Wir ergriffen die Flucht und zogen zurück nach Kiew.
Alles was so nah schien war plötzlich wieder einmal so fern.
Es fühlte sich an, als wenn ich meine Ankunft hier ein zweites Mal erleben würde.
Niemand sagte ein Wort, als wir durch die Tore der Stadt ritten.Es vergingen zwei Tage, an denen nicht wirklich etwas passierte. Niemand wollte über Schlachtpläne sprechen, niemand wollte auch nur dieses Wort in den Mund nehmen. Denn uns hatte ein Mann, der schon tot war besiegt.
"Wir müssen gehen, Tjara.", sagte Hvitserk plötzlich, "Wir haben gleich ein treffen mit Oleg."
Ivar blieb stehen und sah uns zögernd an, "Ihr habt was?", hakte er nach.
Ich zuckte mit den Schultern, "König Oleg hat uns zum Essen eingeladen."
"Und warum?"
"Das werden wir herausfinden.", Hvitserk schlug Ivar auf die Schulter und wir machten uns auf den Weg.
"Wieso nur wir beide, Hvitserk?", fragte ich nachdenklich.
"Er wird seine Gründe haben."
Hvitserk schob mich voran und wir betraten das Gebäude. Wir wurden in eine Halle, an einen tiefen Tisch geführt.
"Setzt euch, der Prinz wird sich jeden Moment zu euch gesellen.", wurde uns gesagt.
Zögernd setzte ich mich neben meinen Bruder an den Tisch.
"Tjara und Hvitserk.", Oleg trat aus einer Tür hervor und setzte sich zu uns, "Ich weiß nicht viel über euch beide, wir sollten uns etwas besser kennenlernen."
"Sehr gerne, Prinz Oleg.", sagte Hvitserk.
Ich stimmte nickend mit ein. Ich traute dieser Sache nicht. Warum wurde Ivar nicht eingeladen?"Zwischen Geschwistern ist es oftmals nicht einfach, stimmt's?", Oleg musterte mich.
Ich schluckte, "Man ist hin und her gerissen, sowieso, wenn man fünf ältere Brüder hat.", ich sah den Prinzen an, "Hatte...", fügte ich noch schnell hinzu.
"Ihr wünscht euch gewiss manchmal eine Schwester zu haben?"
Ich lachte auf, "Gewiss nicht, Prinz Oleg. Brüder sind etwas wunderbares."
"Warum wolltet Ihr uns sprechen?", fragte Hvitserk nun.
"Wie ich schon sagte, ich möchte euch besser kennenlernen. Außerdem mag ich Wikinger.", er sah mich und Hvitserk an, "Ich hätte Wikinger gerne als Leibwächter, ich vertraue euch mehr, als meinen Männern.", er legte eine kurze Pause ein, "Ivar vielleicht nicht."
Unsicher sah ich zu Hvitserk, der einen selbstsicheren Eindruck vermittelte.
"Schade, dass wir Kattegat nicht einnehmen konnten.", fing der Prinz nun an.
"Hvitserk, was ist mit euch? Wie ist eure Bindung zu Ivar?"
Hvitserk erzählte dem Prinzen tatsächlich das schwierige Verhältnis zu unserem Bruder, von seinem Verrat und seinen Entscheidungen.
Ich wäre sehr gerne gegangen, denn ich fühlte mich nicht wohl bei der ganzen Sache, doch ich wollte den Prinzen nicht verärgern.
Nervös und ungeduldig sah ich durch den Raum, bis mich Prinz Oleg ansprach, "Und? Was haltet ihr davon, Tjara?"
Schnell blickte ich zu ihm herüber und sah ihn fragend an.
"Wollt ihr mit eurem Bruder meine Leibwächter sein?"
"Natürlich möchte sie das.", Hvitserk lachte unsicher und klopfte mir auf die Schulter.
"Nun gut.", Oleg klopfte mit beiden Handflächen auf den Tisch und erhob sich.
"Ihr dürft gehen. Ich merke doch, dass ihr hier nicht zur Ruhe kommen könnt.", der Prinz lächelte mich leicht an und deutete zur Tür.
Fast stolpernd verließ ich die Halle und ging schnellen Schrittes über den Marktplatz.
"Tjara.", die vertraute Stimme meines Bruders Ivar riss mich aus meinen Gedanken. Schnell sah ich auf und erblickte ihn vor mir.
Prüfend musterte er mich und stellte schnell fest, dass etwas nicht stimmte, "Was ist geschehen? Was haben du und Hvitserk mit Oleg besprochen?"Ich schluckte und sah zu Boden, "Ich werde das Gefühl nicht los, dass Oleg möchte, dass Hvitserk und ich uns gegen dich wenden. Ich glaube er sieht dich als eine Bedrohung seiner Macht an.", flüsterte ich.
Die Besorgnis in Ivars Augen wurde zu Entsetzen.
"Hvitserk ist beeinflussbar, er ist in dieser Hinsicht einfach schwach, das wissen wir beide, Ivar.", ich sah meinem Bruder in die Augen.
"Ich werde mit Hvitserk sprechen müssen.", Ivars blick fiel von mir ab. Er sah nun an mir vorbei und verstummte.
"Hvitserk!", rief er laut und ging an mir vorbei.
"Ivar.", sagte Hvitserk genervt und verschränkte die Arme.
Ich stellte mich seitlich hinter Ivar und tat es Hvitserk gleich."Was willst du?", fragte Hvitserk nun.
Ivar setzte sein künstliches Lächeln auf und sah ihn nur stumm an.
Schließlich wollte Hvitserk an Ivar vorbeigehen, doch er versperrte mit seinem Gehstock den Weg.
"Ich sag dir, was ich will.", flüsterte Ivar bedrohlich.
Hvitserk verdrehte genervt die Augen.
"Ich will nur, dass wir zusammenhalten. Du bist mein Bruder, doch es scheint, als würdest du mir im Weg stehen.", Ivar funkelte ihn mit seinem kältesten Blick an, "Oleg möchte mich nicht empfangen, doch ich muss wichtige Informationen überbringen."
Hvitserk lachte kurz, "Ich überbringe ihm gerne deine Informationen."
Ivar sagte kein Wort und starrte Hvitserk nur an.
"Du vertraust mir nicht, du hast mir noch nie vertraut, Bruder.", der Zorn stand Hvitserk ins Gesicht geschrieben.
Ich konnte die Diskussion nicht weiter ertragen und trat vor, "Du willst also nun zu Oleg halten und nicht zu deinen Geschwistern?", fragte ich und versuchte mein Entsetzen gut rüberzubringen, "Er erpresst dich doch.", sagte ich vorwurfsvoll.
"Genau, was gibt er dir?", fragte Ivar nun neugierig.
"Er behandelt mich mit Respekt und nicht so dreckig, wie du es tust, Ivar. Für dich bin ich doch nur der kleine Sklave."
Ivar atmete zornig aus, "Du bist mein Bruder.", zischte Ivar, "Was in Odins Namen bedeutet dir Oleg, hm?", er wurde von Wort zu Wort lauter.
"Er ist der künftige Herrscher der ganzen Welt. Was bist du, hm?", Hvitserk hob die Hand, um Ivar weg zu schubsen, doch im letzten Moment packte ich mit aller Kraft sein Handgelenk.
"Mir war von Anfang an klar, dass du wie ein kleiner Hund sofort zu ihm rennst.", Hvitserk sah mich an und nickte zu Ivar.
Im nächsten Moment zog er ruckartig seine Hand aus meinem Griff und ging auf Ivar zu. Dabei schubste er mich zur Seite und daraufhin unseren Bruder.
Mit letzter Kraft konnte sich Ivar noch auf den Beinen halten."Trauriger, armer Ivar.", Hvitserk schubste Ivar nun so sehr, dass er das Gleichgewicht verlor und zu Boden fiel.
Doch Ivar ließ sich das nicht gefallen und riss Hvitserk geschickt zu Boden.
Doch als dieser plötzlich auf Ivar einschlug, griff ich ein und versuchte ihn, wie ein Vieh, am Kragen von Ivar herunter zu ziehen.
Hvitserk bekam keine Luft mehr und drehte sich schnell um, um nun nach mir zu schlagen.
Ivar nutzte den Moment und packte Hvitserk am Hals. Er drückte so fest zu, dass Hvitserk nach Luft rang.
Ich ließ seinen Kragen los, denn wie es schien, hatte Ivar nun wieder die Oberhand.Ohne seine Hand von Hvitserks Hals zu nehmen, schubste er ihn von sich herunter und richtete sich sitzend auf.
Er sah ihn machtvoll an, denn es schien ihm egal zu sein, dass er unseren Bruder so umbringen könnte.
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Er ist mein Bruder
FanfictionDer legendäre Ragnar Lothbrok ist ihr Vater, doch wer ist eigentlich dieser Mann, der sie und ihre Brüder verließ, als sie noch ein kleines Kind war? Trotz der Herausforderungen, sich alleine gegen ihre Brüder durchzusetzen, ist sie herangewachsen...