KAPITEL 2

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Noah

„Hast du Lust morgen mit an den See zu kommen?", fragt mich Jordan, der auf meinem Bett liegt und mit Sicherheit die ganze Zeit mit Betty schreibt. Ich sitze auf dem Boden und lese in einem Buch. Meine Finger gleiten über die Seiten und verschlingen jedes Wort. „Nein.", brumme ich. Was soll ich da? Betty ist sicherlich auch dort. Ich hasse Wasser und Jordans Freunde können mich nicht leiden. Also nein, ganz sicher nicht.
„Hm... doch, du kommst mit. Habe ich jetzt beschlossen." Ruckartig sehe ich zum Bett auf. „Nein, komme ich nicht."
„Dooooch!" „Nein." „Komm schon! Du hast den ganzen Sommer nur gelesen. Du hast nichts Spannendes erlebt."
„Ich habe hunderte Leben gelebt...", murmle ich und widme mich wieder meinem Buch. Und habe die Schönheit der Welt gesehen... Bücher sind eine Flucht aus meiner Realität. Versteht mich nicht falsch, ich bin nicht depressiv oder hasse mein Leben. Im Gegenteil, doch manchmal wird auch der glücklichsten Personen alles zu viel. „Deine Bücher zählen nicht." „Kommt Betty mit?", frage ich unauffällig und schlage die Seite um. „Du magst sie nicht, oder?" „Was?", sofort schlage ich das Buch zu und fühle mich ertappt. Weiß er wie ich für ihn empfinde? Dass ich ihn liebe? Mehr als alles andere auf der Welt und dieser Betty liebend gerne die Augen auskratzen würde, weil sie Jordan immer so ableckt? Ist jetzt alles aufgeflogen? Fuck, fuck, fuck.
„Naja, weiß nicht. Du willst nie mit, wenn sie dabei ist, außerdem verkrampfst du dich immer, wenn du sie hörst."
Weil sie eine dumme Kuh ist. Natürlich ist sie ganz bestimmt wunderschön, so wie Jordan mit seinen braunen, perfekten Haaren und den scharfen Wangenknochen, die perfekt gerade Nase und den Grübchen, wenn er lächelt. Jap, ich durfte mal sein Gesicht berühren. Das ist zwar schon über ein Jahr her und er war etwas angetrunken und doch werde ich diesen Moment nie vergessen. Trotzdem glaube ich, dass es ihm etwas unangenehm war. Ich konnte seinen Atem auf meiner Haut spüren und ich bekomme noch immer eine Gänsehaut, wenn ich dran denke. So nah sind wir uns seitdem nie mehr gekommen. Nur in meinen Träumen...
„Was findest du überhaupt an ihr?", frage ich ihn, da es mich wirklich interessiert. Sie hat sich wochenlang an ihn rangemacht und auf einer Party, wo ich nicht dabei war, haben sie sich dann geküsst, von da an, waren sie ein Paar. Eine Zeit lang scheint er tatsächlich zu überlegen. „Sie ist hübsch.", sagt er dann und ich muss auflachen. Irgendwie erfreut mich seine Antwort, da es nicht gerade viel ist. „Wow Jordan, das muss wirklich die große Liebe sein.", kichere ich. „Hm... Ach Quatsch, meine große Liebe bist und bleibst du,..." Mein Herz bleibt stehen und meine Ohren rauschen. W-Was? „Bro.", beendet er seinen Satz und lacht herzhaft. Okay, das tat weh. Wenn er doch nur wüsste, wie schmerzhaft seine Worte eben waren, obwohl er denkt, dass es nur ein Scherz war. Als ich nicht in sein Lachen mit einsteige, verstummt er. „Nicht lustig?" „Doch, zum Totlachen.", brumme ich und widme mich wieder meinem Buch. Eine Zeit ist es wieder still zwischen uns, nur die Songs im Hintergrund erfüllen den Raum. „Kann ich heute hier pennen?" „Klar." Er gehört eh schon zu unserer Familie. Seine Mum, die beste Freundin meiner Mutter, starb vor ein paar Jahren. Unsere Freundschaft ist ab dem Moment nur noch viel stärker geworden. Seitdem schläft Jordan sehr oft bei uns, auch, wenn er es mir nie erzählt hat, weiß ich den Grund dafür. Ich bin mir sehr sicher, dass der Vater von Jordan, Bruce, ihn ab und zu mal schlägt. Dieser Mann ist seit dem Tod seiner Frau nicht mehr der, der er einmal war und das tut mir für Jordan extrem leid. Einmal habe ich ihn drauf angesprochen, doch er ist beinahe ausgerastet. Wir haben heftig gestritten. Nach ein paar Tagen Funkstille, die schrecklichsten meines Lebens, hat er sich bei mir entschuldigt. Seitdem haben wir nie wieder darüber geredet, weil er mich darum bat. Natürlich habe ich mich daran gehalten, auch, wenn es mir oft unter den Fingern kitzelt, etwas zu unternehmen. Aber was sollte ich schon tun? Ich kann rein gar nichts tun. Nichts. Das frisst mich innerlich auf. Zu wissen, dass es ihm nicht gut geht und ich nichts dagegen tun kann, quält mich. „Wir fahren einfach morgen gleich nach der Schule zum See, das wird toll und du kommst auch mal raus.", sagt er vor sich hin und hängt sich Kopfüber vom Bett. „Na schön.", knurre ich. „Mir ist langweilig, Noah.", schmollt er. Das macht er oft und es nervt, jedenfalls behaupte ich das immer, insgeheim liebe ich es, wenn er nach meiner Aufmerksamkeit bettelt. „Dann beschäftige dich." „Lass uns doch was machen?" „Ich lese.", demonstrativ hebe ich das Buch in meinen Händen. Kurzerhand entreißt er es mir und legt es aufs Bett, ehe er sich von diesem fallen lässt und neben mir aufkommt. „Hey!", beschwere ich mich. „Das war gerade spannend!" Eigentlich habe ich keine Ahnung von was das Buch eigentlich nochmal handelt, aber das weiß er ja nicht. „Ja, ja.", murrt er und dreht sich auf den Rücken. Geschmeidig verschränkt er die Arme hinter dem Kopf und starrt wahrscheinlich an die Decke, wo ein riesiges Dachfenster ist. Die Sterne müssen atemberaubend aussehen. Ich tue es ihm gleich und lege mich neben ihn, lass meine Arme aber an der Seite. „Heroes von David Bowie", erkennt er das Lied, was im Hintergrund läuft.
„Weißt du...", fängt er ein Gespräch an, bis das nächste Lied kommt. „Ja?" „Ich glaube Lisa steht auf dich.", genervt stöhne ich auf. „Hm.", brumme ich nur und schließe die Augen. „Nicht dein Typ?" „Keine Ahnung, ich weiß nichtmal wer das ist." „Sie sitzt in Bio neben dir.", Verständnislosigkeit schwingt in seiner Stimme mit. Ich zucke nur mit der Schulter. „Neuer Punkt..." Gott, nicht unsere To-Do-Liste. „Dir eine Freundin suchen.", endet er. „Nein, danke." „Warum nicht?", er lacht. „Ich schwöre dir, das fühlt sich toll an. Wenn sie dann so unter dir liegt und deinen Namen ruft-..." „Okay, stop! Ich will nicht wissen, was du mit Betty treibst." „Oh ja, wir treiben es, sag ich dir. Die ist unersättl-..." „Bitte hör auf damit.", murre ich und versuche die entstanden Bilder zu löschen. Ich will seinen Namen so rufen, nicht jemand anders. „Ich will dir doch nur sagen, was für Vorteile eine Freundin hat. Man muss sie ja nicht gleich lieben." Ich sehe überrascht zu ihm. „Du liebst Betty nicht?" Hoffnung macht sich in mir breit. „Doch, bestimmt, irgendwie? Ach keine Ahnung. Um ehrlich zu sein ist sie mir lieber, wenn sie nicht immer so viel reden würde.", lacht er und ich stimme mit ein. „Ja, sie redet wirklich viel..." „Nicht wahr?", kichernd liegen wir auf dem Boden. „Ich hab dich lieb, Kumpel.", sagt er dann und mein Herz wird warm. „I-Ich dich auch."
Mehr als das...

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