48. Nicht mehr lange

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Es vergingen viele Wochen bei den Rus. Langsam gewöhnte ich mich an diesen Ort, doch es war schwer für mich sich unter diesen Leuten wohlzufühlen, denn sie waren immer noch Christen.

Nach einem kleinen Spaziergang in der Stadt kehrten Hvitserk und ich zurück in unseren Saal.
Wir teilten ihn immer noch mit Ivar, doch es störte uns nicht, wir waren schließlich Geschwister.

Total geschafft von dem Tag ließ ich mich auf einen Stuhl fallen, Hvitserk setzte sich auf den Tisch und sah zu Ivar, der uns überrascht über unsere Ankunft musterte, "Im Frühling werden wir aufbrechen. Seid ihr bereit zurück nach Norwegen zu kehren? Seid ihr bereit mit mir, eurem Bruder und den Rus, gegen Björn zu kämpfen?", abwechselnd sah er uns beide an.

"Ich habe in meinem Leben immer mit dem Schicksal gekämpft, Bruder. Doch nun habe ich losgelassen."

Verwirrt sah ich Hvitserk an, "Was meinst du damit, Hvitserk?"

"Ich werde mein Leben nun der Zerstörung widmen."

Ivar und ich sahen uns überrascht an, und grinsten kurz.

"Was ist mit dir Tjara?", fragte er mich selbstsicher.

"Natürlich ist es immer noch mein Wunsch uns alle wieder vereint zu sehen. Doch ich muss aufhören wie ein Kind zu denken. Ich bin bereit, Bruder."

Ivar begann zu lächeln, "Nun Tjara, ihr beide werdet viele Leute unseres Volkes umbringen müssen, wirst du...-"

Ich unterbrach Ivar, was ihm nicht zu gefallen schien, doch es war mir egal, "Ja, Ivar, ich werde es tun.", sagte ich genervt.

Er verdrehte die Augen und biss in einen Apfel, "Ich will nur nicht, dass so etwas, wie damals in York, noch einmal geschieht."

"Tjara hat viel Kampferfahrungen gesammelt, das weißt auch du, Ivar. Ich weiß sie ist unsere kleine Schwester, aber auch du musst irgendwann loslassen.", Hvitserk verstummte kurz, "Selbst du kannst sie nicht ein Leben lang schützen."

Ivar verzog das Gesicht. Hvitserk schien es auf den Punkt gebracht zu haben.
Er atmete tief durch, "Bereitet euch vor, es wird nicht mehr lange dauern."

Hvitserk nickte mir kurz zu, "Wann hast du das letzte Mal gekämpft?"

Ich musste lächeln, "Damals, gegen Ubbe, im Wald. Ich bin wohl ziemlich aus der Übung, aber dir wird es ähnlich gehen, stimmt's, Bruder?"

Ivar griff sich seinen Stock und stand auf, "Oleg hat eine Art Halle, wo nur gekämpft wird, ihr dürft sie sicherlich nutzen."

"Eine...Kampfhalle?", fragte ich mit einer hochgezogenen Augenbraue.

Ivar nickte und bewegte sich in Richtung der Tür, "Ich werde ihn fragen, ich muss ohnehin noch etwas mit ihm besprechen.", mit einem typischen Ivarlächeln drehte er sich noch einmal zu uns um, "Schön hierbleiben."
Ivar verließ den Saal. Hvitserk und ich sahen uns verwirrt an, "Eine Kampfhalle?", wiederholte ich mich und sah Hvitserk an.
Der zuckte nur mit den Schultern.

Seufzend stand ich auf und ging zu einem Fenster hinüber und sah raus, "Wir können doch genauso gut dort unten kämpfen.", sagte ich, während ich verträumt hinaussah.

"Vielleicht wollen die Rus so etwas nicht.", sagte mein Bruder schließlich Schulterzuckend.

Einige Zeit später kam Ivar herein und machte mit seiner freien Hand merkwürdige Bewegungen, " Oleg erwartet euch in der Halle.", sagte er schließlich, "Er möchte sehen, wie ihr beide kämpft. Und um ehrlich zu sein, würde ich auch gerne sehen, wie sehr ihr euch verbessert habt."

Grinsend entfernte ich mich vom Fenster und ging zu Ivar, "Ich bin bereit, was ist mit dir, Bruder?"

Hvitserk erhob sich langsam und kam zu uns herüber.

Kurze Zeit später waren wir schon auf dem Weg zum Prinzen.

Die Halle war eher dunkel. Es kam wenig Licht herein. Der Boden war aus Stein und die Decke wahr ähnlich hoch, wie in der Halle, wo Hvitserk und ich Prinz Oleg kennenlernten.

Wir verbeugten uns vor dem Prinzen, der und freundlich begrüßte, "Ich freue mich sehr, zwei Kinder von Ragnar Lothbrok, kämpfen zu sehen."

Oleg und Ivar wurden Stühle gebracht, auf die sie sich ruhig setzten. Ivar flüsterte dem König etwas zu, doch ich konnte leider nichts verstehen.

"Ohne Schild, Tjara?", rief Ivar mir zu, kurz bevor der Kampf begann, "Ich möchte einen Kampf mit Schild und einen ohne Schild sehen.", befahl Ivar halbwegs.

"Dann wird der erste Kampf ohne Schild sein.", zischte ich ihn an.

Hvitserk und ich stellten uns ruhig gegenüber auf, er schien nicht angespannt, genau so wenig wie ich.
Langsam zogen wir beide unsere Schwerter. Die Spitzen der Schwerter berührten sich kurz und damit eröffneten wir den Kampf.

Wir gingen einige Runden im Kreis und beobachteten uns genau, bevor Hvitserk zum ersten Schlag überging.
Ich wehrte ihn mit Leichtigkeit ab und grinste kurz.
Übermütig wagte Hvitserk den zweiten Angriff, den ich ebenfalls schnell abwehrte.

Nun war ich an der Reihe.
Ich kämpfte meinen Bruder regelrecht an die Wand.
Es erinnerte mich fast, an den Kampf mit Ubbe. Ich riss die Augen auf.
Ubbe und Hvitserk trainieren damals viel, Hvitserk wird das gleiche vorhaben, wie Ubbe.
Ich bemerkte, wie Hvitserk nach seiner Axt griff. Ich tat es ihm gleich.
Als hätte ich es schon endlose Male getan, schlug ich ihm die Axt aus der Hand.
Nun stand ich dort, mein Schwert war mit der Klinge auf Hvitserks Kehle gerichtet und meine Axt berührte seitlich seinen Hals.

Ich sah Hvitserk ernst an, mein Grinsen war verschwunden, stattdessen hatte ich meinen kältesten Blick aufgesetzt.

Lachend ließ Hvitserk sein Schwert fallen und hob die Arme, "Das nenne ich Glück, Schwester.", sagte er grinsend, während ich meine Waffen sinken ließ.

Aus der Richtung unserer Zuschauer ertönte ein Klatschen und Oleg kam auf uns zu, "Bemerkenswert.", sagte er und ging um uns herum, "Die jüngere und viel kleinere Schwester schlägt den großen Bruder.", ein Lachen entglitt ihm, als er zwischen uns stehe blieb.
"Hvitserk hat lange nicht mehr ordentlich gekämpft.", sagte ich, "Als wir jünger waren, hat er mich jedes Mal geschlagen."

"Irgendwann ist wohl immer das erste Mal.", Oleg musterte mich und meine Waffen, "Wie lange kämpft ihr schon, Tjara?", er sah mir nun in die Augen.
Gerade als ich antworten wollte unterbrach Ivar unser Gespräch, "Sie begann kurz vor dem Tod unseres Vaters mit dem Kämpfen, sie lernte es nicht wie wir, von der Kindheit an."

"Bemerkenswert.", wiederholte der Prinz sich.

"Das meiste haben mir meine Brüder Ubbe und Hvitserk beigebracht.", flüsterte ich vorsichtig.

"Um ehrlich zu sein, habe ich noch keine Frau so kämpfen sehen, wie euch.", Oleg drehte sich wieder um und ging auf Ivar zu.
Er setzte sich zurück auf seinen Platz und hob eine Hand, "Nun würde ich liebend gerne einen Kampf mit Schild sehen."

Er ist mein BruderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt