KAPITEL 25

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Noah

„Also muss ich das dann am Ende nur noch addieren?", fragt mich Jordan hoch erfreut. „Genau!" Stolz lächle ich und drücke seine Schulter. Wir sitzen gerade zusammen an meinem Schreibtisch und machen die Mathehausaufgaben für morgen, die ich zwar schon seit vier Tagen fertig habe, aber Jordan hat sie vollkommen vergessen. Seit er gestern so aufgelöst bei mir angekommen ist, verhält er sich zwar normal, doch ich merke, wie schlecht es ihm geht. Nie war er von den Taten seines Vaters so mitgenommen wie gestern, was mich vermuten lässt, dass es nicht bei den Schlägen geblieben ist, denn womit man Jordan wirklich treffen kann, sind verbale Äußerungen. Körperliche Schmerzen haben ihn nie wirklich sehr mitgenommen, was vielleicht auch an seinem Football Training liegt, doch, wenn man ihn nicht physisch verletzen kann, dann definitiv psychisch. Sofort habe ich wieder das starke Verlangen ihn in meine Arme zu ziehen und ihn einfach zu halte. Am liebsten würde ich seinen ganzen Schmerz auf mich nehmen. Er sollte diese Last nicht tragen müssen. Ohne es verhindern zu können, wandere ich mit meiner Hand hoch über seinen Nacken, zu seinen Haaren und führe leicht kraulende Bewegungen aus. „Wenn du so weiter machst, schlafe ich dir auf dem Schreibtisch ein.", gibt er leise und belustigt von sich. „Oh.", sofort entziehe ich wieder meine Hand und lege sie auf den Tisch ab. „Nein, es war wirklich... schön.", murmelt er leicht verlegen und stößt mich mit der Schulter an. Schnaufend schüttle ich mit dem Kopf und stoße etwas kräftiger zurück. „Hey!", ruft er gespielt entsetzt, als ich höre, wie er beinahe vom Stuhl fällt. Er schubst wieder zurück und ich muss laut anfangen zu lachen, da diese ganze Situation so albern ist. Plötzlich spüre ich seine Lippen auf meinen und ich reiße überrascht die Augen auf. Sofort löst er sich auch wieder. „Sorry.", haucht er und zieht sich wieder zurück. „Schon okay.", gebe ich etwas unsicher von mir, als plötzlich wieder seine Lippen auf meinen liegen und nun etwas länger, ehe er sich wieder abrupt löst. „Fuck, sorry." Nun entkommt mir doch ein leises Lachen. „Schon gut, Jordan." Leicht lege ich den Kopf schräg, strecke meine Hand aus und sofort kommt er meiner Aufforderung nach und schmiegt seine Wange in diese. Sanft fahre ich über sein Gesicht, um seinen Gesichtsausdruck zu ergründen. Seine Augenbrauen sind gerunzelt, die Augen geschlossen und die Lippen angestrengt aufeinander gepresst. „Ich will das hier.", gestehe ich ihm leise und merke, wie sich seine Augen öffnen. „Aber ich will nicht, dass du weiterhin mit Betty zusammen bist.", sage ich ihm konkret, da ich es nicht ertragen würde. „Aber-...", will er beginnen, doch ich unterbreche ihn sofort. „Nein. Hör mal...", fange ich an und rücke etwas nähre, damit ich seinen Geruch in mir inhalieren kann, um mich etwas zu entspannen. „Ich kann das nicht mit meinen Gewissen vereinbaren, dass du sie mit mir hintergehst. Abgesehen davon, will ich das auch gar nicht. Ich werde alles andere..., wenn auch nicht unbedingt erfreut, akzeptieren, da ich dich verstehen kann. Doch das mit Betty ist nicht gut und ich weiß, dass du sie auch nie absichtlich verletzen willst.", erkläre ich ihm leise und streichle sein raues, geliebtes Gesicht und hoffe, dass er es einsieht und mir um den Hals fällt. Er schweigt, eine unglaublich lange Zeit, die meine penetranten Kopfschmerzen, hinter meinen Augen, nur noch verschlimmern. Ich habe heute schon zwei Tabletten genommen, was meine Mutter mit einer skeptischen und vor allem warnenden Stimme so hingenommen hat. „I-In... Ordnung.", murmelt er dann und ich kann es einfach nicht fassen. Hat er wirklich zugestimmt? „Aber gib mir Zeit, es mit ihr zu klären. Ich will Betty nicht von heute auf morgen einfach so verlassen. Das hat sie nicht verdient... Ich werde das vorsichtig angehen müssen.", grübelt er und schmiegt sich weiter in meine Hand. „Okay." Sachte lächle ich, auch, wenn ich von innen vor Glück platzen könnte. Was heißt das jetzt? Sind wir ein inoffizielles Paar? Sind meine jahrelangen Träume tatsächlich in Erfüllung gegangen? Vorsichtig erhebe ich mich, ehe ich auf seinen Schoß klettere und mich liebevoll an ihn schmiege. „Ich vertraue dir.", versichere ich ihm und küsse sanft seine Halsbeuge. „Danke." Ich spüre, wie er seine Nase in mein Haar drückt und wir wie ein Knäul auf dem Stuhl sitzen.

Eine Zeit lang genießen wir die Wärme, die wir uns gegenseitig spenden, ehe er mit seinen Hausaufgaben fortfährt. Als ich merke, dass er gut alleine zurecht kommt, erhebe ich mich von meinem Suhl und gehe zu meiner Musikanlage, da ich jetzt Musik in meinen Ohren brauche. Langsam fahre ich mit dem Finger an meinem Schrank entlang und suche eine ganz bestimmte Platte. Unsere Platte. Als ich bei ihr ankomme, ziehe ich die Schallplatte hervor und nehme sie aus ihrer Schutzfolie. Daraufhin schalte ich den Schallplattenspieler an und die dazugehörigen Boxen. Vorsichtig lege ich die Platte auf und das alt bekannte knisternde Rauschen erklingt. Seufzend schließe ich die Augen als seine rauchige, bekannte, beruhigende Stimme erklingt. Sanft wiege ich mich zu den Gitarrenklängen und genieße den prasselnden Regen draußen, während er leise dazu singt. Ich liebe Musik und, wenn dann auch noch Jordan bei mir ist, fühle ich mich vollkommen vollständig, geborgen. Nirgends wäre ich gerade lieber als in diesem Moment. Wärme durchflutet meine Venen, mein Bauch fängt wohlig an zu kribbeln, ein sanftes Lächeln legt sich auf meine Züge und ich genieße es einfach. Musik ist so essentiell für mein Leben, dass ich gar keine Worte finden kann, die beschreiben, was Musik für die Menschheit bedeutet. Tatsächlich habe ich von Menschen gehört, die Musik nicht mögen. Wie kann das sein? Wie ist sowas nur möglich? Was ist mit diesen Menschen geschehen, dass sie so etwas Wundervolles, wie Musik, verabscheuen. Ich werde es wohl nie verstehen können. Mitleid überflutet mich kurzzeitig, als ich mir denke, was sie im Leben verpassen. All diese großartigen Künstler, all die herzergreifenden Lieder. Lieder bei denen du tanzen musst, weil du einfach keine andere Wahl hast, Lieder, die schlicht und ergreifend dein Leben verändern, weil sie dich prägen. Es sagt viel über einen Menschen aus, was für einen Musikgeschmack er hegt. Ich finde es interessant, wie viele unterschiedliche Musikrichtungen es gibt. Natürlich finde ich nicht an allen meinen Gefallen, doch definitiv würde ich meinen Geschmack als vielseitig erachten, was wahrscheinlich auch an Jordan liegt, da wir schon seit der Kindheit die meiste Zeit mit Musikhören verbracht haben. Möglicherweise ist das auch der Grund, warum unsere Geschmäcke kaum auseinander gehen. Wir lieben sowohl das Ruhige, Entspannte, als auch das Rockige, Poppige. Selbstverständlich hängt es auch mit unseren Stimmungen zusammen. Wenn einer von uns traurig war, haben wir uns immer zusammen auf den Boden gelegt und leise, ruhige Musik gehört, während der andere Trost gespendet hat. Und, wenn wir dann wieder vor Glück beinahe geplatzt wären, haben wir getanzt. Sehr wahrscheinlich sahen wir absolut albern aus, doch uns hat es überhaupt nicht interessiert. In meinem Zimmer, die Musik und uns, war alles was wir brauchten in diesen kleinen Momenten, um uns vervollständigt zu fühlen. Ich muss lächeln, als ich Jordan vor mir spüre und er meine Hand nimmt, um mit mir zu tanzen. „Du musst doch Hausaufgaben machen.", tadle ich ihn, doch kann ich meine Freude kaum verstecken. „Bin fertig.", flüstert er in mein Ohr, ehe er mich um meine eigene Achse dreht. Mit geschlossenen Lidern lehne ich meine Stirn an seine Schulter, lasse mich sanft von ihm wiegen und lausche dem Regen sowie der leisen Musik.
Hier und für immer, nur mit dir Jordan.

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