KAPITEL 20

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Song Empfehlung:
Wait von M83

Noah

„Du hast einen Sonnenbrand.", murmelt er. Sein heißer Atem streift mein Gesicht und lässt mich hart schlucken. „Es ist ja auch sonnig.", flüstere ich. Nie im Leben war der Wunsch, er würde genau in diesem Moment, in genau dieser Sekunde, seine Lippen auf meine legen, so present. Kurz dachte ich sogar, es würde passieren, er würde sich runterbeugen und mich küssen. Doch das passierte nicht. Beinahe schon fluchtartig zog er sich zurück. „Ich werde dir mal Sonnencreme holen.", sagt er vor sich hin und verschwindet. Seine Schritte hallen laut in mir nach und eine unangenehme Gänsehaut breitet sich über mir aus. Seufzend streiche ich über mein Gesicht und tatsächlich, ein leichtes Kribbeln zeigt mir, dass ich einen kleinen Sonnenbrand auf den Wagen habe. Na toll. Ich höre schon meine Mutter mich tadeln, warum ich mich denn nicht richtig eingecremt habe. „Hier.", fordert mich Jordan auf, der plötzlich wieder vor mir steht und mir eine Tube in die Hand drückt. Ich höre, wie er sich neben mir auf die andere Liege legt. „Wir sollten uns noch ein bisschen ausruhen, bevor wir zurückfahren und auf die Party gehen.", sagt er und hört sich an, als würde er gleich einschlafen. Beinahe wehleidig streiche ich mit dem Daumen über die Tube in meiner Hand. Vielleicht hat ein kleiner Teil von mir gehofft, er würde mich eincremen. Schade.
Ich schätze, dass ich heute Abend dem Alkohol nicht so abgeneigt sein werde, wie sonst. Vielleicht ist es ja mal ganz gut ein bisschen Spaß zu haben und zu... leben.

~

Entspannt sauge ich die salzige Luft in meine Lungen und genieße die sanfte kühle Brise der Nacht. Meine nackten Füße tauchen in den kribbelnden Sand und ich muss lachen, als mir Jordan gerade eine witzige Story erzählt, während er seinen Arm um meine Schulter legt und wir etwas rumalbern. Es ist mittlerweile abends, am Strand tummeln sich bereits viele betrunkene, tanzende Leute. Wir sind gerade eben erst von dem Boot runter und laufen jetzt zu der Bar. Jordan besteht drauf erstmal den Abend mit einem richtigen Schnaps einzuleiten. Tief lachend wuschelt er mir durch die Haare und ich grinse zufrieden. Ich liebe es, wenn wir einfach so ausgelassen zueinander sind, ohne Sorgen. Einfach nur wir selbst. Jordan hat in unsere Heimatstadt immer eine Art Schutzmauer um sich, an der nur ich vorbei schauen darf, doch hier hat er sie runterfahren lassen, um die Zeit vollkommen zu genießen, was mich zutiefst erfreut. Morgen müssen wir bereits wieder nach Hause fahren und alleine der Gedanke daran, bereitet mir Übelkeit. Ich will hier nicht weg. Nicht zurück zu meiner nervigen Schwester, zurück in die Schule, zurück zu Jordans Freundin, die mir immer wieder vor führt, wie hoffnungslos meine Liebe zu ihm erscheint. „Hier, Schnaps." Skeptisch ziehe ich die Augenbrauen zusammen. Bier ist okay, aber Schnaps? „Ich weiß nicht, Jordan...", unsicher schüttle ich mit dem Kopf. „Du musst nicht, wenn du nicht willst, das weißt du, aber heute ist unser letzter Abend und ich passe auf dich auf.", versichert er mir und drückt meine Schulter. „Solange es bei einem bleibt.", murmle ich und lasse mir von ihm den Schnaps in die Hand drücken. „Aber sicher.", lacht er und klingt alles andere als zuversichtlich. „Auf drei, ja?", fordert er und ich höre seine Freude heraus, die mich sogleich ansteckt und ich einverstanden nicke. „Eins... Zwei... Drei..." Zusammen kippen wir uns das eklige Zeug in den Nacken und ich verziehe angewidert das Gesicht, was Jordan laut lachen lässt. „Schön, dass dich mein Leiden erfreut.", murre ich und gebe ihm das Glas zurück. „Das würde es nie.", sagt er belustig, doch höre ich eine Ernsthaftigkeit aus seiner Stimme, die mir sagt, dass es das auch nie würde. „Zwei Bier.", bestellt er dann noch und mich wundert es echt, dass die Barkeeper ihm so willig den Alkohol geben. Wahrscheinlich sieht er auch vielleicht schon wie einundzwanzig aus. Wer weiß. Keine zwei Sekunden später spüre ich schon ein kühles Bier in der Hand, dessen Nässe sich über meine Handinnenseite ausbreitet. „Na komm!" Überrascht stolpere ich ihm hinterher, als er mich an meiner Hand hinter ihm herzieht. „Hey! Jordan! Nicht so schnell.", rufe ich zu ihm. Fest umklammere ich seine große, starke Hand und bete jetzt nicht über irgendwas zu stolpern, doch weiß ich, dass egal wie aufgedreht Jordan ist, er immer darauf Rücksicht nimmt. „Wir hätten gerne einen.", sagt Jordan zu jemanden und verwirrt runzle ich die Stirn. „Hier bitte. In zwanzig Minuten geht es los." Eine Frau, mit einer sehr sanften Stimme, scheint zu ihm zu reden und er bedankt sich bei ihr, ehe er mich wieder etwas abseits hinzieht. Ich spüre sanft das Wasser an meinen Füßen, also müssen wir genau am Meer stehen. Die Musik ist laut, aber immer noch sehr angenehm. „Was hast du gewollt?", frage ich ihn nun, da es mich brennend interessiert, was er von der Frau wollte. „Ich habe einen dieser Ballons gekauft.", erzählt er mir erfreut, aber konzentriert, was mich vermuten lässt, dass er diesen gerade vorbereitet. „Die heißen Himmelslaternen.", korrigiere ich ihn belustigt, aber liebevoll und strecke meine Hand nach ihm aus. Sogleich höre ich, wie er mir wieder näher kommt und ich den weichen Stoff seines T-Shirts unter meinen Fingern spüre. Entspannt streiche ich hoch zu seiner Schulter und gehe einen Schritt auf ihn zu, während er noch immer an der Laterne herum probiert.

Jordan braucht eine halbe Ewigkeit, aber so wie ich das vernehme, ist er gewiss nicht der einzige. Unzählige Menschen tummeln sich am Strand und bereiten ihre eigene Laterne vor. Im Hintergrund läuft Wait von M83 und gibt dem Ganzen eine besondere Atmosphäre. „Ich hab's!", ruft er erfreut aus und ich muss kichern. „Hat ja nur eine halbe Ewigkeit gedauert.", spotte ich belustigt. „Hey!", beschwert er sich gespielt böse. „Das war nicht so einfach, wie es aussieht.", grummelt er. „Wusstest du, dass du dir mit der Laterne etwas wünschen kannst und die dann Richtung Himmel steigt?" „Hm... Nein, nur, dass sie aus China kommt." Er lacht. Ich liebe es, wenn er lacht, habe ich das schon mal erwähnt? „Na immer hin, du Einstein.", necke ich ihn und stoße ihn mit der Schulter an. Ich höre genau, wie er belustigt ausschnaubt. Wie gerne würde ich ihn jetzt sehen können, ihn berühren können, ihm sagen können, wie sehr ich ihn liebe. Wie sehr ich alles von ihm liebe. Jede noch so kleine Macke und wie ich, nur für ihn, für ihn ganz alleine, die komplette Welt verändern würde. Weil ich mir nichts mehr auf der Welt wünsche, als ihn glücklich zu machen. Mit allem was ich habe. Mit der Liebe, die ich für ihn hege. Die Zuneigung, die von Stunde zu Stunde, Jahr zu Jahr, immer heftiger wird. Er ist einfach meine ganze Welt. Er ist einfach... mein ganz eigener Stern. Laut höre ich die Menschen im Hintergrund, wie sie von zehn runter zählen. Gänsehaut breitet sich über meinen kompletten Körper aus. Ich recke den Kopf in den Himmel, voller Hoffnung und Zuversicht und dann... lassen sie sie hinaufschweben und mit ihnen, der Wunsch... für immer bei ihm zu sein. Genau in diesem Moment, spüre ich, wie Jordan meine Hand nimmt, unsere Finger miteinander verhakt und sofort frage ich mich, was er mehr als alles andere begehrt.

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