Kapitel 19

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Die Hand des Mädchens liegt in der ihres Gegenübers, welchen sie nervös betrachtet. Schwer schlucken muss Mai einmal und als Oikawa sanft über ihren Arm streicht, weiß sie, dass sie endlich jemanden gefunden hat, dem sie sich anvertrauen kann.

Nachdem beide sich vorhin voneinander gelöst haben, hat der braunhaarige erneut einen blauen Fleck an Mai's Körper ausmachen können und endgültig seine Geduld verloren. Wütend hat er mit seinen Händen herumgefuchtelt und sogar einmal aufgeschrien, denn Tooru kann nicht verstehen, wer dem Mädchen solch ein Leid zufügt. Um ihn beruhigen zu können, hat sie ihm versprochen sich gegenüber ihm zu öffnen und auch wenn es der Blauäugigen schwerfallen wird, weiß sie, dass sie Oikawa vertrauen kann.

„Ich werde es dir erzählen, aber du musst mir versprechen ruhig zu bleiben und es niemanden zu sagen..bitte."

Stumm bringt Tooru nur ein Nicken hervor, denn sicher ist er sich nicht, ob er sich zurückhalten kann wenn er erfährt, wer diesem unschuldigen Mädchen solch etwas antut. Doch weitererzählen wird er es niemanden, da ist der Zuspieler sich sicher.

„Es ist schon eine Weile so, dass ich öfters Verletzungen mit mir herumtragen muss. Sie entstehen meistens unbeabsichtigt, denn oft ist er nicht er selbst, wenn es soweit kommt und ich bin nun eben einfach zur falschen Zeit am falschen Ort, eben alleine und hilflos. Sicher bin ich mir eigentlich, dass er keine bösen Absichten dahinter hat, denn er ist eben einfach nicht er selbst und dafür möchte ich ihn nicht verurteilen. Hassen kann ich ihn nicht, auch wenn ich mir bewusst bin, dass ich es sollte, schließlich ist er doch eigentlich in der Rolle eines Beschützers, nicht? Erzählen konnte ich es bis jetzt einfach niemanden, nicht einmal meinem eigenen Bruder, der das ganze überhaupt nicht wahrnimmt, da er kaum zuhause ist und um ihn nicht unnötig aufzuwühlen, belasse ich es einfach beim schweigen. Konzentrieren soll Sota sich lieber auf sein Studium und andere Dinge. Wenn ich mich dabei erwische darüber nachzudenken, es jemanden zu erzählen und endlich dieses gesamte Leid und die Last loszuwerden, könnte ich mich selbst strafen. Die Hoffnung, mein altes Leben zurückzuerlangen, lässt mich an diesem winzigen Funken festhalten und veranlasst mich zum verdrängen und schweigen in solch einer Situation. Ich weiß das es falsch ist, doch was kann ich tuen, damit mich Schuldgefühle im Nachhinein nicht plagen? Antworten versuche ich zu finden und einzig und alleine führt alles nur auf den Tod meiner Mutter zurück, seitdem ist alles anders, seitdem ist er anders."

Tief einatmen tut das Mädchen und ihr Blick senkt sich auf die Finger ihrer selbst, welche miteinander rangen. Der Nervosität wegen hat Mai zu zittern begonnen und ihr Herzschlag ist auch um einiges schneller geworden. Unsicherheit hat die grauhaarige gepackt und erneut steigen ihr all die schlechten Erinnerungen und Gedanken zu Kopf.

„Wer Mai?"

Bereits denken kann Oikawa sich, von wem Mai spricht, doch so absurd kommt selbst ihm diese Vorstellung vor, dass er lieber nachfragt. Die braunen Augen des Zuspielers liegen voll und ganz auf dem Mädchen neben sich und besorgt mustert er sie. Auch der braunhaarige bemerkt, wie nahe es der blauäugigen geht, über all dies zu reden und fürsorglich findet die Hand des Jungens platz auf ihrem Rücken, um diesen sanft zu streicheln.

„M-mein Vater." Zaghaft entgleiten dem Mädchen diese Worte und sofortige Angst umgibt sie. Angst, Oikawa würde sie nun verurteilen, Angst das dieser gesamte Alptraum niemals enden würde und Angst davor, fallen gelassen zu werden. Tränen füllen die Augen der grauhaarigen und schluchzend vergräbt sie das Gesicht in ihren zitternden Händen.

Nicht einmal in das Gesicht Oikawas traut sie sich zu sehen, aus Panik vor dessen Reaktion. Bereits in ihrem Kopf bereut Mai die Entscheidung mit irgendwem darüber gesprochen zu haben, denn Schuldgefühle zerfressen sie. Nicht er selbst ist ihr Vater und auch wenn er ihr unheimliches Leid zufügt, wird die grauhaarige das Gefühl nicht los, dass dieser Mann nichts dafür kann. Ihre Schuld ist es, dass redet sich das Mädchen dauernd ein, auch wenn dieser ständige Gedanke völliger Schwachsinn ist.

Starr blickt Oikawa geradeaus ohne sich zu regen, die Hand immer noch auf Mai's Rücken platziert. Verkrampfen tut der Junge sich bei gesagtem und die Lippen hat er aufeinander gepresst, um einen Schrei zu verhindern. Zwanghaft versucht der Zuspieler diese unheimliche Wut, welche sich in ihm angestaut hat, zu unterdrücken und Mai somit nicht zu verängstigen. Mitbekommen hat der braunhaarige schließlich, wie schwer es dem Mädchen neben sich fällt, über all dies zu reden und deswegen mag er versuchen ruhig zu bleiben, schließlich hat er das ihr gegenüber versprochen.

Die Augen des Zuspielers finden den Weg hinüber zu der blauäugigen und bemitleidend beobachtet er sie dabei, wie sie leise am weinen ist. Nicht wirklich verarbeiten kann Tooru, dass Mai ihres eigenen Vaters wegen solche Verletzungen trägt und das, obwohl dieser heute bei der Abfahrt so unscheinbar nett gewirkt hat. Sofort bereut Oikawa, den Mann als freundlich betitelt zu haben und nun kann auch er die komische Reaktion seitens Mai nachvollziehen, denn nur allein sie weiß, dass ihr Vater nicht der ist, für den ihn alle halten.

Normalerweise ist Tooru kein Mensch, der zeigt wenn Dinge ihm nahe gehen, denn schon immer hat er beigebracht bekommen, dass weinen ein Zeichen der Schwäche ist und doch kann er die Tränen nicht zurückhalten. Vor Mai kann er ganz frei sein und auch seine gebrechlichen Seiten zeigen, welcher kein anderer zu kennen vermag, nicht einmal ganz Iwaizumi. Unglaublich bewundernswert findet er das Mädchen, welche solch ein Grauen erleben muss und trotzdem stark zu bleiben versucht, auch wenn sie bereits sehr erschöpft zu sein scheint.

Die ungemeine Wut, welche sich in dem gesamten Antlitzes Oikawas angestaut hat, verwandelt sich plötzlich in erdrückende Trauer, welche ihm erschaudern lässt. Hilflos fühlt sich der braunhaarige, denn nicht wissen tut er, wie er Mai helfen kann, schließlich hat er versprochen mit niemandem darüber zu reden. Es fühlt sich so an als wäre das Mädchen am ertrinken und er selbst könne nur dabei zusehen, ohne irgendwas zu unternehmen.

Ohne groß nachzudenken, macht Oikawa das einzige, was ihm in solch einer Situation einfällt, er schlingt seine Arme um die zierliche Gestalt neben sich und zieht Mai in eine Umarmung. Still ist es um die beiden geworden und nur allein konzentriert Mai sich darauf, in den beschützerischen Armen des Jungens Ruhe zu finden. Der gleichmäßige Herzschlag dessen und der unglaublich anziehend wirkende Duft, lassen die grauhaarige runterkommen und wiedermal wird ihr klar, wie wohl sie sich doch bei Oikawa fühlt. Es scheint fast schon so, als wäre er eine Art Droge für sie, welche all die Probleme ihres Leben beseitigt, auch wenn es nur für einen einzigen Moment ist, bereits jetzt ist Mai süchtig.

Noch dazu kommt, dass nur alleine vor ihr, seine gebrechliche und fürsorgliche Seite zum Vorschein kommt. Bei keinem anderen hat Mai ihn bis jetzt so erlebt und einwenig stutzig macht dieser Fakt sie, denn anscheinend muss er eine Art Verbindung zu ihr spüren, welche auch nicht ihr verborgen geblieben ist.

„Hast du deshalb eben geweint?" Leise gibt Oikawa diese Worte von sich und unterbricht somit die beruhigende Stille.

Nickend bestätigt Mai die Frage des Jungens und ein Seufzer entgleitet ihr.
„Ich hatte einen Alptraum. Die kommen in letzter Zeit öfters und ich finde einfach keine Ruhe, so als würde ein Sturm in meinem Kopf toben, welcher mich vom Schlafen abhalten will."

Zum ersten Mal traut Mai sich wieder in die Augen ihres Gegenübers zu sehen und kann erkennen, dass dessen Blick durchgehend auf ihr gelegen hat. Keinerlei Abscheu ist in den Augen des Zuspielers wiederzufinden, sondern nur unglaublich aufrichtige Liebe und Sorge.

„Du kannst heute bei mir schlafen, wenn es dir helfen sollte."

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Lots of love, bekki☀️

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