Kapitel 4 - Theodora

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Es hat zum Glück aufgehört zu regnen, als wir vor dem Eingangsportal des Schlosses mit seiner gigantischen Flaniertreppe halten. Fürst von Kroesus steigt eilig aus, ohne sich von seinem Kutscher oder einem der Palastlakaien die Tür öffnen und die Stufen hinunterklappen zu lassen, kommt um das Gefährt herum und hilft mir dann persönlich hinaus.
Zu meinem Missfallen bemerke ich, dass ich einen großen nassen Fleck auf der samtenen Sitzbank hinterlassen habe. Ich bin komplett durchnässt und muss einfach nur furchtbar aussehen. Doch den Fürsten scheint das in keiner Weise zu stören. Im Gegenteil – ich sehe, dass er auch in trockenem Zustand keinen sonderlich eleganten Eindruck erwecken würde. Er trägt einen abgetragenen Mantel, eine braune Weste und Reitstiefel, soweit ich das erkennen kann. Und tatsächlich ist er auch der erste Herr aus der Oberschicht, den ich kennenlerne, der sich einen dunklen Bart stehen lässt. Es deckt sich mit dem, was ich über ihn gehört habe. Dass ihm Gepflogenheiten egal sind und er gerade bei Hofe für sehr viel Aufregung negativer Art sorgt. Ohne Zweifel sollte man diesem Mann mit Vorsicht begegnen.
Und doch kann ich nicht schlecht von ihm denken. Zweifellos wird die Meinung der Hofdamen zu allerlei gesellschaftlichen Themen in eine gewisse Richtung gezüchtet. Die offizielle Meinung zu Fürst von Kroesus ist die, dass er ein ignoranter, verzogener Sprössling einer reichen Familie ist, die sich an dem Unrecht weidet, das der Königsfamilie durch eine misslungene Eheschließung widerfahren ist. Ich zweifle nicht daran, dass diese Variante ein Stück Wahrheit enthält, aber ich bin nach dem eben Erlebten geneigt zu glauben, dass es eben nur eine Seite der Medaille ist.
Der Fürst hat selbstlos seine Hilfe angeboten. Er hat den Palastpferden das Leben gerettet und mich vermutlich vor einer schlimmen Lungenentzündung bewahrt, indem er mich auf schnellstem Weg zurückgebracht hat. Kann solch ein Mensch gänzlich schlecht sein?
Ich erklimme die Palasttreppe und er folgt mir ohne ein Wort. Kaum haben wir die prächtige Eingangshalle betreten, winke ich einem Lakaien, der sofort herbeieilt.
Ich deute auf meinen Begleiter. „Seine Durchlaucht, Alfons Fürst von Kroesus ist eingetroffen und verdient die volle Gastfreundschaft unseres Königs. Führe ihn auf ein Zimmer und sorge dafür, dass er alles hat, was er benötigt. Und melde dem König seine Ankunft." Der Lakai verbeugt sich galant. „Sehr wohl, Edle Dame."
Er wendet sich an den Fürsten. „Wenn Sie mir folgen wollen, Durchlaucht."
Der Angesprochene denkt jedoch nicht daran, ihm zu folgen. Stattdessen hat er wieder begonnen, mich eingehend zu mustern. Zweifellos fragt er sich jetzt, mit welchem Recht ich die Palastdiener so herumscheuchen kann. Dann bemerkt er ein wenig aufsässig: „Es ist nicht nötig, dem König meine Ankunft zu übermitteln. Ich werde ihn gleich selbst darüber informieren. Vor dem Verlobungsball der geschätzten Hofdame Katharina Mollock wird er doch sicherlich noch ein wenig Zeit erübrigen können."
Der selbstzufriedene Gesichtsausdruck, den er zur Schau trägt, lässt mich plötzlich verstehen, warum das Königshaus nicht gut auf ihn zu sprechen ist. Und ich frage mich, warum ich mir nicht früher die Frage gestellt habe, weshalb er gerade heute eintrifft. Es ist allgemein bekannt, dass er sich nicht viel aus rauschenden Festen macht, vor allem nicht aus höfischen. Und seine Ankunft wäre sicher angekündigt worden, wenn sie bekannt gewesen wäre. Das alles ist ein abgekartetes Spiel. Das ist die Unverschämtheit, von der ich gehört habe. Aber gerade heute werde ich das nicht dulden.
Ich verschränke die Arme vor der Brust. „Das werden Sie nicht tun, Durchlaucht. Der König hat heute Wichtigeres zu tun, wie Sie ja anscheinend wissen. Ich denke nicht, dass seine Majestät Sie empfangen wird." Er zuckt die Schultern. „Was sollte mich davon abhalten, es zu versuchen?"
Ich recke mein Kinn nach vorne. „Meine Bitte, es nicht zu tun." Er runzelt die Stirn. „Das müssen Sie mir wohl genauer erklären, Edle Dame. Das war doch die korrekte Anrede Ihrer Person, oder nicht?"
Ich rolle mit den Augen und mein Blick fällt auf den Lakaien. „Sie können schon einmal das Gepäck...", beginne ich meine Anweisung, denn ich befürchte, dass dieser wörtliche Schlagabtausch etwas länger dauern könnte. Der Fürst unterbricht mich. „Vergessen Sie das Gepäck. Kümmern Sie sich um meinen Kutscher. Er hat ein heißes Bad und ein anständiges Zimmer verdient. Vielleicht ist die Edle Dame hier bereit, mir mein Quartier zu zeigen?"
Ich seufze. Wann hat dieser Mann damit begonnen, so anstrengend zu werden?
„Wie Sie wünschen, Durchlaucht", lenke ich ein. An den Lakaien gewandt, sage ich: „Bitte entsprechen Sie dem Wunsch seiner Durchlaucht. Und bitte sorgen Sie dafür, dass auch mein Kutscher versorgt wird. Er hatte eine unschöne Verletzung an der Stirn." Der Lakai verbeugt sich und verschwindet dann geschäftig.
Ohne Rücksicht zu nehmen, durchquere ich in schnellen Schritten die Eingangshalle, um auf direktem Wege in den Südflügel zu kommen. Doch der Fürst kann mit meinem Tempo problemlos mithalten.
„Sie sind also eine Verfechterin der königlichen Familie", knüpft Fürst von Kroesus an unserem Gespräch an. Ich zucke mit den Schultern. „Meine Meinung über die Königsfamilie tut nichts zur Sache. Ich lebe im Palast und bin ihr unterstellt. Sie zu verteidigen ist meine Pflicht. Außerdem sehe ich keinen Nutzen darin, wenn Sie den König heute noch sprechen."
Mein Begleiter amüsiert sich sichtlich über mich. „Sehen Sie, Edle Dame, das ist Politik. Es gibt Angelegenheiten zu besprechen, die dringend geklärt werden müssen." Ich schnaube undamenhaft. „Halten Sie mich nicht zum Narren. Ihr ganzes Auftauchen hier ist reine Schikane. Was kann plötzlich so wichtig sein? Sie haben zwei Jahre gebraucht, um sich hierher zu bewegen. Da macht ein Tag mehr nicht viel aus."
„Edle Dame", schlägt er einen versöhnlichen Ton an. „Diese Angelegenheit ist mir wichtig. Und ich werde nicht meinen Vorteil in der Debatte mit dem König verschenken, nur weil Sie darum bitten, sie um einen Tag zu verschieben. Obwohl ich wirklich darüber nachdenken könnte, Ihrem Wunsch zu entsprechen, wenn Sie mich so böse anschauen."
Ich beiße mir auf die Lippe. „Hören Sie, Durchlaucht. Ich erzähle Ihnen nichts Neues, wenn ich sage, dass der König nicht gut auf Sie zu sprechen ist. Er wird Sie heute nicht empfangen. Und vermutlich morgen auch nicht. Er wird Sie mit Verachtung und Ignoranz strafen und Sie werden hier festsitzen, solange es ihm beliebt. Und ich bezweifle, dass Sie sich das leisten können, wo Sie doch Sorge für ein ganzes Fürstentum tragen."
Er hebt interessiert eine Augenbraue. „Und was können Sie da tun?" Ich recke mein Kinn. „Ich sorge dafür, dass er Sie morgen empfängt. Und dass er sich so lange Zeit für Sie nimmt, wie Sie wünschen." Der Fürst lacht auf. „Das schaffen Sie nicht. Obwohl ich Ihnen einiges zutrauen würde, meinen Sie nicht, dass Sie sich überschätzen?" Ich blicke spöttisch zurück. „Meinen Sie nicht, dass Sie sich in Ihrer Rolle gewaltig überschätzen?"
Ich biege in einen hellen Gang ein, in dem sich die Gästequartiere befinden und steuere die Tür zu Räumlichkeiten weiter hinten an, von denen ich weiß, dass sie einen sehr männlichen und robusten Eindruck vermitteln.
„Hier wären wir", sage ich, ohne ihn eines Blickes zu würdigen. „Genießen Sie Ihren Aufenthalt."
„Warten Sie", meint der Fürst eilig und fasst mich sanft am Arm, um mich zurück zu halten. Ich zucke vor dieser unerwarteten Berührung zurück.
„Warum ist das gerade Ihnen so wichtig?", fragt er ehrlich interessiert. Ich schaue ihm geradewegs in die Augen. „Katharina Mollock ist meine Freundin. Sie ist fast wie eine Schwester für mich. Ihre Verlobung und ihre Hochzeit fallen aufgrund der Zeit weit weniger glamourös aus, als sie hätten sein können und das ist auch nicht weiter schlimm, denn es entspricht ihrem Wesen. Aber das Letzte, was sie verdient hätte, wäre, den Abend verdorben zu bekommen von politischen Streitereien, die seit Generationen geführt werden und doch nie zu einem Ende kommen. Ich möchte, dass sie heute im Mittelpunkt steht. Sie allein."
Ich sehe den Fürsten eine Weile lang überlegen und rechne mit einer gleichgültigen oder verspottenden Antwort. Doch stattdessen verbeugt er sich leicht vor mir und meint: „Ganz wie Sie wünschen, Edle Dame. Werde ich heute noch einmal das Vergnügen haben, Sie wiederzusehen?" Ich schürze meine Lippen. „Nein. Es sei denn, Sie besuchen den Ball. Einen angenehmen Aufenthalt wünsche ich Ihnen, Fürst von Kroesus."

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