31. Ivar

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Am nächsten Morgen wachte ich mal wieder mit Kopfschmerzen auf, alles drehte sich. Ich kannte es nur allzu gut.
Genervt stöhnte ich auf, ich liebte den Alkohol, aber ich hasste die Tage danach.
"Tjara, wir haben zutun!", rief Ivar, der anscheinend mein genervtes Stöhnen gehört hatte.
"Lass mich in Ruhe.", zischte ich, während ich mich aufsetzte und meinen Kopf hielt.
"Du hast es mir gestern versprochen, weißt du das etwa nicht mehr?", ich hörte seinen Gehstock und keine Sekunde später stand er im Raum und sah mich an.
Ich schüttelte mit dem Kopf, "Ich würde mich erinnern, wenn ich dir etwas versprochen hätte."

"Gewiss, gewiss, weil du dich an den gestrigen Abend nur zu gut erinnern kannst, hm?"

Nun hatte er mich. Ich seufzte erneut und stand auf. "Also, was habe ich dir versprochen, Ivar?"

Ivar lachte nur und setzte sich ans Feuer. Er schüttelte mit dem Kopf und lachte weiter.

"Ich sagte ja, ich hätte mich erinnert, wenn ich dir etwas versprochen hätte.", ich atmete aus und ging an ihm vorbei.
"Wo willst du hin? Du willst doch nicht mit diesem Jungen treffen, oder kleine Schwester?"
Abrupt blieb ich stehen, doch ihm zu antworten hielt ich für Zeitverschwendung.

"Vielleicht findest du ja Hvitserk. Er scheint nicht gut auf mich zu sprechen zu sein.", rief Ivar mir noch hinterher.
Doch ich hatte gar nicht vor mich weit von der Halle zu entfernten.
Vor der Tür ließ ich mich nieder und sah hinaus aufs Wasser, wie in alten Zeiten, als unsere ganze Familie noch zusammen war. Ich fing an zu träumen.

"Ich habe euch etwas zu Essen gebracht.", es war schon Nachmittag, als eine Sklavin neben mir auftauchte und ein Teller hinhielt.
Ich nahm ihr den Teller ab und begann zu essen.
"Euer Bruder ist ein wenig schwermütig, dass ihr nicht mit ihm speist."

Ich nickte kurz und gab ihr zu verstehen, dass sie verschwinden sollte.

Ich aß lustlos mein Fleisch und stellte den Teller neben mich, als ich meinen Bruder entdeckte.
"Hvitserk.", rief ich, als er auftauchte.
Er kam zu mir und nahm von meinem Teller, "Gehst du ihm auch aus dem Weg?", fragte er mich und nickte zur Tür, während er aß, als würde er schon Tage lang nichts mehr gehabt haben.
Ich zuckte nur mit den Schultern, "Seine Macht lässt ihn größenwahnsinnig wirken...aber so ist er nun mal. Er weiß seinen Rang zu nutzen."

"Wo du Recht hast, Schwester."

"Er sagte, du wärst nicht gut auf ihn zu sprechen.", ich sah ihn an und erwartete eine Erklärung. Doch Hvitserk nickte nur und wir betraten schließlich gemeinsam die Halle.
Ivar saß dort mit König Harald, ich hatte ihn gar nicht an mir vorbei gehen sehen.
Sie schienen ein intensives Gespräch zu haben, denn Ivar fragte den König erneut, was er noch in Kattegat zu suchen hatte.

Hvitserk und ich setzten uns weit ab an einen Tisch und flüsterten miteinander.
Schließlich stand König Harald auf und verließ die Halle.

"Was ist los, kleiner Bruder? Wo warst du den ganzen Tag?", Ivar blickte zu uns beiden herüber.
Hvitserk schlug auf den Tisch, "Ich bin nicht dein kleiner Bruder, Ivar.", sagte er gereizt, doch Ivar lachte nur leise, "Außerdem kann ich mich herumtreiben, wo ich möchte."

"Wie wäre es, wenn du mit König Harald Kattegat verlässt? Er möchte zurück nach England. Geh mit ihm."

Hvitserk stieg die Stufen zu Ivar hinauf und blieb vor ihm stehen, "Wir wissen beide ganz genau, dass mein Platz bei dir ist. Ich habe deine Seite gewählt.", er schlug leicht auf Ivars Brust und stieg die Stufen wieder hinunter, "Du wirst mich wohl oder übel nicht mehr los."

Ich blickte stumm zu meinen Brüdern. Ich hatte mich nicht einzumischen, es war eine Sache zwischen ihnen.

Schließlich sah Ivar zu mir, "Und was ist mit dir? Wo warst du den ganzen Tag?", er hörte sich nun wieder wie mein besorgter Bruder an.
Ich lachte kurz, "Ich saß den ganzen Vormittag vor der Halle, Ivar. Ich dachte du hast deine Augen nun überall?"

Lieb, wie noch nie, sah er mich an und winkte mich zu sich, er erhob sich sogar für mich von seinem Stuhl.
Ich sah zu ihm hinauf und sah in seine Augen. Sie waren wieder einmal blau.

Wie aus dem nichts drückte Ivar mich an sich. Ich hätte gerne gewusst, was in seinem brillanten Kopf vor sich ging.
Ich erwiderte leicht seine Umarmung.
Hvitserk war ebenso verwirrt von seinem Verhalten, wie ich.

"Ich bitte dich mein Verhalten zu entschuldigen.", flüsterte er leise, bevor er mich losließ.
Er hatte immer noch seinen Hundeblick aufgesetzt, dem konnte ich doch nicht widerstehen.
Ich nickte kurz und lächelte ihn an.
Hvitserk aß währenddessen und sah uns zu.

Ich setzte mich hinunter zu Hvitserk, Ivar folgte mir und setzte sich zu uns.

"Weißt du noch, dass du und deine Brüder, euch in unserer Kindheit immer über mich lustig gemacht habt, weil ich anders war.", er durchbohrte Hvitserk mit seinem Blick.
Ich wollte gerade mich zu Wort melden und Hvitserk verteidigen, als er das selber in die Hand nahm, "Ich erinnere mich, dass Ubbe und Sigurd dies taten, ich jedoch nicht."

"Du hast mich bemitleidet und ich habe mich geschämt."

Ich sah kurz zu Boden, denn ich habe ihn auch immer bemitleidet, dass er nicht das tun konnte, was wir taten.

"Ich habe mir so oft Knochen gebrochen, ich hasste mein Leben als Krüppel."

Hvitserk und ich sahen uns an. Wir wussten nicht, worauf er nun wieder hinauswollte.

"Ihr wisst, ich war immer nur wütend. Ich habe mich schon als Kind gefragt, wieso die Götter mich so hassen. Doch mir ist eines klar geworden.", er leckte sich grinsen die Zähne, "Ich bin etwas Besonderes, ich brauche kein Mitleid. Denn ich bin selber ein Gott, es war niemals eine Schande ein Gott zu sein."

Hvitserk konnte seinen ernsten Blick nicht halten und begann zu lachen, "Du bist kein Gott, Ivar."

Entsetzt sah ich zu ihm, "Woher willst du das wissen?"

"Er ist verrückt, Tjara."

"Ich bin nicht verrückt. Du wirst schon noch sehen.", Ivar sprach selbstsicher.

Er ist mein BruderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt