72. Am Horizont

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Am frühen Abend saß ich im Hinterzimmer der Halle und grübelte über einen Schlachtplan, schließlich war nicht mehr viel Zeit bis zum Frühjahr und Vorbereitungen mussten getroffen werden.

Auf einmal hörte ich, wie die Tür der Halle laut geöffnet wurde. Schnell stand ich auf und trat nach vorne.

"Königin Tjara, ein Schiff am Horizont.", sagte einer der fünf Wachen, die nun vor mir standen.

Ich legte den Kopf schief und sah ihn verständnislos an. Wer würde zu dieser Zeit freiwillig Segel setzten?
Nachdenklich sah ich zur Tür, doch ich wollte nicht meine Zeit verschwenden um zu sehen, wer dort kam, "Stellt euch auf und nehmt die Fremden in Empfang.", sagte ich und verschwand wieder, um meinen Plan weiter auszuarbeiten.

Erschöpft setzte ich mich auf den Boden neben das Feuer. Ich war mit den Gedanken sofort wieder in England. Ich sah Ivar wieder einmal vor mir, wie er mich und Hvitserk retten wollte und wie er schließlich starb.
Ich strich mit meiner Handfläche über mein Gesicht und stellte meinen Becher auf einen nahestehenden Tisch. Die restliche Zeit lang grübelte ich vor mir hin, wie wir die Schlacht in England angehen sollten, bis sich erneu die Tür der Halle mit einem lauten Knall öffnete. Sofort ging wildes Gerede los.
Schnell sprang ich auf und eilte nach vorne. Dort standen wieder einmal Wachen, doch dieses Mal nicht nur fünf Stück, sondern ein ganzer Haufen.
Sie schienen zu versuchen jemanden in ihrer Mitte aus der Halle zu schaffen.

"Was geht hier vor?", schrie ich genervt.
Sofort herrschte Stille in der Halle und die Wachen sahen mich an, bevor sie zurücktraten und die Person in der Mitte von ihnen zum Vorschein kam.

Ich beäugte den Mann, der dort stand. Als ich endlich erkannte, wer es war, sah ich mit großem entsetzen in sein Gesicht, welches mich ansah, als könnte er es kaum glauben mich zu sehen.

Ich hob meine Hand und die Wachen verschwanden auf der Stelle.

Langsam ging ich auf ihn zu, ich glaubte es immer noch nicht ihn zu sehen, "Du lebst noch, Bruder.", flüsterte ich so leise, dass er wohl nur ahnen konnte, was ich sagte.

"Natürlich lebe ich noch, kleine Schwester.", Ubbe schüttelte den Kopf, er konnte es nicht glauben mich nach so langer Zeit wieder zu sehen. Schnell kam er auf mich zu und drückte mich an sich.
Er legte seine Arme fest um mich und sein Kopf auf meinen.
Es fühlte sich ewig lange an, wie wir so dort standen, doch es fühlte sich wunderbar an. Meine Augen füllten sich mit Wasser und ich begann schließlich zu weinen.
Mein Bruder ließ mich los, hielt meinen Kopf fest und sah mich an, "Nicht weinen, Tjara.", flüsterte er und drückte mich erneut an sich.
Wusste er, dass Ivar und Hvitserk tot waren? Oder war er nur zufällig zurückgekehrt?

Schließlich ließ er mich los und ich setzte mich auf eine der Bänke.
Ich hielt mir meinen Kopf und stützte meine Ellenbogen auf der großen Tischplatte ab.
Ubbe setzte sich zu mir und ich nahm seine Hand.
Ich konnte es kaum glauben ihn zu sehen, ich hätte niemals gedacht, dass wir uns je wieder sehen würden.
"Sie sind tot, Ubbe.", sagte ich, nachdem ich tief durchgeatmet und mich beruhigt hatte, "Sie sind beide tot.", flüsterte ich.
Das leichte Lächeln verschwand aus seinem Gesicht und er sah durch die Halle, "Hvitserk?"

Nachdem ich bemerkte, dass ihm bewusst war, dass Ivar tot war, doch er glaubte, dass Hvitserk lebte schluckte ich und vermied seinen Blick.

"Ist er in der Schlacht gefallen?", er hob mein Gesicht und sah mir in die Augen.
Ich schloss sie und atmete erneut tief ein, "Nicht direkt, Ubbe.", flüsterte ich.

"Was ist passiert?", fragte er mich ernst, "Hat Ivar..."

"Nein.", unterbrach ich ihn, bevor er seinen Satz beenden konnte, "Ich.", flüsterte ich kaum hörbar.

Mein Bruder zog seine Hand unter meiner hervor und sah mich fassungslos an. Er schüttelte mit dem Kopf, "Nein.", er erhob sich und blieb vor mir stehen, "Nein.", wiederholte er sich.
Er schien nicht glauben zu können, dass ich zu so etwas in der Lage gewesen war.

"Warum, Tjara?! Weil er der rechtmäßige Thronfolger war?"

Entsetzt stand ich auf, "Weil er ein Christ werden wollte! Er wollte zu denen gehören, die Ivar getötet haben!", schrie ich ihn an, während ich auf Verständnis hoffte.

Ubbe war fassungslos, doch er atmete tief ein und setzte sich wieder.

"Ich habe Ivar versprochen, dass ich ihn töte, wenn er ihn noch einmal verrät. Und das wäre Verrat gewesen.", sagte ich ruhig.

"Weißt du noch, damals, unser Kampf am Strand? Was habe ich dir danach gesagt?", fragte er väterlich.

Nachdenklich sah ich ihn an, "Du sagtest, dass du als ältester Bruder niemals deine jüngeren Geschwister umbringen könntest.", eher fragend sah ich zu ihm.

"Du und Ivar, ihr wart die jüngsten. Eure älteren Geschwister zu töten war also kein Problem. Ihr habt..."

"Sigurd hätte Ivar auch umgebracht, wenn er die Möglichkeit gehabt hätte! Seinen jüngeren Bruder.", unterbrach ich Ubbe.

"Rede nicht so von Sigurd, Tjara.", ruhig legte er seine Hand auf meinen Kopf, "Lass uns nicht streiten. Komm. Ich habe noch etwas für dich.", Ubbe war wieder die Ruhe selbst und ging in Richtung der Tür. Ich nahm mir mein Fell, legte es um und folgte ihm.

Er ging an den Pier, wo ein kleines, aber scheinbar robustes Schiff lag. Meine wachen standen vor diesem und schienen es zu bewachen.
Ich zog die Augenbrauen zusammen und sah meinen Bruder an.
Er lächelte mir zu, als wenn er es kaum erwarten konnte.

Als wir schließlich vor meinen Wachen standen hörte ich ein vertrautes Kichern hinter ihnen und sah Ubbe mit großen Augen an.
Als die Wachen schließlich verschwanden erblickte ich ihn endlich.

Er ist mein BruderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt