KAPITEL 1

6K 285 12
                                    

Noah

„Komm schon, Alter!", stöhnt Jordan genervt, während ich noch ein bisschen wachs in meine Haare mache. „Du bist wunderschön, können wir jetzt gehen?" „Moment noch.", murmle ich. „Wie machst du das überhaupt?"
„Zauberei.", sage ich sarkastisch.
„Ha. Ha." Ich höre, wie er ungeduldig in unserem Flur auf den Boden tritt. „Okay es reicht.", knurrt er und schmeißt mich über seine Schulter. Überrascht fiepe ich auf. „Verdammt, Jordan! Was soll das?!", heftig schlage ich auf seinen Rücken. „Wir haben nur noch zwanzig Minuten, bis der Unterricht beginnt und ich will heute nicht zu spät kommen."
„Ist das dein Ernst?", frage ich ihn, da er eigentlich ein notorischer Zuspätkommer ist. „Jap.", lacht er. Ergebend seufze ich und höre, wie er die Tür aufreißt und mich auf den Beifahrersitz verfrachtet. Jordan hat unheimliches Glück bereits ein Auto zu besitzen. Ich hätte auch gern eins, jedoch wird daraus wohl nie etwas. Er fährt einen schwarzen Mustang, wie er mir stolz erzählt hat. Ich interessiere mich nicht besonders für Autos, jedoch ist der Klang des Wagens wirklich traumhaft. Er hat auch lange für ihn gespart. Jahre um genau zu sein. Nun fährt er sein Traumauto und ich freue mich wirklich für ihn. „Ich habe das echt vermisst, Kumpel.", höre ich ihn sagen.
Um ehrlich zu sein, freue ich mich nicht besonders auf die Schule, ganz im Gegenteil zu Jordan. Ich hatte ruhige entspannte sechs Wochen Ferien, er jedoch hat die ganzen sechs Wochen auf der Baustelle seines Vaters gearbeitet. Und dieser Mann ist wirklich kein angenehmer Zeitgenosse. Trotzdem kam Jordan so oft wie möglich vorbei, um mit mir Zeit zu verbringen und, wenn es nur Musik hören war. Eine unserer Lieblingsbeschäftigungen. Wer als erstes den Titel weiß, hat gewonnen. Meistens bin ich das. Liegt wohl an meinem extrem guten Gedächtnis, aber manchmal lasse ich ihn gewinnen, auch, wenn er das nicht weiß. „Dieses Jahr wird super, ich weiß es einfach." Unser letztes Jahr in der Highschool. Yeah!, ich hoffe man erkennt meinen Sarkasmus. „Wäre meine Motivation ein Tier, wäre es auf jeden Fall irgendwas Totes.", murre ich. „Komm schon du Grummelmonster." Seufzend verdrehe ich meine Augen hinter meiner Pilotenbrille, die mit roten Gläsern versehen ist. „Du nervst." Er strubbelt mir lachend durch die Haare. Gott, wie ich das hasse. „Lass das.", knurre ich und schlage nach seiner Hand. Toll, jetzt ist die Frisur dahin, danke Mr. Turner. Leicht spüre ich den Fahrtwind und die sanften Sonnenstrahlen auf der Haut. Es wird sicherlich wieder ein extrem heißer Tag. „Wir sind daaahaaa." Wie kann ein Mensch nur so motiviert sein? Meine Güte. „Schön.", brumme ich und taste nach der Türklinke, doch Jordan kommt mir zuvor und hält mir die Tür auf. Ich klappe meinen Blindenstock auf. Er ist schwarz mit silbernen Verzierungen. Jordan fand es mal ganz witzig den anzumalen. Meine Mutter nicht so, doch geändert haben wir es nie. Vorsichtig hüpfe ich aus dem Wagen und mache mich mit ihm zusammen Richtung Eingang. Blind sein ist scheiße, doch ich habe mich damit arrangiert. Eigentlich wollte mich meine Mutter auf eine andere Schule schicken, die spezialisiert ist, für Menschen wie mich, doch ich habe mich mit Händen und Füßen gewehrt. Meine Mutter denkt, ich wollte nicht weg, weil ich nicht anders behandelt werden will, als andere Schüler, aber eigentlich wollte ich Jordan einfach nicht verlassen. Das weiß keiner und ich werde das auch keinem erzählen. Am Anfang war es relativ schwer, doch mittlerweile, Jahre später, bin ich einer der besten Schüler an der Schule. Ich bin blind, habe dafür aber ein extrem gutes Gedächtnis und mein Gehör ist auch mehr als hervorragend. Es ist nicht so, dass ich gar nichts sehe, nein, eher als würde man durch ein Milchglas schauen. Wenn ein Mensch vor mir steht, kann ich grob seine Umrisse erkennen, doch wirklich viel ist das nicht. An Jordans Schulter halte ich mich fest, um ihm folgen zu können, währen mein Stock über den Boden rollt. „Na, wen haben wir denn da, einen Maulwurf.", lacht eine mir nur zu bekannte Stimme. Ryder ist der typische Schulschläger. Er kann mich schon vom ersten Tag an dieser Schule nicht leiden. Warum weiß ich nicht, doch es beruht auf Gegenseitigkeit. Gerade wollte Jordan mich verteidigen, als ich seine Schulter leicht drücke, um ihm zu verstehen zu geben, dass ich das schon mache. „Oh wow, Ryder. Ich wusste ja, dass der Tag hässlich wird, aber mit dir habe ich nun wirklich nicht gerechnet. Immer noch so hirnlos wie letztes Jahr?" Wütend höre ich ihn auf knurren und ich wünschte, ich könnte jetzt sein Gesicht sehen. „Pass bloß auf-...", wollte er mir drohen, doch jetzt stellt sich Jordan schützend vor mich. „Verpiss dich Ryder.", brummt er. Zwar mag ich es nicht, wenn er mich verteidigt, doch wenn er es macht, funktioniert es immer. Jordan ist extrem groß und kräftig, nicht ohne Grund ist er Quarterback und Captain der Football Mannschaft. Jeder liebt und respektiert ihn. Mein Kumpel ist ein richtig beliebter Boy an der Schule. So wie in den bescheuerten Filmen. Die Mädchen rennen ihm hinterher und die Typen wollen mit ihm befreundet sein. Und da bin dann noch irgendwo ich in seinem Leben. Sein bester Freund seit Geburt an. Unsere Mütter waren beste Freunde und so wurden wir es auch. Ich bin nicht sonderlich beliebt an der Schule, aus dem ganz einfachen Grund, weil ich Menschen hasse. Keiner versteht warum Jordan noch mit mir befreundet ist, doch er, ich zitiere, ‚gibt einen Fick auf die anderen'. Als er mir das gesagt hat, schlug das erste Mal mein Herz viel zu schnell in seiner Nähe. Ab dem Moment ging das auch nicht mehr weg, nein, es wurde schlimmer. Viel schlimmer. „Wie dem auch sei, man sieht sich Blindschleiche." „Gott ist der Typ hohl.", murmelt Jordan, als Ryder endlich wieder weg ist. Die beiden spielen zwar Football zusammen, leiden kann Jordan ihn trotzdem nicht. Vielleicht wäre das anders, wenn er nicht mit mir befreundet wäre. Zusammen gehen wir in die extrem laute Schule. Früher hasste ich die ganzen Geräusche, die nur so auf mich niederprasseln, aber mittlerweile komme ich irgendwie damit klar. „Jordan!", quiekt eine hohe Stimme und ich zucke sofort zusammen. Betty. Gott, wie ich die hasse. Sofort löst sich Jordan von mir und mir fehlt augenblicklich seine Wärme an meiner Seite. „Baby...", schnurrt er und ich bekomme eine Gänsehaut. So wie ich den Luftzug spüren kann, hebt er sie hoch und wirbelt sie umher. Die beiden sind seit gut einem Monat zusammen. Ich bin nicht der einzige, dem das ganz und gar nicht gefällt, doch ich weiß es besser zu verstecken als andere. Genervt vernehme ich ihr heftiges Geknutsche. Mitten auf dem Flur! Es hört sich an, als würden sie um eine Olive kämpfen. Ekelhaft!
Meine ganz persönliche Hölle.

talking to the stars Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt