KAPITEL 36

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Jordan

Ungeduldig dribble ich mit den Beinen, ehe ich zum wiederholten Male vom Bett aufstehe und meine Runden durch sein Zimmer drehe. Ich raufe mir die Haare, lasse meine Hände wieder sinken, ehe ich sie wieder durch meine Haare schiebe. Gott, ich bin so nervös. Schon seit Stunden nimmt mich ein ungutes Gefühl ein. Vielleicht übertreibe ich ja, immerhin bin ich kein Hellseher. Das wäre absurd.
Sollte ich Noah und mir was zu essen machen? Es könnte ja sein, dass er Hunger hat, wenn er wiederkommt. So unwahrscheinlich das auch ist, halte ich daran fest und flüchte in die Küche. Im Endeffekt, mache ich sage und schreibe fünf Sandwiches und verdrücke jedes davon selbst. Ein schlechtes Gewissen überkommt mich, weswegen ich für Noah noch ein sechstes mache, was ich im Endeffekt vor Stress dann auch noch esse. Verdammt, ich bin ein schlechter Freund! Ich hätte drauf bestehen müssen, mitzukommen. Wieso habe ich das nicht getan?! Nun fange ich auch noch hier an meine Runden zu drehen. Durst! Ich habe Durst! Schnell gieße ich mir ein Glas Wasser ein, was ich auf einmal exe, ehe ich das mit den nächsten zwei auch tue. Mein Bauch fängt beschwerend an zu grummeln. Oh Mann. Wieso muss ich immer essen, wenn ich nervös bin? Schlechte Eigenschaft von mir. Vielleicht haben sie ja ein kleines Eis da? Unverzüglich gehe ich zum Kühlschrank. Aus dem kleinen Eis, wurde dann eine ganze Packung Ben und Jerry's, ein Salamistick, eine Gurke und eine Packung Eistee. Erschöpft setze ich mich an einen Stuhl am Esstisch und fahre beruhigend über meinen Bauch. Eine natürliche Übelkeit erfasst mich, bei so viel Essen. Schnell halte ich meine Hand vor den Mund, ehe ich ins Bad hechte und mein zuvor eingenommenes Essen wieder aus mir rauskommt. Danach putze ich mir mit meiner Zahnbürste, die hier immer für mich bereit steht, meine Zähne und gehe dann wieder in Noahs Zimmer. Oh Mann! Ich sollte mich beruhigen, ich übertreibe ja komplett! Peinlich. „Hey Jordan!", ruckartig sehe ich zum Türrahmen und sehe in das hübsche Gesicht von Noahs Schwester. „Hey Hayley.", begrüße ich sie schief lächelnd und lasse mich erschöpft ins Bett fallen. „Ihm wird es schon gut gehen.", versucht sie mich tatsächlich zu beschwichtigen. „Nett von dir, aber ich bleibe trotzdem ein kleines Nervenbündel.", lache ich. Das junge Mädchen legt sich neben mir ins Bett und sieht mit mir aus dem großen Dachfenster.
„Ich habe ihn immer für dieses Fenster beneidet und ich habe nie verstanden, warum er dieses Zimmer bekommen hat.", murmelt sie. „Doch jetzt kommt es mir lächerlich vor, dass ich mit ihm drüber gestritten habe. Er meinte immer, dass er zwar nicht sehen könnte, du jedoch schon und du ihm das Gefühl gibst, sehen zu können, wusstest du das?", aufmerksam sieht sie zu mir rüber. Erstaunt runzle ich die Stirn. „Das... hat er gesagt?" Sie nickt nur, ehe sie wieder zu den Wolken sieht. Ich habe mich nicht sonderlich oft mit ihr unterhalten, weil wir eigentlich nie irgendwelche Situationen hatten, wo es die Möglichkeit dazu gab. Mir ist sehr wohl bewusst, dass sie ein wenig für mich schwärmt. Das trage ich ihr aber nicht nach, eher finde ich es schmeichelnd, dass so ein hübsches Mädchen, wie sie, sich für mich interessiert, doch um ehrlich zu sein, hatte ich nie wirklich Interesse an ihr. Was wohl am meisten an unserem Bro-Kodex liegt und ganz einfach daran, dass ich sie eher als eine Art Schwester sehe. Ich will ihr nichts Schlechtes und würde den Typen verprügeln, der ihr etwas antut, aber Interesse hatte ich nie. Ich weiß, dass das Noah manchmal Sorgen bereitet hat, doch diese waren unbegründet. „Hatte ich eigentlich jemals eine Chance bei dir?", fragt sie dann leise und sieht wieder zu mir. Ich schlucke, da ich sie nicht verletzen will. „Nein, tut mir leid.", antworte ich dann vorsichtig. Wieder nickt sie nur. „Schade eigentlich, du bist echt heiß.", lacht sie. Überrascht sehe ich zu ihr. So mutig hat sie sonst nie mit mir geredet. „Du findest jemanden, der deine Gefühle erwidert und vielleicht, auch wenn das schwer ist, besser aussieht als ich.", zwinkere ich belustigt. Wir beide müssen schmunzeln.
„Meinst du, dass alles gut ist und die Ergebnisse alle in Ordnung sind?", kommt es dann leise von ihr. Ich antworte nicht, lasse die Frage offen, da ich es selbst nicht weiß. Ich konnte eine negative Antwort nicht ertragen, sowie ich aber auch keine falschen Hoffnungen verbreiten will. „Ich hoffe es...", fügt sie dann noch an und ich nicke zustimmend. Wer würde das nicht. Ich hoffe es so sehr. Noah würde es nicht verdienen, wieder so etwas durch zu machen. Wahrscheinlich könnte ich es nicht einmal ertragen ihn wieder in diesem Krankenbett zu sehen. Ohne jegliche Kraft, blass und dünn. Kahl, was die Chemo mit ihm gemacht hat. Nein. Das hätte mein bester Freund nicht verdient, dass hätte keiner verdient. „Und wie läufts bei dir?", wechselt dann Hayley das trübe Thema. „Du hast doch eine Freundin, oder?" Laut seufze ich. Betty, fuck. Sie ist noch immer sauer, dass ich sie die ganze Zeit mit den anderen allein gelassen habe. Verständlich. Es tut mir auch aufrichtig leid, doch ich schaffe es nie den perfekten Moment zu erwischen, diese kleinen Worte über mich zu bringen und das mit uns zu beenden. Ich will sie doch nur nicht verletzen, doch wahrscheinlich werde ich darum auch nicht drum rumkommen. „Hm.", brumme ich. „Ich will Schluss machen.", antworte ich ehrlich, was mich selbst erstaunt. „Oh, echt?" „Es passt einfach nicht mehr.", murmle ich. „Und worauf wartest du?", mit hochgezogener Augenbraue sieht sie zu mir. „Auf den perfekten Moment?", seufze ich mehr fragend, als eine konkrete Antwort zu geben. „Dafür gibt es keinen perfekten Moment, Jordan.", sagt sie sträng, tätschelt aber meine Schulter. „Umso länger du wartest, umso schwerer wird es." „Du hast Recht.", pflichte ich ihr bei. „Doch es nicht so einfach..." „Das ist sowas nie." Sie hat Recht. Wahrscheinlich verletze ich sie mit meiner abweisenden Art mehr, als es ein Schlussstrich je könnte. „Oh, sie kommen!", ruft sie aufgeregt und springt auf.
„Ich sagte nein!", brüllt Noah. Überrascht setze ich mich auf. Was macht ihn so wütend? „Ich bin alt genug, dass selbst zu entscheiden!" Wütend stampft er nach oben und die Sorgen scheinen mich beinahe zu übermannen. Mit roten Wangen stürmt er in sein Zimmer und schmeißt die Tür hinter Hayley, die perplex im Flur steht, in die Angeln. Meine Augen fliegen aufmerksam über sein Erscheinungsbild. Er trägt einen Pullover von mir, der ihm viel zu groß ist, so wie eine schlichte Levis Jeans, die er oft trägt und ihm ausgesprochen gut steht. Seine Locken, die ihn jünger erscheinen lassen, als er eigentlich ist, sind noch wilder als sonst. Seine glasklaren, wunderschönsten blauen Augen, die ich je gesehen habe, sind etwas gerötet und seine vollen Lippen beben vor Wut und anscheinend vor Verzweiflung. Noch bin ich mir nicht sicher, ob er sich im Klaren ist, dass ich auf seinem Bett sitze und ihn mit großen Sorgen betrachte. Nichts würde ich gerade lieber tun, als ihn schützend an mich zu ziehen, doch irgendwas sagt mir, dass er gerade einen Moment für sich braucht, den ich ihm schweren Herzens gewähre. Es schmerzt mich mehr, in leiden zu sehen, als es irgendwas je könnte. „J-Jordan?", fragt er leise und so voller Hoffnung, dass mein Herz sofort kräftig und schnell zu pulsieren beginnt. „Ich bin hier, Liebling.", antworte ich leise in die Stille. Schlurfend, kommt er auf meine Stimme zu und streckt breit seine Arme aus, an denen mein Pullover hinab hängen, da ihm die Ärmel viel zu lang sind. Unverzüglich packe ich ihn an der Hüfte und presse seinen zitternden Körper an mich. Ohne Umschweife schlingt er seine Arme um meinen Hals. Ich gewähre ihm einige Minuten der Stille und lasse ihn sich beruhigen, bis er wieder ruhig atmet und seine Hände durch mein Haar fahren lässt. Seit einiger Zeit, habe ich das Gefühl, dass er das wirklich gerne macht. Wenn ich in den Spiegel schaue, habe ich meine dunklen Haare nie als was besonders erachtet. Voller Abscheu schaue ich jeden Morgen in ihn hinein, zu den grünen Augen, die mich zu sehr an meinen Vater erinnern. So stechend, wie die seine. Noah ist der einzige, der es schafft, mich davon immer wieder zu überzeugen, dass ich nicht wie er bin. Ich weiß nicht ob ich mich selbst noch ertragen könnte, wenn es denn so wäre. „Was ist los, Noah? Lief es nicht gut?", frage ich ihn nun ruhig und sauge seinen geliebten und beruhigenden Duft in mir auf. Er zögert, was alle meine Muskeln anspannt. „Nein.", antwortet er zögerlich. „Nein?" „M-Migräne, wie ich dir breites sagte." Man kann kaum beschreiben, was für eine heftige Last von meinen Schultern fällt. Erleichtert seufze ich auf und presse ihn wieder an mich. Gott, zum Glück. „Aber warum bist du dann so aufgelöst?" Ich löse mich wieder von ihm und nehme sein Gesicht in meine Hände. Sanft streiche ich über seine glühenden Wangen. „Mom...", fängt er leise an. „...Sie... sie will mir nicht erlauben eine große Party zu meinem Geburtstag zu schmeißen.", erklärt er. „Aber du hasst doch große Partys.", verwirrt sehe ich in seine blauen Augen. „Man sollte jeden Tag so leben, als wäre es sein letzter und schließlich wird man doch nur einmal 18." Irgendwie will ich ihm das so recht nicht glauben, doch wer wäre ich, meinem besten Freund seine Geburtstagsparty zu verwehren. „Dann sorge ich eben dafür, dass der Geburtstag für dich unvergesslich wird.", lächle ich und küsse seine niedliche Nase. „Danke, Jordan.", murmelt er und eine Träne löst sich aus seinem Augenwinkel. „Hey nicht weinen, es wird toll, versprochen." Ich streiche die Träne weg und küsse ihn dann vorsichtig. Mich verwirrt es zu tiefste, dass sich zu der einen Träne, noch so viele mehr dazu gesellen, doch vielleicht ist er nur etwas emotional aufgewühlt? Ich halte ihn jedenfalls, weil ich das immer tun werde. Fest und liebevoll.

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