KAPITEL 13

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Song Empfehlung:
Intro von M83

Noah

„Das ist deine Schuld!", keuche ich, während ich mich an Jordan klammere und er seine Lederjacke über unsere Köpfe hält, als wir durch den strömenden Regen rennen. „Könnten wir darüber nachher diskutieren?", fragt er mich leicht genervt. Die Jacke über uns bringt eigentlich schon gar nichts mehr, denn ich bin schon bis auf die Knochen durchgeweicht und meine Klamotten hängen schwer an meinem Leib. „Wo sind wir überhaupt?" Jordan bleibt abrupt stehen, so dass ich beinahe das Gleichgewicht verliere. „Ach fuck!", flucht er und schmeißt heftig seine Jacke auf den Asphalt. Es ist bereits spät und wir waren zusammen bei einer Probe, ohne Jordans Auto, da uns Barry abgeholt hat. Die erste Probe ist mittlerweile schon ein paar Wochen her und in ein paar Tagen haben sie ihren ersten Auftritt. Jordan wird von Tag zu Tag nervöser, da er bisher noch überhaupt niemanden außer mir davon erzählt hat und ich schätze er hat Angst. Angst davor, was seine tollen Freunde darüber sagen werden, dass er ab und zu das Training schwänzt, um heimlich zu proben. Und was mache ich? Ich decke ihn natürlich, wie könnte ich auch nicht?
Als wir dann gehen wollten, meinte Jordan, dass wir ja laufen können, doch plötzlich hat es angefangen aus allen Eimern zu schütten und zusätzlich haben wir uns, sehr wahrscheinlich, auch noch verlaufen, doch das würde Jordan niemals zugeben. Trotz alledem ist es noch immer sehr warm, weswegen ich nicht friere. Ein Schmunzeln schleicht sich auf mein Gesicht, ehe ich anfange leise zu kichern. „Was?!", knurrt Jordan. Ich schweige, strecke meine Arme aus und drehe mich langsam im Kreis. Spüre jeden einzelnen Wassertropfen, der mich berührt, höre den rauschenden Regen in der Stille der Nacht und nehme Jordans einnehmende Präsenz neben mir wahr. Ich lasse mich von allem beflügeln, lasse außen vor, dass ich keine Ahnung habe wo wir gerade sind, wie lange wir bis nach Hause brauchen, noch das ich wahrscheinlich absolut albern aussehe, doch ich liebe Regen. Das habe ich schon immer, denn er gibt mir das Gefühl, wieder sehen zu können. „Was machst du da?", fragt mich Jordan mit belegter Stimme. „Fühlen.", antworte ich schlicht und lasse mich von dem Wunder mitziehen. „Entspann dich Jordan, spüre es und lasse dich drauf ein." Langsam lege ich mich auf den Boden und breite meine Arme aus. „Was ist, wenn ein Auto kommt?" „Das würde ich hören.", murmle ich und atme zum ersten Mal, seit Monaten, tief durch. „Du bist verrückt.", murrt er, doch ich höre, wie er sich neben mich legt. „Erzähl mir wie der Himmel aussieht.", bitte ich ihn. „Dunkel, bewölkt." „Siehst du Sterne?" „Einen.", flüstert er so, dass ich ihn gerade noch durch den Regen höre. „Wie sieht er aus?" „Er strahlt, Noah."
Ohne es vermeiden zu können, kommen mir die Tränen. Ich würde ihn so gerne sehen, ich würde so gerne den Regen sehen, die Natur, die Welt, meine Familie, ihn. „Was noch.", meine Stimme ist brüchig. „Es... wirkt mystisch und doch auch wieder klar. Die Farben vermischen sich, von hellgrau bis tiefes Schwarz zu dunklem Blau und dann wieder helles Leuchten.", erzählt er. „Was fühlst du dabei?" „Wie meinst du das?" „Wie fühlt es sich an, alles so sehen zu können?"
Er schweigt eine Zeit, in der wir nur den immer heftiger werdenden Regen spüren, der kurzzeitig wieder sanft wird. Beinahe, als wüsste der Himmel nicht, was er tun soll. Ohne ein Ton, nimmt Jordan meine Hand und legt sie auf seine Brust. Sein Herz schlägt schnell, stetig, beinahe brutal gegen seine Brust. Das Schlagen ist nun das einzige was ich wahr nehme, so wie seine Körperwärme, die mich vollkommen einnimmt. Wie sehr sehne ich mich danach. Nach allem von ihm. Es ist wie eine Unendlichkeit voller Hoffnung, Sehnsüchte und Verlangen, dass einen einfach so und ohne das man es hätte verhindern können, mit sich reißt und einen auf das Vollkommenste verändert. Vielleicht ist es genau das, was die Menschen als Leben bezeichnen. Nicht der alltägliche, langweilige und absolut selbstverständliche Alltag in den die meisten Menschen einfach nur noch hinein Leben, weil sie den wahren Grund, hier zu sein, zu existieren und zu fühlen vorkommen vergessen haben. Was sagt das über diese Menschen aus, was hat sie dazu verleitet, einfach alles zu vergessen und nur noch zu leben, weil es als selbstverständlich erachtet wird? Was definiert dann noch dieses eine Wort, was so viele Menschen als selbstverständlich nehmen? Sollte man nicht genau für diese Momente, in genau diesem Augenblick, in dieser einzelnen Sekunde, während ich hier, mitten auf einer gottverlassenen Straße, irgendwo im nirgendwo, unter dem strömenden Regen, mit dem wichtigsten Menschen in meiner Welt liege, leben? Sollte es nicht genau das sein, was leben definiert? Einfach vollkommen zu sein, in genau diesem Moment, mit dieser einen Person, die einem zeigt, das das Leben so wundervoll und einzigartig ist? Es muss einfach so sein, denn ich bin nicht gewillt, jemals etwas daran ändern zu wollen, weder an meiner unerwiderten Liebe, noch an diesem Moment, der mich einfach berauscht und mir das Gefühl gibt einzigartig zu sein. Mir erscheint es gerade so lächerlich mir immer zu wünschen klar sehen zu können, um die Menschen um mich, um Jordan besser zu verstehen, ihre Entscheidungen besser nachvollziehen zu können, um diese Wunder wie jetzt sehen zu können. Doch gerade in diesem einzelnen Moment, unter tausenden Sternen, mögen sie auch noch so weit weg und vollkommen bedeckt sein, erscheint mir alles ganz klar. Als könnte ich Jordans Gesicht vor mir sehen, wie er mich ansieht, nur alleine mich und mir nur mit diesen einzelnen Blick sagt, dass irgendwann, alles besser wird und wir eine Zukunft haben, zusammen und glücklich, dass wir es gottverdammte Scheiße nochmal verdient haben. Auch, wenn ich weiß, dass dies nicht der Fall ist, ich Jordan nicht sehen kann und mir das nur einbilde, wünsche ich es mir.
Hätte ich doch nur gewusst, dass Jordan, während ich sein Herz berühre, jeden einzelnen Schlag von ihm, tief in mir aufnehme, nicht in den Himmel sieht, sondern sein Blick wirklich nur mir gilt und sein Herz nicht höher schlägt, weil die Welt mal wieder Schönheit gelistet hat, nein, nur weil ich es bin, der neben ihm liegt und ich ihn berühre und spüre, wie es niemand tut. Denn meine Liebe zu ihm, ist der Unendlichkeit geweiht.

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