37. Björn Eisenseite

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Ich saß immer noch kauernd in der Ecke, als Björn und Hvitserk das Hinterzimmer betraten.
"Tjara!", rief Hvitserk besorgt. Er kam zu mir herüber und legte sein Schwert neben mir ab.
Doch ich sah nicht auf, ich behielt meinen Kopf weiterhin auf den Knien, denn ich musste immer noch meine Tränen unterdrücken.
Hvitserk legte die Hände auf meine Schultern und schüttelte mich unsanft, bis ich es wagte ihn anzusehen.
Er begutachtete meine Wunden im Gesicht, "Wo ist Ivar?"

"Er ist geflohen.", flüsterte ich leise.

Björn sah mich aus der Ferne an.
Er hatte mich oben auf der Mauer gesehen, er hat mich für Ivar kämpfen sehen.
Schnell starrte ich wieder vor mich hin.
Hvitserk wischte mir das Blut aus dem Gesicht, "Hat Ivar dir das angetan?", flüsterte er.
Nickend sah ich zu ihm. Ich musste nun das Opfer spielen, so wie Ivar es verlangte. Ich musste so tun, als wenn mir mein Bruder egal wäre, als wenn ich ihn hassen würde. Die Frage ist nur wie lange halte ich das durch?
Als Hvitserk mir auf die Beine half, verließ Björn das Zimmer.
"Aber wieso hast du dich gegen ihn gestellt? Du sagtest, dass dein Platz an seiner Seite ist."
Mein Bruder antwortete mir nicht. Er schob mich voraus, hinter Björn her, der geradewegs in Richtung des Marktplatzes ging.

"Auf ein neues Jahr, auf unser Leben, Björn Eisenseite.", Björn stand gegenüber einem alten Mann, der zu ihm sprach.

Ich fragte mich, wo Ivar inzwischen war. Hatte er einen Plan? Wusste er wohin er geht?
Ich schluckte und sah, dass hinter dem alten Mann eine Lücke entstand und jemand hervortrat.

Ubbe kam auf Björn zu und umarmte ihn freudig.
Ich sah ihn fasziniert an. Einerseits hatte ich meine Bruder Ivar aus den Augen verloren, doch andererseits hatte ich meinen ältesten Bruder Ubbe wieder an meiner Seite. Oder etwa doch nicht?

Nachdem Ubbe Björn losließ sah mein Bruder mich nur an. Ich dachte er würde mich umarmen und sich freuen mich zu sehen, doch dies tat er nicht.
Hvitserk ließ er ebenso stehen.
Mir war wieder nach Tränen vergießen zu Mute, doch ich hielt dem stand.

Lagertha trat aus den Reihen hervor und übergab Björn ein Schwert, "Heil dir König Björn Eisenseite. König von Kattegat."
Das Volk stimmte mit ein.
Wut stieg in mir hoch. Ich wollte verschwinden, doch es würde nur auffallen, meine Brüder würden wissen, dass alles nur gelogen war.

Ich sah zu Boden, ich stimmte nicht mit dem Volk ein.

Später nahm mich Hvitserk mit in seine Hütte, die in der wir damals alle zusammenlebten, als unsere Mutter starb.
Ich sprach kein Wort und starrte nur vor mich hin. Warum hätte ich auch reden sollen? Ich hatte nichts mehr zu sagen.

Hvitserk schien ebenso bedrückt zu sein, wie ich. Schließlich kam Ubbe herein und setzte sich zu uns an den Tisch. Er sah mit seinem vorwurfsvollen Blick zwischen mir und Hvitserk hin und her.
"Was hast du nun davon, dass du dich auf Ivars Seite geschlagen hast? Außer Schuldgefühle und das Wissen, dass er dich verraten und zurückgelassen hat?"
Ich sah in meinen Becher und antwortete nicht.

"Es ist nicht ihre Schuld, Ubbe.", mischte sich Hvitserk ein, der sichtlich betrunken war.
"Von dir werde ich erst gar nicht anfangen, kleiner Bruder. Ihr könnt beide froh sein, dass Björn euch nicht verbannt hat."

Schweigend stand ich auf und ging zur Tür. Ich wollte Kattegat verlassen, ich wollte es endlich hinter mir lassen und meinen Bruder Ivar finden.
Wir waren zwar noch nicht lange getrennt, doch es fühlte sich wie eine Ewigkeit an und dies schmerzte meinem Herzen sehr.

"Björn hat euch beide zum Speisen eingeladen, ihr solltet die Einladung annehmen und dankbar sein.", Ubbe stand auf und sah mich ernst an.

Schließlich gab ich nach und folgte ihm in die große Halle, wo das Essen bereits vorbereitet wurde.
Björn sah mich gebieterisch an, "Ich grüße dich, Tjara. Es freut mich, dass du meine Einladung angenommen hast.", er deutete auf einen freien Platz und ich setzte mich an den reichlich gedeckten Tisch.

Ubbe setzte sich auf den Platz neben mich.
"Wo ist euer Bruder Hvitserk?", fragte Lagertha, die mir gegenüber saß.
Ich atmete nur seufzend aus und überließ Ubbe das reden, der ihr sagte, dass Hvitserk schon auf dem Weg sei.

Wir fingen an zu essen, als Hvitserk eintraf, sein Zustand hatte sich nicht verbessert, er war noch betrunkener, als zuvor.
Doch nicht die lustige Art vom betrunken sein, nein, es schauderte mich ihn so zu sehen.

"Es freut mich, meine Geschwister wieder vereint zu sehen.", sagte Björn schließlich, als er seinen Becher absetzte, "Kattegat ist gewachsen und ich brauche vertraute Leute an meiner Seite."

"Ich wünsche dir dabei Glück mein Sohn, doch rechne nicht mit mir. Ich träume von einem kleinen Hof, wie ich ihn einst mit Ragnar damals hatte. Ich habe genug Krieg und Tod gesehen."

Björn seufzte, doch er akzeptierte ihre Entscheidung.

"Kann ich auf dich zählen, Ubbe?", er schlug ihm auf die Schulter.

"Ich bin unserem Vater sehr ähnlich, ich möchte neue Länder erkunden. Ich habe von einem Land im Westen gehört. Ich will es finden."
Ich sah Ubbe interessiert an.

"Du wirst mir fehlen, mein Bruder.", sagte Björn, "Was ist mit dir Hvitserk? Du hast bestimmt auch Gründe, um zu gehen."

"Wenn es mein Schicksal sein soll Ivar zu töten, dann muss ich ihn finden.", sagte Hvitserk.

Schlagartig verließ mich jedes Gefühl. Ich sah meinen Bruder fassungslos an, das konnte er nicht ernst meinen.

"So? Und wo willst du anfangen? Die Welt ist groß. Bis die Götter dir den Felsen zeigen, unter dem er dich verkrochen hat, kannst du hierbleiben und mir helfen.", Björn legte ihm eine Hand auf die Schulter.

Nun kam Björn zu mir, er stellte sich hinter mich und legte seine Hände auf meine Schulter, "Meine Schwester, die Götter haben uns vier wieder vereint, nachdem Ivar dich verraten hat, was sind deine Pläne? Ich könnte dich an meiner Seite brauchen, du bist eine große Kriegerin geworden."

Seine Worte machten mich einerseits stolz, andererseits weckten sie in mir den Zorn.
Ich trank einen Schluck aus meinem Becher und sah zwischen den Gesichtern, die mich anguckten hin und her.

Er ist mein BruderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt