Der stechende Geruch von Alkohol, Schweiß und stickiger Luft dringt in meine Nase. Ich bin vor wenigen Minuten im Hilten angekommen und habe mich bei Tony, dem Besitzer des Ladens, angemeldet. Nun stehe ich hinter der Theke, die ihre Besten Jahre bereits hinter sich hat. Während ich die Bestellung von Tisch 23 vorbereite, lausche ich der dröhnenden Musik. Eigentlich höre ich keine Technomusik sondern eher ruhigere Songs oder Pop, aber heute gefallen mir die Beats der Lieder.
Wenn man sich im Hilten umschaut, könnte man bei jeder einzelnen Person denken, dass sie zur Mafia gehört. Wahrscheinlich tut das der Großteil auch.
Nicht jeder kommt in den Club, man braucht Kontakte, Geld oder eben beides.Auch im Hilten kann ich nicht sagen, was ich denke. Denn mein Kopf ist randvoll mit gemeinen Anmerkungen, dass sie mir eigentlich aus den Ohren rauskommen müssten. Aber ich glaube, dass es besser ist, wenn niemand weiß, was mir beim Betrachten der Kunden durch den Kopf geht. Ich denke nämlich, dass die meisten Typen Vollidioten sind.
Wo wir gerade von Vollidioten reden... auf der anderen Seite des Tresens ist das beste Beispiel dafür. Es beginnt mit einer Vorahnung, die sich innerhalb von Sieben simplen Worten bestätigt.„Hey Süße, bock auf ne schnelle Nummer?" Der Typ, der mich gerade mit seinen Augen regelrecht auszieht, ist Mitte 40 und graue Spuren durchfahren sein Haar. Sein Parfum kann man wahrscheinlich aus Zehn Metern Entfernung riechen.
Solche Leute bin ich leider gewöhnt. Dank der knappen Arbeitskleidung kommt es nicht selten vor, dass ich angesprochen werde. Dank des Tresens zwischen uns fühle ich mich relativ sicher. Wenn dieser Typ mich nachts auf der Straße angesprochen hätte, wäre ich panisch weggelaufen.„Sorry, bin am Arbeiten." Ich höre mich selbstbewusster an, als ich mich tatsächlich fühle
„Und danach?", fragt Billy - so habe ich ihn vor wenigen Sekunden getauft. Seine Zunge gleitet genüsslich über die Lippe, als würde er die Reste seines Mittagessens ablecken. Was wahrscheinlich heiß wirken soll, ist in meinen Augen total abstoßend. Bei Billy zumindest.
„Ein danach wird es nicht geben. Hast du einen Getränkewunsch?" Billy seufzt, gibt aber zum Glück nach und lässt mich weitestgehend in Ruhe.
„Fünf Bier und drei Tequila." Mit seinen dreckigen Fingern deutet er auf Tisch 16. In letzter Zeit ist mir die Gruppe, bestehend aus 8 Personen, öfters aufgefallen. Wahrscheinlich läuft irgendein Deal in der Stadt. Das Hilten ist der perfekte Ort um unentdeckt zu bleiben, wenn illegale Geschäfte ablaufen. Leute, mit denen ich in keinem Leben etwas zu tun haben möchte. Ich verstehe nicht, wie man so tief sinken kann, dass man hier her kommt. Es sollte mir egal sein, schließlich ist das Trinkgeld der Männer relativ gut.
„Kommt sofort", versuche ich Billy abzuwimmeln. Mit Erfolg.
Tisch 16 befindet sich direkt neben dem Boxring, wo sich Freitags testosteron gesteuerte Männer Kämpfe liefern. Für Geld. Seit einigen Monaten übernehme ich die Freitagsschichten und bin gezwungenermaßen dazu verpflichtet, zuzuschauen. Ich mache es wegen des Geldes. Gerade an Freitagen kassiere ich das Doppelte- wenn nicht sogar das Dreifache vom normalen Trinkgeld.„Trevor, kannst du mir Zwei Tequila machen?" Mein Kollege kommt gerade zur Theke zurück und sortiert das Bargeld in die Kasse, während er meiner Bitte folgt.
„Klar, warte einen Moment." Trevor ist Mitte Zwanzig. Macht Sinn, er arbeitet auch legal im Hilten. Laut Regelwerk darf man hier erst mit 21 arbeiten. Durch etwas Make-up und überzeugenden Schauspielkünsten konnte ich Tony von mir überzeugen. Beim Vorstellungsgespräch war ich so aufgeregt, dass ich beinahe einen Rückzieher gemacht hätte.
„Hier, Zwei Tequila." Mit einem gemurmelten „danke" gehe ich zu Tisch 16. Schon vom Weiten erkenne ich Zwei Frauen, die beide jeweils Mitte Zwanzig sein müssen. Billy und zwei weitere Männer in schwarzem Hemd und goldener Uhr sehen etwas älter aus. Auf der rechten Seite sitzen Zwei Typen, die sehr jung wirken. Zu jung um hier zu sein. Der eine muss ungefähr in meinem Alter sein, vielleicht ein bis zwei Jahre älter. Er trägt eine ausgewaschene Jeans mit einem lässigen schwarzen Shirt. Seine dunkelbraunen Haare stehen lockig zu den Seiten ab und mit den hohen Wangenknochen sieht er außergewöhnlich gut aus. Ein Blick in sein Gesicht verrät mir jedoch, dass man sich lieber von ihm fern halten sollte. Die grauen Augen sind kalt und seine Lippen sind fest aufeinander gepresst. Sein Kumpel müsste im alter der beiden Frauen sein.
Der Typ mit den grauen Augen schaut gebannt zu Billy. Ich frage mich, ob sie verwandt sind. Aus welchem Grund sollte er sonst hier sein? Als er seinen Kopf in meine Richtung dreht, treffen unsere Blicke mit der Wucht einer Abrissbirne aufeinander. Für den Bruchteil einer Sekunde vergesse ich Billy und die Anderen. Für den Bruchteil einer Sekunde verstummen die lauten Stimmen in meinem Kopf, die seit Stunden Kopfschmerzen verursachen. Für den Bruchteil einer Sekunde schwebe ich. Bis...
Bis Billys Stimme ertönt. Der Moment ist zu Ende und ich frage mich, was in Gottes Namen gerade passiert ist.
„Da kommt ja meine Schnecke." Er grinst mich anzüglich an, woraufhin ich am Liebsten vor seine Schuhe gekotzt hätte. Was fällt ihm ein, mit mir zu reden, als wäre ich eine Prostituierte?„Hier habt ihr euer Bier. Und den Tequila."
Ich will sofort von diesen Leuten verschwinden, da greift Billy nach meinem Handgelenk und verhindert meinen Abgang. Sein Griff ist fest. Panik steigt in mir auf. Egal wie sehr ich an meinem Arm ziehe, sein Hand greift nur noch stärker zu. Egal wie verängstigt ich im Moment bin, meine Wut ist größer.„Lass mich sofort los oder du bekommst auf der Stelle Probleme", drohe ich dem breitgebauten Typen. Woher kommt mein ganzer Mut? Billy beugt sich zu meinem Ohr herunter.
„Weißt du überhaupt mit wem du gerade sprichst? An deiner Stelle würde ich dein vorlautes Mundwerk etwas zügeln, Blue", flüstert er in mein Ohr und sein warmer Atem breitet eine Gänsehaut auf meinem gesamten Körper aus. Scheiße, woher kennt er meinen Namen? Mein Angst wird von Sekunde zu Sekunde größer. Nur noch wenige Monate, dann kannst du von hier verschwinden, Scarlett.
Mein Versuch, mir gut zuzusprechen, scheitert kläglich aber ich gebe bestimmt nicht nach, egal wer Billy sein mag.„Das habe ich tatsächlich nicht, und ich möchte es auch garnicht. Aber wenn du mich nicht sofort loslässt, dann schwöre ich dir, wirst du hier Hausverbot bekommen und musst einen anderen Ort für deine illegalen Geschäfte finden." Das Argument muss gezogen haben, denn wenige Sekunden später lässt er meine Hand los, als hätte er sich verbrannt.
Der Typ in meinem Alter hat die Szene mit achtsamen Augen beobachtet, hat aber nicht einmal daran gedacht, auch nur irgendwas zu sagen. Feigling. Dieses Arschloch kann mich mal, egal was das wenige Sekunden zuvor zwischen uns war. Als hätte er meinen Blick gespürt, schaut er in meine Richtung. Direkt in meine Augen. Dieses Mal beschreibt „Intensiv" seinen Blick am Besten. Ein Schauer durchfährt meinen Körper. Es ist eine Mischung aus Angst und Wut. Dabei fällt mir der Ansatz eines Tattoos an seinem Hals auf, das aus mehreren Einzelteilen bestehen scheint.
Bevor die Situation eskaliert verschwinde ich mit zittrigen Beinen zurück hinter den Tresen.„Hat der Kerl Probleme gemacht? Wenn ja, dann kann ich mich um ihn kümmern." Trevor ist mir im laufe der letzten Wochen zum Freund geworden. Wir haben uns sofort gut verstanden, auch wenn er aus einer komplett anderen Welt kommt. In seiner Welt spielt Geld, Benefizveranstaltungen und die neuste Mode keine Rolle. Zum kleinen Teil habe ich ihn immer schon darum beneidet.
„Alles gut, der wird in Zukunft seine Finger bei sich behalten." Hoffe ich jedenfalls.
„Wenn du meinst", sagt Trevor und zuckt mit den Schultern.
In den nächsten Stunden geht jeder seinen eigenen Aufgaben nach. Ich bediene die restlichen Gäste und mixe Getränke. Irgendwann wird mein Arm so schwer, dass ich nichtmal mehr den Wasserhahn an und aus machen kann. Die Musik wird gefühlt mit jeder vergehenden Stunde lauter.
In der Pause schaue ich auf mein Handy, die meisten Nachrichten kommen von Ivy, die ich schnell beantworte.
Gegen drei Uhr morgens werde ich langsam müde und auch Tisch 16 wendet sich zum gehen. Natürlich nicht ohne einen verschwitzten Blick von Billy zu kassieren. Er scheint ein hohes Tier in der Gruppe zu sein, denn anscheinend traut sich keiner der Feiglinge etwas gegen ihn zu sagen. Eine Stunde später melde ich mich bei Tony ab, der wie immer in seinem Büro sitzt.
Die Sonne ist noch nicht aufgegangen. Neben den leeren Straßen haben sich Gruppen von Obdachlosen versammelt, die alle zusammen an einer Flasche Bier saugen. Ich beschleunige mein Schritte, damit ich möglichst schnell mit der Straßenbahn nach Hause komme. Schlaf werde ich heute wohl nicht mehr finden, denn in genau einer Stunde wird Harper in mein Zimmer stürmen und mich als Schlafmütze bezeichnen. Von wegen Schlafmütze!
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Out Of The Blue
Teen FictionWenn es eine Sache gibt, die ich abgrundtief hasse, dann ist es verlieren. Ich verliere nie und werde es auch jetzt nicht tun. Ich spüre die unzähligen Augenpaare, die starr auf mich gerichtet sind, während mein Puls von Sekunde zu Sekunde immer sc...