61. Heil dir Ivar

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Hvitserk und ich traten in unsere Hütte ein.

Ivar saß am Tisch und hantierte mit etwas in der Hand herum.

Hvitserk und ich verschwendeten keinen weiteren Blick daran und setzten uns an das Feuer, um uns zu wärmen.
Ich spürte Ivars Blicke auf uns, er schien uns etwas Wichtiges sagen zu wollen.

Schließlich stand er auf und kam zu uns herüber, "Mein Schicksal liegt nicht hier in Kattegat. Das weiß ich nun."

Wir sahen Ivar fragend an, bis er uns schließlich den Gegenstand aus seiner Hand zeigte.

"Die Figur von König Alfred?", fragte ich zögernd.

Ivar nickte und begutachtete sie selbst noch einmal.

"Du möchtest uns damit sagen, dass du zurück nach England möchtest?", Hvitserk erhob sich und brachte mir einen Becher Met, während er selbst aus einem Becher trank.

"Ja.", sagte Ivar selbstgefällig und beobachtete Hvitserk, "Und ich möchte, dass meine Geschwister mich begleiten, Hvitserk."

Ich nickte Ivar zu, "Wenn es dein Wunsch ist, werde ich liebend gerne mit dir nach England zurückkehren.", Ivar lächelte mich kurz an, "Aber nur unter einer Bedingung.", fügte ich leise hinzu, "Du musst Nels mitnehmen."

Ivars Blick verfinsterte sich schlagartig. So schnell er konnte kam er auf mich zu und setzte sich auf einen Hocker mir gegenüber und musterte mich mit Zorn in den Augen.

"Ich werde auch mit dir gehen, Ivar.", sagte Hvitserk sanft, doch Ivar hob die Hand, um Hvitserk zu signalisieren, dass er ruhig sein sollte. Währenddessen wendete er seinen Blick nicht von mir ab.

"Ich bin König Ivar!", schrie er mich an, "Unser Vater hat mich mit nach England genommen! Nicht dich, nicht Hvitserk oder gar Ubbe, mich! Denn er wusste, dass meine Gegner mich unterschätzen, er wusste, dass mein Zorn eines Tages nützlich sein wird!"

Wie erstarrt sah ich ihn an und verzog keine Miene.

"Ich entscheide, was getan wird.", flüsterte er leise in mein Ohr, bevor er sich erhob und aus der Hütte verschwand.

Zornig atmete ich aus und leerte meinen Krug mit Met, "Wenn du ihn nicht vor mir umbringst, werde ich es gerne erledigen.", ich lächelte Hvitserk falsch an, bevor ich aufstand.

Er lachte spöttisch auf und sah zu mir herüber, "Du könntest Ivar niemals umbringen. Du konntest dich ja nicht einmal gegen ihn wehren, als er dich zum Kampf herausgefordert hat."

Ich blieb ihm Türrahmen stehen und atmete tief ein. Natürlich hatte er Recht, ich würde Ivar niemals umbringen, möge er sich noch so fies mir gegenüber verhalten.

"Was hast du nun vor? Willst du ihm ernsthaft hinterherrennen? Das würde weder ihm noch dir guttun.", sagte mein Bruder sanft.
Er stand nun hinter mir und legte ruhig seine Hände auf meine Schultern.

Kurz schloss ich die Augen und versuchte meine Wut unter Kontrolle zu bringen.
Ich drehte mich zu ihm um und legte meinen Kopf gegen seine Schulter.
Hvitserk drückte meinen Kopf kurz an sich, bevor er mich zurück in die Hütte schob.

Der restliche Abend verlief ruhig. Ivar bekamen wir gar nicht mehr zu Gesicht.

Als wir zu Abend aßen musterte Hvitserk mich immer wieder, während er sich Fleisch in den Mund schob, "Wieso möchtest du diesen Jungen dabeihaben? Du empfindest doch nicht etwa was für ihn?"

Überrascht sah ich auf und zuckte mit den Schultern, "Ich kenne ihn doch kaum.", sagte ich knapp und aß weiter, doch Hvitserk ließ nicht locker, "Man muss niemanden oft begegnen, um etwas für ihn zu empfinden. Du bist in einem Alter, in dem du schon Kinder haben solltest."

Genervt sah ich ihn an und schüttelte belustigt den Kopf, "Niemand würde die Tjara Lothbrok haben wollen, die für ihren Krüppelbruder bis in den Tod gehen würde, Hvitserk.", ich sah ihn an, während ich mein Fleisch aß, "Es ist mein Schicksal, das weißt du. Außerdem solltest du nicht von so etwas reden, schließlich hast du auch keine Kinder, geschwiegen denn ein Weib an deiner Seite."

Schweigend aßen wir zu Ende und gingen kurze Zeit später schon schlafen.

Am nächsten Morgen wurden alle Bewohner zu einer Versammlung in der großen Halle gerufen.
Hvitserk, Ivar und ich saßen auf den Stufen, die zum Thron hinaufführten, als König Harald seine Rede hielt.

"Ich habe aufregende Neuigkeiten.", begann er, "Wenn wir nicht weiterhin für das kämpfen, was wir gewonnen haben, werden wir alles verlieren. Wir haben viele Gebiete in England erobert und wir haben immer noch eine Siedlung in Wessex, die Ubbe uns erkämpft hat. Dennoch ist Wessex sehr mächtig. Denn König Alfred wird von allen Sachsen anerkannt und bejubelt. Wenn wir ihn nicht angreifen, wird er unsere Siedlungen zerstören.", König Harald sah durch das Volk, "Das dürfen wie niemals zulassen.", er setzte sich zurück auf seinen Thron.

Ivar sah kurz zu Hvitserk und mir, denn er wollte auch etwas sagen, "Immer wieder höre ich, dass unsere großen Helden tot sind. Es mag sein, dass ihr es glaubt. Doch ich habe den Eindruck, dass ihr es euch hier gemütlich macht, während unser Volk in anderen Ländern auf Leben und Tod kämpfen. Ihr habt vergessen wer ihr seid, ihr habt vergessen, dass ihr Wikinger seid." Ivar nickte mir zu und ich erhob mich.

"Ihr seid Söhne und Töchter der Götter!", rief ich laut durch die Halle, "Ihr sehnt euch nach Walhalla zu gelangen!", ich ging vor unserem Volk auf und ab.

Es war meine erste Ansprache an unser Volk, doch ich war kein Stück aufgeregt, im Gegenteil, es gefiel mir.

"Ist es das wofür unser Vater", ich deutete schwungvoll zu meinen Brüdern, "Ragnar Lothbrok starb? Hat er für euer unbeschwertes Leben sein eigenes geopfert?"
Nun erhob sich Ivar und kam zu mir herüber, "Ich war da, als unser Vater starb! Ich habe gesehen, wie er elendig in seinem Käfig über der Schlangengrube hing. Wie er seine letzten Worte sprach. Er wollte kein Mitleid. Er ging mit Freude in den Tod und lache. Er wusste, dass die Götter ihm einen Platz an der Tafel freihielten.", Ivar legte eine Pause ein und sah eine Ewigkeit in das schweigende Volk, "Er forderte von seinen Kindern und seinem Volk ihn zu rächen. Seitdem er tot ist breitet sich die Christenplage über unsere Welt aus. Sie hat sogar unsere Brüder, die Rus erreicht. Aber ihr wollt immer noch Wikinger sein, also handelt auch wie welche!", schrie Ivar während er durch die Reihen ging, "Vergesst euer gemütliches Leben hier! Kommt mit mir nach England, bezwingen wir König Alfred! Unterwerfen wir England mit all seinen Reichtümern!", mein Bruder schrie in das Volk und es jubelte los, durch die ganze Halle ertönte, "Heil dir Ivar, Heil dir Ivar!"

Er ist mein BruderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt