2. Ist hier Irgendjemand?

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Ich hatte keinen Schimmer, was ich tun sollte.
Ivar war wieder einmal ganz anderer Meinung, als alle anderen. Sollte ich ihm folgen? Sollte ich bei meinen Brüdern bleiben?

Gerade als ich in die Hütte zurück gehen wollte meldete sich Ubbe zu Wort, "Wir haben nichts zu essen mehr, wir müssen auf die Jagt, komm Tjara.", er ging los ohne auf meine Reaktion zu warten.

Ich mit auf die Jagt? Das hatte es noch nie gegeben.
Er gab mir Pfeil und Bogen und wir gingen in den naheliegenden Wald.
Erst jetzt begann Ubbe wieder zu reden, "Lass dich nicht von Ivar manipulieren.", sagte er, während wir weiter in den Wald gingen.
"Er manipuliert mich nicht. Ich habe eine andere Bindung zu ihm, als alle anderen. Das weißt du, Ubbe."

Plötzlich hielt er mich fest und wir versteckten uns hinter einem Busch, denn einige Meter vor uns war eine Hirschkuh.
Ich nahm, ohne schnelle Bewegungen zu machen Pfeil und Bogen, spannte ihn und versuchte zu zielen.
Ich traf sie in ihr Hinterbein und sie begann zu fliehen. Blitzschnell warf mein Bruder seine Axt nach ihr und bereitete ihr somit ein Ende.

"Das musst du unbedingt üben.", er flüsterte immer noch, während er zu unserem Fang ging und ihm die Kehle durchschnitt.

"Du solltest dir das mit Ivar genau überlegen, er wird dich früher oder später ins Verderben stürzen.", sagte Ubbe, auf dem Weg zurück zur Hütte.

Ich sah Ubbe fragend an, doch er sagte kein Wort mehr und ging stumm, mit dem Fang auf den Schultern voran.

Schon von weitem hörte ich Sigurd lachen. Er stand mit verschränkten Armen vor der Hütte und sah zu uns.
Er zog den Pfeil aus dem Hinterbein der Hirschkuh. Spöttisch sah er zu mir und richtete den Pfeil auf mich, "Das wird deiner sein, Schwester. Du solltest ihn hüten, denn wenn du weiterhin so schlecht triffst wirst du noch viele hier von benötigen.", er warf mir den Pfeil zu.

"Noch ein Wort von dir und dieser Pfeil verziert dein wunderschönes Gesicht, Sigurd.", ich lächelte ihn gespielt an. Ich war mir sicher, dass er vor einigen Jahren auch nicht so gut war, wie heute.
Er setzte sich auf einen Baumstamm und sah mich an, "Soll das eine Herausforderung sein?", er zog seine Axt und hantierte mit ihr herum.

"Wieso müsst ihr andauernd streiten?", Hvitserk sah zwischen mir und Sigurd hin und her, "Außerdem kämpfen wir nicht gegeneinander um so etwas zu klären, habt ihr das schon vergessen?", Hvitserk stand auf und ging zu Ubbe und Ivar in die Hütte, Sigurd folgte ihm einige Zeit später.

Ich setzte mich auf den Baumstamm, auf dem Sigurd bis vor kurzem noch saß und sah in die Ferne. Wieso musste Sigurd nur immer so fies zu mir sein?

Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen, denn kurze Zeit später rumpelte etwas neben mir und Ivar versuchte sich neben mir auf den Stamm zu setzen.
Er sah mich an, doch ich ignorierte seinen Blick, ich musste nun wieder an Ubbes­­ Worte denken.

"Bedrückt dich etwas, Schwester?", fragte er nach einiger Zeit.
Ich sah ihn nun an und atmete aus, "Mich bedrückt nichts, Ivar."

"Dich bedrückt gewiss etwas, denn sonst würdest du nicht alleine hier draußen sitzen, während wir uns am Feuer wärmen.", ich hörte den Vorwurf in seiner Stimme. Ich erzählte Ivar immer alles und er mochte es nicht, wenn ich ihm etwas verschwieg.

"Ich bin mir jetzt vollkommen sicher.", ich sah wieder in die Ferne, "Ich möchte kämpfen können und eines Tages werde ich Sigurd zeigen wozu ich fähig bin.", ich klang entschlossen.

Ivar schmunzelte und rückte seine Beine zurecht, "Sehr gut. Entschlossenheit macht dich stark.", er legte eine Pause ein, "Aber Wut macht dich stärker. Hast du Wut auf unseren Bruder?"

Ich schüttelte mit dem Kopf, "Ich bin nicht wie du, Ivar. Ich kann keine Wut auf einen von euch verspüren."
"Du spürst die Wut gewiss, das weiß ich, Tjara. Aber wenn du sie nicht nutzen willst.", er zuckte mit den Schultern, glitt auf den Boden und kroch in die Hütte zurück.

"Natürlich spüre ich die Wut, Ivar.", flüsterte ich in die Dunkelheit.

Am nächsten Morgen kehrten wir zurück nach Kattegat.
Meine Mutter übergab mir neue Kleidung, damit ich fortan mit meinen Brüdern kämpfen konnte und meine Waffen an dem Gürtel der Kleidung anbringen konnte.

"Vielen Dank Mutter.", ich sah sie kurz lächelnd an. Dann wendete ich mich ab, um mir meine neue Kleidung anzuziehen.

Einige Zeit später herrschte plötzlich Aufruhr im Dorf ich ging zur Tür und sah, dass sich einige Meter vor mir eine Menschenmenge ansammelte.
"Ubbe.", rief ich unsicher, ohne die Augen von den Menschen im Dorf zu lassen.

Mein Bruder war sofort zur Stelle, dicht gefolgt von Sigurd, Ivar und Hvitserk.
"Was geht dort vor sich?", Sigurd ging die Treppen der Halle hinunter in Richtung der Menschen.
"Kommt mit.", Ubbe ging auf die Menschen zu und bahnte uns einen Weg hindurch.

Schließlich erblickte ich unseren Vater, er war tatsächlich zurückgekehrt. Er tauschte mit jedem von uns einen Blick aus, kam auf uns zu und blieb vor Ivar stehen, "Ich grüße dich Ivar."

Ivar strahlte unseren Vater so sehr an, dass selbst ich es nicht fassen konnte.
"Du bist es unverkennbar.", er wandte den Blick von Ivar ab und sah nun ins Leere.

"Wie es aussieht seid ihr nicht erfreut über meine Rückkehr. Ganz offensichtlich denkt ihr nichts Gutes über mich. Das kann ich euch nicht vorwerfen, hm?", er ging vor uns auf und ab, "Also, meine Kinder, wer wird es tun, hm?", er musterte jeden einzelnen von uns.
"Wer wird mich umbringen?"

Unsicher sah ich zu Ubbe, Hvitserk tat es mir gleich.

"Es macht mir nichts aus. Nur zu, tut es.", er zog vor uns seine Runden, bis er schließlich vor Hvitserk stehen blieb, "Was ist mit dir Hvitserk? Bist du schon ein richtiger Mann?"

Mein Bruder verlor kein Wort und sah unseren Vater an.
"Ich fordere dich heraus, erlöse mich von meinem Elend. Ich bitte dich, tu es. Tu es, tu es. Tu es!", er schrie meinen Bruder so laut an, dass ich zusammenzuckte.
Ubbe nahm mich schützend vor sich.

"Sieh dir diese Menschen an.", Ragnar deutete auf den Menschenkreis um uns herum, "Sie stehen nicht mehr hinter mir. Seht ihr?", er zog wieder seine Runden, "Warum sollten sie auch? Ich bin euer Anführer und habe euch einfach verlassen.", er machte Faxen, als würde er es ins lächerliche ziehen wollen.
"Was für ein Anführer tut so etwas, hm?"
"Was für ein König wendet sich von seinem Volk ab?", er schrie nun die Menge zusammen.
Das soll mein Vater sein? Ich sah zweifelnd den Mann umringt von Menschen an.
Unser Vater sah wieder zwischen uns fünf hin und her, bis sein Blick schließlich auf mir hängen blieb. Er kam langsam auf mich zu und musterte mich von oben bis unten, "Was für ein Vater wendet sich von seinen Kindern ab."
Er klang nun, als würde er sein Verschwinden bedauern, er sah hinauf zu Ubbe, der seine Hände auf meinen Schultern hatte.
Nach einiger Zeit des Schweigens legte er seine Hände auf meine Wangen und sah mir tief in die Augen, bevor er sich wieder abwendete und meine Brüder musterte, "Also, wer will König sein? Ihr wisst doch wie wir das machen.", wie ein Wahnsinniger zog er sein Schwert und drehte sich zu den Dorfbewohnern um. "Wenn jemand König sein will, muss er mich umbringen.", er ging auf einen alten Mann zu und reichte ihm sein Schwert, "Hier. Nein?"
"Du? Nein?"
"Was ist mit dir? Nein? Nein? Ist hier irgendjemand", er stach wütend sein Schwert in die Erde, "Irgendjemand, der König werden will?"

Er ist mein BruderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt