62. Du bist treu, kleine Schwestern

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Als Hvitserk, Ivar und ich noch spät abends mit König Harald in der großen Halle saßen, öffneten sich plötzlich die Türen.

"König Ivar.", hörte ich eine wohl bekannte Stimme sagen und drehte mich um.
Ivar sah mit einem fast schon spöttischen Lächeln zu Nels, der nun vor ihm stand.

Mit ernstem Blick verbeugte er sich vor ihm, "Bitte nehmt mich mit nach England. Ich möchte kämpfen."

Ivar stand auf und ging langsam um Nels herum, "Aber natürlich werde ich dich mitnehmen. Nels, richtig?"

Nels nickte kurz.

"Gewiss werden wir einen Platz auf unseren Schiffen für dich finden.", Ivar nickte ihm zu und machte eine Handbewegung, die ihm zu sagen schien, dass er nun gehen solle.

Ivar kam zu uns zurück und warf mir ein Blick der Verachtung zu. Seufzend atmete ich aus und sah zu Boden.

Kurze Zeit später brach Hvitserk auf, er wollte sich und seine Waffen für den nächsten Tag vorbereiten, denn dort würden wir zurück nach England kehren.
König Harald verließ uns ebenfalls und zog sich in das Hinterzimmer zurück.

Durch die wärmenden Flammen des Feuers sah ich in Ivars Gesicht, der mich genau musterte. Ich tat es ihm gleich, denn ich wollte ihn schon lange etwas fragen, "Vertraust du Hvitserk?"

Mein Bruder legte den Kopf schief, "Er hat mich damals mit Björn angegriffen. Und das war nicht sein erster Verrat."

"Ich weiß er ist unser älterer Bruder und gewiss sollte ich so etwas nicht aussprechen. Doch wenn er dich noch einmal hintergeht, werde ich ihn umbringen.", flüsterte ich zischend.
Natürlich liebte ich Hvitserk, doch ich konnte ihm nicht verzeihen, dass er mich und Ivar damals verraten hatte.

"Du denkst also, dass du ihn umbringen könntest? Du bist treu, kleine Schwester, doch gewiss nicht in der Lage ihn umzubringen.", sagte Ivar sanft und strich mir über die Wange, bevor wir uns auf den Weg in unsere Hütte machten.

Ich war angetrunken und legte mich übermütig neben Hvitserk, der schon tief und fest schlief.
Ich holte mein Messer heraus und hielt es ihm an die Kehle, "Solltest du mich oder Ivar jemals wieder verraten, Bruder, bringe ich dich um.", flüsterte ich, ohne dass er mich bemerkte und rollte mich zu meinem Schlafplatz rüber.

Am nächsten Morgen war es so weit und meine Brüder und ich brachen mit unzähligen Männern und Frauen nach England auf.
Stolz stieg ich an Bord eines Schiffes und wartete auf Ivar, der kurze Zeit später neben mir auftauchte.

"Du weißt, dass ich nicht möchte, dass du dich unnötiger Gefahren aussetzt, Tjara.", flüsterte er, als wir ablegten und Hvitserk sich zu uns gesellte.

"Ich kämpfe für dich und für unser Volk, Bruder. Wenn ich dir damit helfen kann würde ich gerne sterben.", sagte ich selbstsicher.

Ivar legte mir eine Hand auf die Schulter und schüttelte den Kopf, "Du wirst nur kämpfen, wenn Hvitserk sich im Stande fühlt dich beschützen zu können.", Ivar sah Hvitserk mit hochgezogenen Augenbrauen an und wartete auf seine Antwort.

"Gewiss werde ich alles geben, um Tjara zu schützen. Doch selbst ich kann nicht alles schaffen, was ich mir vornehme. Du bist ein Gott, kleiner Bruder.", sagte Hvitserk gefühlvoll, "Mit deiner Kraft wirst du sie schützen und Tyr stand ihr schon immer bei, das wissen wir, seit unsere Mutter von uns ging."

Ich sah zu Boden, doch Hvitserks lachen holte mich in die Realität zurück, "Wir werden König Alfred und seine Männer bezwingen!", sagte er und lachte auf.

Als es kalt wurde und die Nacht hereinbrach, setzte ich mich mit einer Felldecke zu Nels, der ebenfalls auf unserem Schiff war.
Er sah mich überrascht an, doch freute sich, dass sich jemand zu ihm gesellte.

"Ich bewundere deinen Mut und deine Selbstsicherheit seit unserer ersten Begegnung, Tjara Lothbrok.", flüsterte er verträumt und starrte vor sich hin.

"Bei fünf Brüdern brauchte ich das, um mich durchsetzen zu können.", sagte ich lachend, "Freust du dich auf die Schlacht?"

Nels blickte auf und sah mir in die Augen. Ich sah die Unsicherheit in ihnen.

"Ich habe noch nie auf einem weiten Schlachtfeld gekämpft. Gewiss werde ich sterben.", er schluckte und umklammerte Seite Decke.

"Wenn du so sprichst wirst du es gewiss.", gleichgültig zuckte ich mit den Schultern, "Glaubst du die Götter sind bei dir, wenn du so etwas sagst?", spöttisch sah ich ihn an.

"Du hast gut reden. Du bist Ragnars Tochter. Ragnar war ein Nachfahre Odins, somit beschützen dich die Götter.", seufzend sah er in die bereits dunkle Nacht.

Ich rückte näher an ihn heran und nahm seine Hand, "Du wirst nicht sterben, denn die Götter wollen sehen wohin dein Weg dich führt, Nels.", flüsterte ich, während er seine andere Hand auf meine legte.
Dankend sah er mich an und lächelte.
Doch plötzlich tauchte Ivar neben uns auf. Ich war überrascht ihn nicht bemerkt zu haben, doch er kam nicht mit seinem Gehstock, sondern kroch zu uns herüber.
"Steh auf.", forderte er mich auf uns setzte ein falsches Lächeln auf.

"Aber Ivar, wieso?", fragte ich ihn verwirrt.

"Steh auf habe ich gesagt.", flüsterte er nun bedrohlich leise, "Ich würde mich liebend gerne mit Nels unterhalten.", Ivar durchbohrte mich mit seinem Blick, bis ich schließlich aufstand und Ivar sich zufrieden hinsetzte.

Schweigend ging ich zu Hvitserk, der das ganze Schauspiel ausdruckslos beobachtete.
Ich setzte mich neben ihn und legte meinen Kopf gegen seine Schulter.
Ich dachte über Ivars Worte vom gestrigen Abend nach Gewiss bist du nicht in der Lage ihn umzubringen.
Seufzend schloss ich die Augen, ich war müde, doch nun musste Hvitserk sich zu Wort melden.

"Du weißt, warum Ivar das macht?", fragte er und legte seinen Kopf gegen meinen, "Er will nicht, dass du jemals einen Mann an deiner Seite hast, weil er Angst hat, dass du ihn dann verlassen wirst."

Ich nickte nur langsam. Natürlich wusste ich, warum Ivar das machte, doch er hatte keinen Grund Angst zu haben, "Ich weiß Bruder.", flüsterte ich müde, "Doch wenn es ihm dann besser geht, soll er es gerne weiterhin machen."

Hvitserk zog meine Decke zurecht, damit er auch ein Stück abbekam und schloss ebenfalls die Augen.
Ich entnahm noch ein leises Schlaf gut, kleine Schwester, bevor ich einschlief.

Er ist mein BruderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt