsere Familien an die Gurgel gehen."
Ich bin versucht, abzulehnen, doch dann gebe ich mich mit einem Nicken geschlagen. Ich brauche den König in einigermaßen guter Laune, um meine Anliegen zu diskutieren.
Der König reicht mir ein elegantes Glas mit der Spirituose und wir setzen uns einander gegenüber an den massiven Tisch.
„Also, Kroesus", beginnt der König im Plauderton, der jedoch seine Anspannung nicht vollständig verbergen kann. „Warum gerade jetzt?" Ich zucke mit den Schultern. „Katharina Mollock, nehme ich an. Ihre Verlobung und Hochzeit ist eine große Festivität mit immenser Außenwirkung. Wer möchte da schon einen ungebetenen Gast empfangen?" Der König runzelt die Stirn. „Sie sind wie Ihr Vater. Womöglich noch schlimmer durch Ihre jugendhafte Aufsässigkeit. Obgleich es mir wirklich ungelegen kommt, bin ich bereit, die Fragen der Kroesus-Ländereien auch mit Ihnen zu diskutieren. Aber nicht mehr heute. Ich habe vor, einige Berater mit an den Verhandlungstisch zu bitten." Ich nicke. „Das steht Ihnen selbstverständlich frei, Majestät. Auch ich werde das ein oder andere Mal einen Vertrauten dazu bitten. Doch ich möchte Ihre Illusionen vorab zerschlagen: Die Familie von Kroesus ist nicht bereit, von ihrem rechtmäßigen Besitztum abzutreten. Die Beweislage ist unverändert, Ihre neuerliche Untersuchung seit der letzten Verhandlung mit meinem Vater hat, soweit ich weiß, auch keine veränderten Umstände ans Licht gebracht."
Der König scheint verärgert darüber, dass ich ihm diese Fakten so offen ins Gesicht sage. Schließlich erwidert er: „Vielleicht sollten wir einen neuen Ansatz wählen, um diese Frage zu betrachten. Ein Generationenstreit, der ohne neue Erkenntnisse bleibt, ist Zeitverschwendung. Ich habe vor, mich darauf zu konzentrieren, inwiefern Kroesus ein Teil von Calia ist. Kroesus ist unabhängig, aber untersteht calischem Recht. Ein Fürstentum untersteht zuletzt immer noch dem Königreich, auf dessen Hoheitsgebiet es sich befindet. Ich behaupte, dass Kroesus trotz dieses unseligen Pamphletes Calia und der Krone in gewisser Weise verpflichtet ist."
„Ich werde mich darauf einrichten, Majestät. Und, wenn ich so frei sein darf, der Grappa ist ausgezeichnet." Der König lehnt sich zurück. Offenbar betrachtet auch er zum gegenwärtigen Augenblick alles als gesagt. „Freut mich zu hören, Durchlaucht. Er ist ein Geschenk eines befreundeten Grafen. Die Finanzen seiner Grafschaft sind eine Katastrophe, doch die Spirituosen unübertroffen. Letztlich muss jeder Teil des Landes eine Gegenleistung erbringen, wenn ich weiterhin finanzielle Mittel hinein investieren soll. Und da ist ein Tresterbrand eine durchaus angenehme Variante."
Ich blicke ihn fragend an. „Was wäre eine unangenehme Variante?" Der König lacht auf. „Letztlich gibt es keine wirklich unangenehme Gegenleistung. Nur jene, die mehr Arbeit erfordern. Mehr Ruhm bringen, aber auch mehr Arbeit. Mühlen zum Beispiel ist jahrelang vor dem Bankrott gewesen. Ganz schlechte wirtschaftliche Leistung, diese Baronie. Jetzt ist sie soweit wiederhergestellt, dass ich mich als König nicht für diesen Teil meines Landes schämen brauche. Und dafür hat es mehr gebraucht als eine Flasche Grappa. Dafür brauchte es Theodora."
Mein Herz schlägt schneller bei ihrem Namen. „Ich wusste nicht, dass Hofdamen auch eine wirtschaftliche Relevanz haben. Ich dachte, wenn überhaupt könnte man ihre Rolle eher politisch ansiedeln." „Nun, nicht in jedem Fall ist ein wirtschaftliches Interesse der Fall. Aber Mühlen hatte einfach nichts anderes zu bieten. Und Baroness Theodora entschädigt uns in vielerlei Hinsicht für die Probleme in ihrer Heimat. Sie ist ein Stern am Nachthimmel. Sie ist so bekannt, wie die Königin selbst, aber gerade gegenüber aufstrebenden Generationen mit weit mehr Einfluss gesegnet. Unglücklicherweise neigt sie dazu, ein Eigenleben zu entwickeln."
Ich muss schmunzeln. Das ist angesichts Theodora von Mühlens Temperament sehr vorsichtig ausgedrückt.
„Sie nehmen es ihr übel, dass sie mir eine Audienz verschafft hat." Der König schüttelt den Kopf. „Nein, denn es ist in Anbetracht der Lage das Richtige. Ich nehme es ihr übel, dass sie mir Argumente präsentieren konnte, an die ich selbst vorher nicht gedacht habe. Ich ändere vor einer Frau nicht gern meine Meinung."
Ich atme tief durch. „Majestät, ich hätte ein Anliegen, wenn wir nun gerade auf Theodora von Mühlen zu sprechen kommen." Der König horcht interessiert auf. Ich fahre fort: „Mir ist bewusst, dass Sie als gesetzlicher Vormund die Entscheidung über das Leben Ihrer Hofdamen tragen. Und ich bin überzeugt davon, dass gerade Baroness von Mühlen ein wichtiges Mitglied des Hofes ist, auf das ungern verzichtet wird. Und dennoch bitte ich Sie darum, mir die Erlaubnis zu erteilen, um Theodora von Mühlen werben zu dürfen."
Der König scheint amüsiert, es zuckt verräterisch um seine Mundwinkel. Und ich gebe mich keinen Illusionen hin. Wenn ich weiß, was ich hier verlange – angesichts des schlechten Verhältnisses unserer Familien – dann weiß auch er, was er für Forderungen stellen kann.
„Das ist tatsächlich eine Überraschung, Kroesus. Ich wusste gar nicht, dass Sie auf Brautschau sind und hätte zudem nicht erwartet, dass Sie bei Hofe suchen." Ich ignoriere seinen spöttischen Unterton. „Ich auch nicht, Majestät. Doch wie heißt es: Man weiß erst, was man sucht, wenn man es gefunden hat. Und ich halte die Baroness für eine wunderbare Ergänzung zu meinem eigenen Wesen. Ich weiß nicht viel über ihren Hintergrund und ihre Baronie scheint nicht gerade zu florieren, von dem her, was Sie berichtet haben, doch ich kann es mir leisten, darüber hinwegzusehen. Und obwohl Theodora von Mühlen sehr eng mit Ihnen, also der königlichen Familie, in Kontakt steht und unser Verhältnis nicht das Beste ist, vertraue ich darauf, dass die Sicherheit, das Vermögen und das Ansehen meines Fürstentums akzeptabel für Seine Majestät sein werden, um mich als geeigneten Werber in Betracht zu ziehen."
Der König legt nachdenklich den Kopf schief. „Sie verlangen viel, Kroesus. Und ich hoffe, es ist Ihnen bewusst, wie viel. Theodora ist wie ein Mitglied meiner Familie. Es ist, als würde ich meine eigene Tochter verheiraten. Wenn sie den Hof verlässt, so wird es gewiss schwieriger für alle hier sein, als es bei Louisa de Marc oder jetzt, bei Katharina Mollock, der Fall ist. Sie ist eine Person, die das Ansehen des Königshauses erheblich stärkt, die unser Leben hier gestaltet. Und sie würde auch Ihrem Hause Ehre bringen. Ehre, die ich verlöre. Ein solches matrimonielles Bündnis kann nur geschlossen werden, wenn Kroesus und Calia ihre Differenzen nach und nach beseitigen und eine Bindung aufbauen. Ich möchte nicht, dass Sie diese Dame entführen und anschließend die gleiche Missachtung zwischen uns herrscht, wie es derzeit der Fall ist.
Wenn Sie es wünschen, dann werde ich Ihnen erlauben, um Theodora von Mühlen zu werben. Ich kann Ihnen nicht versprechen, dass sie sich am Ende für Sie entscheidet, denn es wird noch andere interessierte Herren geben. Aber als Zeichen meiner Wertschätzung und meines ehrlichen Interesses an einer guten, friedlichen Lösung, bin ich durchaus gewillt, Ihnen einen Vorsprung zu gewähren. Dafür verlange ich von Ihrer Seite jedoch Höflichkeit, Ehrerbietung und aufrichtiges Entgegenkommen in unseren Verhandlungen."
Er sieht mich abwartend an. Ich schlucke. Mein Vater würde sich im Grab herumdrehen, wenn er davon wüsste. Seine Lektion, Politik und Liebe niemals zu vermischen, steht gefährlich auf der Kippe. Und doch kann ich dieses Angebot nicht ausschlagen. Der König verlangt keine hirnlosen Zugeständnisse, er verlangt faire Verhandlung. Vielleicht ist es einfach an der Zeit, erwachsen mit dieser Fehde umzugehen und einer Einigung eine ehrliche und faire Chance einzuräumen. Und letztlich bekomme ich auch etwas dafür. Ich bekomme die greifbare Perspektive, Baroness Theodora von Mühlen für mich zu gewinnen.

Die FürstinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt