KAPITEL 45

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Song Empfehlung:
I Can't Handle Change
von Roar

Jordan

„Ich werde sterben, Jordan.", sagt er nun leiser und tausende Tränen bahnen sich einen Weg über seine geröteten Wagen. „Was?" „Ich habe dich angelogen.", schnieft er. „Als wir vom Krankenhaus wiederkamen, hat mir der Arzt nicht gesagt, dass es nur eine Migräne ist.", flüstert er und senkt den Blick. „Er hat mir gesagt, dass der Tumor wieder zurück ist und gestreut hat. Jordan, ich habe wieder Krebs und diesmal gibt es keinen Weg zurück. Der Arzt gibt mir noch drei Monate."
Ich weiß in diesem Moment nicht was ich fühlen soll. Was ich tun soll, damit ich verstehe, was hier gerade passiert. Träume ich? Ist das einfach nur einer von vielen erbärmlichen Albträumen? Noch nie habe ich mir so sehr gewünscht, dass es genau das ist. Dass ich träume und, wenn ich mich zwicke, aufwache und ein ruhig schlafender Noah neben mir liegt. Ein gesunder, glücklicher Noah. Kein Noah, der so unfassbar traurig vor mir steht und so scheint, als würde genau in diesem Moment seine ganze Welt zusammenbrechen. Nichts würde ich gerade mehr wollen als ihn an mich zu reißen und einfach davon zu laufen. Irgendwo hin. Ganz egal, einfach weg. Ich will ihn doch nur glücklich sehen, ohne Sorgen und vor allem ohne Tränen, denn jede einzelne, bricht mir aufs Neue das Herz, doch mein Körper ist wie betäubt. Ich kann nichts tun. Mich nicht bewegen, ihn schützen, ihn lieben, denn in diesem Moment, bin ich nichts mehr als eine leere Hülle, der mit nur einem Satz das ganze Herz heraus gerissen wurde. Obwohl ich in diesem Moment nicht einmal ansatzweise die Tragweite seiner Worte verstehen konnte. Nicht was sie beuteten, was sie für uns, für ihn bedeuten. Es war nicht echt und fühlte sich einfach an wie ein Traum an. Doch egal wie sehr ich mich innerlich anschrie aufzuwachen, nützte es nichts. Denn ich bin wach und Noah steht wirklich vor mir und nimmt mir jegliche Gefühle, mit nur diesem einen kleinen Satz. Ruckartig löse ich mich von ihm und stolpere einige Schritte nach hinten. „Was?", frage ich atemlos. „Es tut mir so leid." Vorsichtig will er einen Schritt auf mich zu machen, mich berühren, doch ich kann nicht. Es würde mich zu sehr schmerzen, seine lieblichen Hände nun auf mir zu wissen, weswegen ich ihm schweren Herzens ausweiche. „Aber... aber dir ging es doch besser!", versuche ich mir einzureden. Nie habe ich auch nur in den letzten Momenten mitbekommen, dass-.... „Nein...", hauche ich fassungslos, da gerade alles wie ein Blitzgewitter über mich einbricht. Wie gedankenversunken er war, wie traurig und leer er für Momente geschaut hat. Die Reaktion seiner Eltern, die Tränen... Sein Geständnis, wie sehr er mich liebt. Diese Hoffnungslosigkeit in seiner Stimme. „Ich habe gelogen.", wispert er und bricht mein Herz erneut. „Nein! Nein!!", brülle ich plötzlich so laut und verzweifelt, dass ich noch Sekunden danach den Schmerz in mir widerhallen höre. Nur schwer scheint er sich noch auf seinen Beinen halten zu können. „NEIN! Das werde ich nicht zulassen! Hörst du?!", verzweifelt fahre ich durch meine Haare und reagiere nur noch instinktiv und lasse alle meine inneren Gefühle, all die Verzweiflung aus mir sprechen. „Jordan, da gibt es nichts-...", wollte er sagen doch ich lasse ihn nicht. „Sag das nicht! Nein! Wieso... wieso hast du mich angelogen?? Wieso hast du das getan, Noah??", will ich mit Tränen in den Augen wissen. „Es tut mir leid, wirklich Jordan!", wiederholt er nur und ich schaue auf meine zitternden Hände. „Was ist denn hier los?", kommt dann auch noch Blue um die Ecke. „Hat er dir was getan?", fragt er ihn und augenblicklich verwandelt sich all meine Verzweiflung, in unfassbare Wut. Alleine seine Hand auf der Schulter von Noah, der so herzzerbrechend weint, ist alles, was ich noch wahrnehme. „Was mischst du dich denn jetzt da ein??", will ich wissen und an meiner Tonlage bemerke ich, wie mich der Hass auf alles, komplett einnimmt. „Hör auf Jordan! Mir geht es gut Blue, lass es sein!", erwidert Noah und stellt sich zwischen uns. „Gut? Gut??", brülle ich nun verständnislos. „Du solltest jetzt vielleicht besser gehen.", sagt Blue über Noahs Schulter hinweg zu mir und dann bricht etwas über mir zusammen und in diesem Moment, verstand ich den Hass meines Vaters. Die Wut, die er jahrelang an mir ausgelassen hat. Die Schläge, die noch heute in meinem Inneren widerhallen. Ich verstehe nun seinen inneren Schmerz, seinen Hass auf die Welt, auf jeden um sich, da sie ihm seine Liebe genommen haben. Und ich hasse mich nur noch mehr, weil ich in diesem Moment nicht besser sein kann als er, weswegen ich Noah auch achtlos von Blue wegstoße und meine Fäuste unkontrolliert auf ihn einschlagen. Nichts als diesen roten, all umfassenden Schleier bekomme ich mit und lasse all meinen eigenen Schmerz an Blue aus, der ahnungslos versucht sich gegen mich zu wehren. Ich hasse ihn. Ich hasse mich. Ich hasse Noah, dafür, dass er mir das antut. Ich hasse meine Mutter, dass sie mich verlassen hat. Ich hasse meinen Vater, weil er mir nie die Liebe gegeben hat, die ich so sehr wollte. Ich hasse einfach alles so sehr, dass nun unkontrollierte Tränen über meine Wangen laufen und ich mich in dem Hass verliere und nun das bin, was ich nie sein wollte. Ich bin wie mein Vater, der nicht besser sein konnte, als der Hass auf alles und jeden. Mehrere Hände greifen nach mir und wollen mich wegziehen. Wild versuche ich mich zu wehren und eigentlich sollte es mich erstaunen woher diese Kraft kommt, dass mich selbst drei kräftige Football Spieler nicht im Schach halten können und nur als noch zwei weitere dazu kommen, werde ich endlich von ihm weggezogen. „Verdammt Jordan!!", brüllen sie. „Beruhige dich!" Der rote Schleier lichtet sich nur langsam. Angewidert sehe ich auf meine aufgeschrammten Fäuste und auf Blue, dessen Gesicht rot und angeschwollen ist. „Jordan.", haucht jemand und sofort zuckt mein Blick zu ihm. Seine Hand will nach mir greifen, doch ich zucke zurück. „Fass mich nicht an." Innerlich weiß ich, dass Noah der ist, der wohl am wenigsten etwas dazu kann, doch ich bin gerade einfach nicht ich selbst. „Jordan, bitte.", versucht er es erneut, doch ich kann nicht. Die Musik läuft schon lange nicht mehr, viele Leute haben sich auf dem Flur versammelt und sehen mich alle geschockt an. All die bekannten, weit aufgerissenen Gesichter. Hayley, Betty, meine Freunde, die Band, Leute aus der Schule, die dachten mich zu kennen. Es ist einfach zu viel, einfach... zu viel. Schnell drücke ich mich an den anderen vorbei und laufe aus dem Haus, in denen ich so viele Stunden voller Geborgenheit erfahren habe. Auch, wenn ich in meinem Zustand nicht mehr fahren sollte, steige ich ins Auto und fahre einfach los. Einfach weg von hier und meinen Problemen. Weg von meinem Vater, weg von den Erinnerungen meiner Mutter, weg von Noah.

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