42. Du bist groß geworden

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"Er hat sich für den Tod unserer Mutter gerecht!", schrie ich Björn an, der mich daraufhin von sich stieß und nachdenklich die Hand über sein Gesicht fahren ließ.

"Holt Hvitserk her, sofort.", befahl der den Wachen, die sofort los eilten.

"Was hast du vor, Björn?", fragte ich ihn, als ich mich wieder ein wenig beruhigt hatte.

"Halt deinen Mund.", sagte er und verließ das Hinterzimmer.
Ubbe sah mich noch kurz an und folgte ihm schließlich.

Ich atmete tief durch, bevor ich aus dem Hinterzimmer hervorkam.

Björn saß auf seinem Thron und die Halle füllte sich Stück für Stück mit Menschen.
Wutgeladen und kaltherzig starrte Björn durch die Menschen. Er wartete auf Hvitserks Ankunft.
Ubbe stand neben Björn und hielt immer noch die Arme verschränkt.
Langsam ging ich zu ihm und stellte mich vor ihn, als die Tür sich öffnete und Hvitserk reingebracht wurde.

Das Volk verstummte, als Björn anfing zu reden, "Ich frage mich, ob du weißt, warum ich dich habe herbringen lassen."

"Ja.", flüsterte Hvitserk.

"Wie war das? Ich kann dich nicht hören.", sagte Björn ruhig.

"Ich habe Lagertha getötet.", sprach Hvitserk immer noch leise.

"Was?", Björn tat so, als hätte er ihn immer noch nicht verstanden.

"Ich habe deine Mutter getötet, Björn!", schrie er nun.

Björn erhob sich und ging zu Hvitserk herunter. Er packte ihn mit einer Hand am Kinn und hielt ihn fest, "Warum?", zischte er.

"Sie war Ivar, ich dachte sie wäre Ivar...-", stammelte Hvitserk, doch Björn gab ihm, ohne zu antworten, eine Ohrfeige.

"Ich dachte, dass Ivar kommt, und mich ermordet.", sagte Hvitserk nun klar, woraufhin Björn erneut zuschlug.

"Es ist mir gleich, was du gedacht hast und Trunkenheit ist keine Ausrede! - Für gar nichts!"

Björn ging um ihn herum, "Du bist der Mörder meiner Mutter! Du hast die berühmteste Schildmaid umgebracht! Du trauriger, nichtsnutziger, erbärmlicher, kleiner Schwächling.", schrie Björn immer noch wutgeladen.
Er packte Hvitserk wieder, "Du bist es nicht Wert, dass man dich ein Sohn Ragnars nennt.", flüsterte er und schlug erneut zu.
Björn drehte sich weg und blickte kurz zu Ubbe und mir, bevor er sich wieder Hvitserk zu wendete, "Mit dem Mord meiner Mutter, hast du auch einen Teil von mir umgebracht. Und eines musst du verstehen - ich kann dir das niemals verzeihen.", kraftvoll stieß Björn ihn weg.

"Ich weiß. Und ich nehme jede Strafe hin, denn ich habe sie verdient. Anders als ihr, meine Geschwister, habe ich Vater niemals einen Grund gegeben stolz auf mich zu sein."

Björn starrte seinen kleinen Bruder nur hasserfüllt an, "Hvitserk ist schuldig, ihr habt es alle gehört!", schrie er und setzte sich zurück auf seinen Thron, "Schafft ihn mir aus den Augen!"

Die Wachen packten meinen Bruder und zogen ihn unsanft aus der Halle. Er wurde an einen Pfahl gefesselt. Ubbe ging zu unserem Bruder hinaus.

Stumm setzte ich mich auf eine Bank und beobachtete Björn, der dies schnell bemerkte, "Mache ich das Richtige?", fragte er mich.

Ich sah auf die Tischplatte und seufzte, "Was wird er für eine Strafe kriegen, Björn?"

Er schüttelte mit dem Kopf, er schien noch nicht zu wissen, was er mit Hvitserk anstellen würde.

"Denk dabei immer daran, was Vater getan hätte und ob er mit seinem Verstand oder seinem Herzen geurteilt hätte, Bruder."

Björn gab ein kurzes Lächeln von sich, er hätte wohl niemals so eine Antwort von mir erwartet, "Ich vergesse immer wieder wie groß du geworden bist, Tjara. Ich sehe vor mir immer noch das kleine Mädchen, welches sich mit ihrem Bruder Sigurd über unwichtige Dinge stritt und niemals vor etwas Angst zu haben schien."

Nun musste ich auch Lächeln, "Ich habe mich nicht großartig geändert, Björn, ich bin nur gewachsen, mehr nicht.", ich stand auf und ging auf ihn zu, "Ich möchte dich nicht in deiner Entscheidung beeinflussen, aber bedenke bei deiner Entscheidung, dass er dein kleiner Bruder ist.", ich schlug Björn kurz auf die Schulter und verließ die Halle.

Ubbe hockte vor Hvitserk und schien mit ihm zu reden.
Ich hielt sicheren Abstand zu den beiden.
Schließlich erhob sich Ubbe und kam auf mich zu, "Geh wieder rein, es ist kalt.", sagte er und schob mich zurück in die Halle.

Björn war inzwischen hinten verschwunden und Ubbe und ich setzten uns an einen Tisch.
"Auch wenn Hvitserk unser Bruder ist, sollten wir Björn, der ebenfalls unser Bruder ist, bei seiner Entscheidung unterstützen.", Ubbe beugte sich vor und sah mich ernst an, "Hast du das verstanden, Tjara?"

Ich nickte langsam.

"Doch nun sollten wir uns zu unserem Bruder gesellen und gemeinsam essen.", Ubbe erhob sich. Schweigend folgte ich ihm zu Björn, der im Hinterzimmer an einem Tisch neben dem Feuer saß und zu Abend aß, "Setzt euch, meine Geschwister.", brachte er leise hervor.
Ich spürte, dass er unter dem Tod seiner Mutter sehr litt. Doch das taten Ivar und ich auch, als seine Mutter unsere umbrachte.

Nachdem Björn den letzten Knochen weg gelegt hatte lehnte er sich zurück und seufzte, "Ihr beide seid die letzten, die ich noch habe. Du solltest uns nicht verlassen Ubbe. Und du Tjara, ich würde mir wünschen, dass du an meiner Seite in der nächsten Schlacht kämpfst."

Ich sah kurz zwischen Ubbe und Björn hin und her. Ubbe ließ mir den Vortritt, "Das ist ganz alleine Ubbes Entscheidung, wie sich alles wenden wird.", sagte ich stumpf und hantierte an meiner Keule herum.

"Wir sollten erst einmal besprechen, was nun mit Hvitserk geschehen wird, bevor wir die weiteren Schritte planen."

Interessiert sahen wir Björn an, dessen Blick sich immer mehr verfinsterte.
Nachdem er uns Bier in unsere Becher kippte, schwieg er eine Weile.

"Morgen werde ich unseren Bruder umbringen.", er leerte seinen Becher in einem Zug, er klang so, als könnte ihm nichts mehr davon abhalten.

Er ist mein BruderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt