KAPITEL 18

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Song Empfehlung:
Life is a Highway von Rascal Flatts 

Noah

„Wann sind wir endlich da?", schmolle ich und seufze laut. Wir fahren schon bestimmt seit zwei Stunden und ich bin nun wirklich nicht dafür bekannt geduldig zu sein, besonders nicht, wenn es ums Autofahren geht. „Gleich.", beschwichtigt er mich belustigt. Es ist extrem warm draußen, weswegen wir schon die ganze Zeit unsere Fenster offen haben und der Fahrtwind meine Haare komplett verstrubbelt. Ein leichter Salzgeruch steigt mir in die Nase, was mich in meiner Annahme bestätigt, dass wir Richtung Meer fahren. Ich lehne mich aus dem Fenster und genieße die Sonne, wie sie in mein Gesicht strahlt und laut vernehme ich Möwen am Horizont. Anscheinend sind wir dem Meer schon näher, als ich gedacht habe. Jordan drosselt die Geschwindigkeit und fährt langsam auf einen Schotterplatz, ehe er anhält und freudestrahlend verkündet, „Wir sind da!". Schmunzelnd öffne ich die Tür und höre wie der Kies unter meinen Schuhen knirscht. Anscheinend sind wir auf irgendeinem Parkplatz, nahe am Meer. Gerade als ich nach hinten wollte um unsere Taschen rauszuholen, packt mich Jordan an den Schultern. „Vergiss es. Die hole ich nachher alleine.", versichert er mir. „Aber-...", will ich einwenden, doch er unterbricht mich. „Entspann dich und vertrau mir.", lacht er. Genervt verdrehe ich die Augen, lasse mich jedoch von ihm schieben. Jordans Schritte werden schneller, als er mich loslässt und plötzlich meine Hand nimmt. Überrascht jagt es mir einen Schauer über den Rücken. Kleine Stromschläge gehen von seiner Hand aus, durch meinen gesamten Körper. Beinahe seufze ich entzückt auf, doch kann ich mich gerade noch davon abhalten. Er zieht leicht an mir, ist jedoch darauf bedacht, dass ich nicht stolpere, da mein Blindenstock noch im Kofferraum verweilt.
Als Jordan stehen bleibt, runzle ich die Stirn, ehe er mich über seine Schulter schmeißt. Laut quicke ich auf. „Jordan!", protestiere ich. Er lacht nur laut und ich merke, dass er ein paar Treppen nach unten eilt, ehe er mich wieder auf sandigen Boden abstellt. Sofort zieht er wieder an mir. Meine Güte, er muss ja total aufgeregt sein. Das Rauschen der Wellen wird immer lauter und auch wenige Stimmen, von anderen Menschen um uns, vernehme ich. „Nicht so schnell!", versuche ich ihn belustigt zu beruhigen. Ruckartig bleibt er stehen und dreht sich zu mir. „Weißt du wo wir sind?", fragt er mich aufgeregt. Schmunzelnd schüttle ich mit dem Kopf. „Rate!", fordert er. „Am Meer?", sage ich und zucke mit den Schultern. „Ja, aber wo?!" Kurz überlege ich. Wir sind fast zwei Stunden gefahren und hier ist es gering wärmer als bei uns. Oh. „Wir sind in Hellybyle." Das ist eine Küstenstadt und mein Dad besitzt hier ein kleines Boot. Ich war noch nicht oft hier. Eigentlich fährt mein Vater hier immer nur mit meiner Mum hin. „Genau." Wieder packt er meine Hand und führt mich auf einen kleinen Steg, ehe er mich vorsichtig über eine kleine Leiter auf das Boot meines Vaters führt. „Er hat dir echt erlaubt mit mir hier hin zu fahren?", frage ich ihn ungläubig, da meinem Vater diese kleine Yacht mehr als nur heilig ist. „Ja. Er meinte, da ich ja sowieso nie sein Geld annehme - anscheinend hat er es herausgefunden, darf ich mir über ein Wochenende mal das Boot ausleihen." Überrascht ziehe ich die Augenbrauen hoch. Er meinte nicht, mit mir zusammen, er hätte also auch mit Betty hierherfahren können. „Und warum mit mir?", frage ich leise und taste mich über das kleine Deck. „Mit wem denn sonst?", er klingt verwirrt. Mein Herz wird warm. „Betty.", nuschle ich und gehe weiter nach hinten, während meine Hand über das glatte Holz streicht. Er schnauft laut und folgt mir, um wahrscheinlich sicher zu gehen, dass ich über nichts stolpere. „Also bitte. Ich ziehe tausend Mal lieber vor, mit dir ein Wochenende auf diesem Boot zu verbringen, als mit ihr.", brummt er leise, mehr zu sich selbst als zu mir. Ich kann nichts dagegen tun, dass sich Schmetterlinge in meinem Bauch breit machen. Meine Haut kribbelt und Röte steigt in meine Wangen. Zum Glück ist er hinter mir. Es freut mich, dass er so denkt. Ja wirklich. Auch, wenn er nicht so für mich empfindet, wie für Betty, freut es mich trotzdem, dass ich ihm wichtiger bin. Das freut mich immer wieder. Es gibt mir einen neuen Schuss. Zwar verbessert es nicht meine Liebe zu ihm, nein, sie steigert sie nur noch weiter ins Unermessliche, aber es erwärmt mich auch. So sehr, wie nichts auf der Welt. Leicht schaukelt das Boot hin und her. Es ist kaum zu merken, da der Wellengang anscheinend kaum vorhanden ist. „Ich dachte, dass wir morgen früh ein bisschen rausfahren können. Abends können wir ja mal in die Stadt gehen.", erklärt er und begeistert nicke ich. Im hinteren Teil angekommen, setze ich mich auf die kleine Sitzgelegenheit, die wohl eine atemberaubende Aussicht aufs Meer bietet. Mittlerweile müsste auch schon die Sonne untergehen. Wie traumhaft schön das ganze wohl aussehen muss. Seufzend lässt sich Jordan neben mich nieder und legt einen Arm hinter meine Schultern.

„Dein Dad meinte, er hat hier ein paar Bierchen rumliegen. Ich werde die mal suchen.", sagt er nach einiger Zeit und erhebt sich wieder. Genießerisch schließe ich die Augen und lausche den sanften Wellen, die immer wieder gegen das Schiff schlagen, höre den Möwen zu und die kaum noch vernehmbaren Stimmen, der Passanten am Strand und an den angrenzenden Ständen. Ich weiß noch aus meiner Kindheit, dass auf der rechten Seite der Hafen liegt, nicht besonders groß, und auch, dass nur kleine Schiffe hier anliegen. Auf der anderen Seite ist der Strand für die Touristen. Die Stadt ist ziemlich klein, aber ich weiß noch, dass ich hier das leckerste Eis überhaupt gegessen habe. Wir waren hier eine Woche, bevor ich einige Zeit im Krankenhaus verbrachte. Mir kommt es so vor, als wäre das nicht beinahe zehn Jahre her. Es war eine Zeit, an die ich mich nie wirklich gerne zurück erinnere und um ehrlich zu sein, kann ich mich auch nicht mehr so ganz daran erinnern. Ich weiß noch, dass Jordan jeden Tag bei mir verbracht hat, mir seine neuen Comics mitgebracht hat und wir uns Stunden lange darüber unterhalten haben. Es gibt auch noch irgendwo ein Bild, was meine Mutter geschossen hat, wo Jordan neben mir im Bett liegt. Ich, ziemlich blass, keine Haare und sehe alles andere als gesund aus, aber Jordan neben mir, machte das Bild mehr als niedlich, jedenfalls erzählte mir das meine Mutter. Wir haben beide tief und fest nebeneinander geschlafen. Ich weiß noch, dass es mir immer besser ging, wenn er bei mir war. Es hatte keinen Unterschied gemacht, dass alle anderen Kinder im Sommer im Schwimmbad waren, nein, Jordan hat jeden Tag bei mir verbracht. Manchmal denke ich, dass ich nur genesen bin, weil ich einen so guten Freund habe, der immer für mich da ist und mich fühlen lassen hat, als wäre ich vollkommen gesund. Wir reden kaum über diese Zeit. Ich weiß, dass Jordan wegen mir und seiner Mutter eine große Abneigung gegenüber Krankenhäuser hat. Wenige Jahre, nachdem es mir wieder besser ging, ging es seiner Mutter immer schlechter. Das war die Zeit, an der ich von Jordans Seite nie weggewichen bin. Seine Mutter hatte nicht so viel Glück wie ich und ich bekomme immer noch eine Gänsehaut, wie Jordan in meine Arme gefallen ist und schluchzend gesagt hat, dass seine Mum jetzt an einem besseren Ort ist. Es hat mich zu tiefst geschmerzt, da mir seine Mutter auch viel bedeutet hat. Sie war wie eine Tante für mich. Und zu sehen, wie schlimm Jordan gelitten hat, bricht mir noch heute mein Herz. Wir beide haben in unserem damaligen Alter einfach schon viel zu viel Leid erfahren. Vielleicht ist das auch der Grund, warum unsere Freundschaft so besonders ist. Ich weiß nicht warum ich irgendwann angefangen habe, mehr für ihn zu empfinden, als für einen besten Freund. Es hat mich damals so verdammt sehr verwirrt und ich wusste mit all meinen Gefühlen einfach nicht so richtig umzugehen. Ich war einfach noch zu jung, um es zu verstehen, dass ich meinen besten männlichen Freund liebe. „Hier." Jordan erscheint neben mir und gibt mir ein kühles Bier in meine Hand. Eigentlich trinke ich kein Alkohol, er weiß das, aber ich schätze heute werde ich es einfach mal hinnehmen. „Danke.", nuschle ich und nippe etwas an der Flasche. Es muss wohl irgendein Mixbier sein, denn es schmeckt eher süßlich und nicht so bitter. Ich genieße die Präsens meines besten Freundes neben mir, während wir einfach den Abend ausklinken lassen. Es fühlt sich gut und vor allem richtig an. Innerlich ergreift mich eine sanfte Ruhe, die mich leichtsinnig an Jordan lehnen und die Augen schließen lässt. An keinem Ort auf der Welt, wäre ich jetzt lieber, als genau hier.

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