35. Wie im Traum

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Wie aus dem nichts gab er mir eine Ohrfeige und drehte sich um, "Auch wenn ich dein Bruder bin, bin ich noch immer der König von Kattegat."
Meine Trunkenheit war wie weggeweht. Ich erhob mich langsam und wartete, ob er noch etwas zu sagen hatte. "Ich bin dein Bruder und ich liebe dich. Doch als König muss ich mich auch um viele andere Sachen kümmern, Sachen, von denen du nichts wissen musst."

"Wir haben uns immer alles erzählt, Ivar, alles, egal was es war, es gab keine Geheimnisse zwischen uns."

Er drehte sich um und sah mich mitleidig an, "Die Frage ist nur, ob wir uns immer noch so vertrauen, wie wir es als kleine Kinder taten, Tjara?", vorwurfsvoll sah er mich an.

Ich atmete tief durch, "Ich habe dir schon vor langer Zeit mein Leben anvertraut und das sollte sich auch niemals ändern, Bruder."
Fassungslos über die Worte meines Bruders verließ ich die Halle.
Sollte das nun wirklich heißen, dass er mir nicht mehr vertrauen würde? Mir, seiner kleinen immer treuen Schwester?

Draußen dämmerte es schon und in der Ferne zog ein Sturm auf.
Es dauerte nicht lange, als es stark begann zu regnen, die Dorfbewohner kehrten in ihre Hütten, ans Feuer.

Irgendetwas zog mich wie Magie auf die Mauern, die Kattegat umgaben. Ich sah sehr lange in die Ferne, das Regenwasser lief mir inzwischen schon den Nacken herunter.
Doch plötzlich sah ich meinen Bruder Hvitserk und Björn dort stehen, hinter ihnen tauchten immer mehr und mehr Männer auf. Ich wusste nicht wie mir geschah, denn im nächsten Moment, waren sie wieder wie weggezaubert.
Erstarrt stand ich dort oben auf der Mauer, doch dann wurde es mir klar. Meine Mutter war eine Völva, sie sah Dinge im Voraus, die immer eintrafen.
Mein Bruder kam also nicht zurück, weil er sich gegen uns gestellt hatte. Er hat sich auf die Seite der Feinde geschlagen.
Ich wachte aus meiner Starre auf und rannte, so schnell ich konnte in die große Halle zurück.
Durchnässt und frierend ging ich schnurstracks auf Ivar, der inzwischen wieder auf seinem Thron saß zu.
"Bruder!", keuchte ich außer Atem, "Ich habe etwas gesehen, so wie Mutter einst Sachen sah."

Ivar setzte sich gerade hin und sah interessiert zu mir, "Du willst mir damit sagen, dass du denkst, dass du eine Völva bist, wie Mutter es war?", er lachte auf.

"Ich weiß es nicht, aber ich kann dir sagen, was ich sah. Hvitserk hat sich gegen uns gewendet, er und Björn haben uns angegriffen.", zitternd vor Kälte sah ich ihn an.
Ivar schrie eine Sklavin zu sich, damit sie mir wärmen Pelz umlegte.

"Deine Vermutungen könnten stimmen, Hvitserk könnte sich gegen uns gestellt haben und uns angreifen wollen.", er nickte nachdenklich, "Für alle Fälle werden wir Vorbereitungen treffen. Mach dich für einen Kampf bereit, Schwester.", er sah mich ernst an.

Ich wusste, dass ich keine Angst haben durfte, doch ich hatte Angst. Angst davor, dass es wahr wird, was ich sah und mein Bruder Hvitserk sich gegen uns gewendet hatte.
"Aber Ivar. Hvitserk sagte erst vor einen paar Tagen, dass sein Platz an deiner Seite ist, wieso sollte er sich nun gegen uns stellen?"

Ivar lachte auf, "Er hatte von Anfang an Zweifel. Und nun bereite dich vor. Ich werde inzwischen alle Maßnahmen ergreifen."

Ich nickte meinem Bruder kurz zu und machte mich so schnell ich konnte auf den Weg zum Schmied.
Niemand wusste, wann oder ob sie hier auftauchen würden.
Ich übergab dem Schmied meine Waffen, damit er sie aufbesserte.
Zuletzt war ich mit Sigurd und Ivar, vor unserer großen Reise nach England, hier gewesen.

"Ich hoffe eurem Bruder geht es gut.", sprach der Schmied, während er meine Waffen begutachtete.
Ich nickte kurz, "Ja, er bemüht sich sehr ein guter Herrscher zu sein."

"Viele wissen diese Mühe nicht zu schätzen, doch wir stehen hinter eurem Bruder."

Lächelnd gab er mir meine überarbeiteten Waffen zurück.
Ich bedankte mich und ging leicht rennend zurück in die große Halle. Ich hastete in das Hinterzimmer und holte meine Kleidung hervor, die meine Mutter mir einst geschenkt hatte, in der Hoffnung, dass ich eine große Kriegerin werden würde. Es war Zeit sie wieder anzuziehen, ich wusste sie würde mir große Kraft verleihen.

Nachdem eine Sklavin mir meine Haare geflochten und gerichtet hatte, machte ich mich wieder auf den Weg zur Mauer, vielleicht waren meine Brüder ja schon unterwegs?

Wir hatten Glück. Bis jetzt waren weit und breit keine Krieger zu sehen.
Langsam stieg ich die Leiter wieder hinunter und atmete aus.
Inzwischen hatte Ivar alle Vorbereitungen getroffen. Alle Krieger waren bereit für einen Kampf, der bevorstehen könnte.

"Du wirst Pfeil und Bogen benötigen, Tjara.", Ivar tauchte zwischen den Kriegern auf, "Du hast immer Pfeil und Bogen dabei, wieso jetzt nicht? Und du wirst mit Schild kämpfen, ohne lasse ich dich nicht gehen."

In der ganzen Aufregung hatte ich Pfeil und Bogen ganz vergessen.
Gerade, als ich mich auf den Weg zur Halle machen wollte, ertönte das Horn.
Nicht wissend, was ich nun tun sollte, sah ich Ivar an. Nun noch zur Halle zu laufen würde zu viel Zeit in Anspruch nehmen.

"Du da!", brüllte Ivar eine Kriegerin an, "Gib meiner Schwester deine Waffen."

Ohne zu zögern überreichte sie mir Pfeil und Bogen.
Ivar nickte zur Mauer hinauf woraufhin ich schnell die Leiter hinauf stiegt und den anderen Kriegern folgte.

Ivar musste den längeren Weg nehmen, denn eine Leiter hinaufsteigen konnte er nicht.
Ich wurde von unseren Kriegern in die vordersten Reihen gelassen und stand nun ganz vorne.
Ich schluckte, als ich sah, wie ein großer Rammbock zum Tor gerollt wurde.

Ich erblickte Björn, der mir genau in die Augen sah. Ich holte Pfeil und Bogen heraus.
Ivar war noch nicht aufgetaucht, doch ich musste handeln.
"Bogenschützen!", schrie ich so laut ich konnte, "Schießt!"

Ich rief erneut und erneut, bis Ivar auf der Mauer auftauchte und sich neben mich stellte.
Wir hatten es geschafft einige Krieger zu treffen, doch nun würde mein Bruder das Wort übernehmen.

Er legte mir dankend eine Hand auf die Schulter, bevor er den Feinden ins Gesicht sah.
"Schießt auf sie!", brüllte er in einem gebieterischen Ton.

"Willkommen Zuhause, Björn, willkommen.", rief Ivar spöttisch zu unserem Bruder am Rammbock herunter, "Schießt!", schrie Ivar erneut.

Er rief zwischen seinen Anweisungen immer wieder Björn etwas zu.
Plötzlich ertönte das Horn vom anderen Tor.
Ivar sah sich kurz um, doch ignorierte es, "Verbrennt sie bei lebendigem Leib!", rief er schadenfroh, woraufhin die gegnerischen Krieger übergossen und angezündet wurden.

"Geh zum anderen Tor, führe unsere Krieger und zögere nicht, egal wer vor dir steht.", er drückte seinen Kopf an meine Stirn.

Er ist mein BruderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt