Kapitel 47

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Eben gerade hatte ich noch die komplette Kontrolle über meinen Körper und dann liege ich auch schon auf dem harten Boden. Der stechende Geruch des Gummies steigt in meine Nase und betäubt meine Sinne. Stan hat mich direkt an der Seite meines Schädels getroffen, der jetzt schmerzhaft dröhnt. Trotzdem verschwende ich keinen einzigen Gedanken an den Kampf. Wo zum Teufel steckt Scar?

Als ich mit Oscar und den restlichen Jungs ins Hilten gekommen bin, habe ich sie hinter dem Tresen gesehen. Sie sah genauso schön aus, wie sie es immer tut, und ihr Anblick hat bei mir innerliche Schmerzen verursacht. Schon in der Schule konnte ich mich nur schwer davon abhalten, mich auf sie zu stürzen. Wie sie so verloren in meine Augen geschaut hat und mich absichtlich ignorieren wollte. Anstatt ihr die Sorgen aus dem Gesicht zu küssen, habe ich mich wie ein Feigling zurückgezogen.

Seit unserem Streit gehts mir scheiße. Sogar Hannah hat mich darauf angesprochen und Mom macht sich Sorgen.

Ich scanne mit meinen Augen die gesamte Umgebung ab, aber ich kann Scar nirgendwo finden. Die letzten Wochen wusste ich immer, dass sie unter den Zuschauen ist und- egal was sie auch behaupten mochte- mir die Daumen gedrückt hat. Jetzt ist sie nicht hier. Sie hat mich alleine gelassen.

Bevor ich mich wieder auf die Beine kämpfen kann, spüre ich harte Tritte gegen meine Rippen. Stans Gesichtsausdruck gleicht dabei dem eines Raubtiers. Immer und immer wieder prügelt er auf mich ein. Bis irgendwann alles um mich herum schwarz wir und ich das Bewusstsein verliere.


Fahles Licht erhellt die mich umgebene Dunkelheit. Meine Augenlider sind so schwer, dass ich mich extrem anstrengen muss, überhaupt eines der beiden auf zu bekommen. Wo bin ich?

Ich befinde mich auf einer Liege und in meinem rechten Arm steckt eine Nadel mit Schlauch, die bis zu einem Beutel führt. Das ekelerregende Piepen meines Herzschlags ist das einzige, was die Stille durchbricht.

Shit, ich habe den Kampf verloren. Bisher ist es noch nie so weit gekommen, dass ich ins Krankenzimmer des Hiltens gebracht werden musste, wo die bewusstlosen Verlierer behandelt werden. Ich kann mir vorstellen, wie Oscar reagieren wird.

Als hätte dieses Stück Abschaum meine Gedanken gehört, wird die Tür kraftvoll aufgerissen und ein wütender Oscar stürmt auf mich zu. Ich bin so schwach, dass ich mich nichtmal erschrecken kann, geschweige denn Angst verspüre.

Er packt mich mit beiden Händen am Shirt, das mir jemand übergezogen haben muss, und zieht mich an sich, sodass unsere Gesichter nur wenige Zentimeter entfernt sind. Auf Oscars Stirn pochen Venen und sein Kopf ist tiefrot. Vergleichbar ist sein Anblick mit einem Hund, der Tollwut hat.

"Was sollte das da draußen werden?", schreit er mir entgegen, wobei die ruckartige Bewegung einen beißenden Schmerz durch meinem Oberkörper fahren lässt. Das hat mir echt noch gefehlt.

Zum sprechen bin ich gerade nicht fähig. Das scheint Oscar nur umso mehr aufzuregen. "Hast du mich nicht gehört du Nichtsnutz? Du hast mir soeben 50.000 Euro Schulden eingebracht. Die kannst du mir innerhalb der nächsten Monate zurückzahlen. Wenn auch nur ein Cent fehlt," Mittlerweile ist seine Stimme gefährlich leise. "dann mache ich dir das Leben zur Hölle. Verstanden?"

Auch wenn ich im Moment nichts als wütend bin, hat Oscar ein kleines bisschen Recht. Es ist meine Schuld, dass ich heute verloren habe. Wenn ich nicht so abgelenkt gewesen wäre, hätte ich Stan mit Sicherheit schlagen können

"Deine Mutter hätte besser verhüten sollen, damit ein Unfall wie du nicht freigesetzt wird." Okay, damit geht er echt zu weit. Meine Mutter in das ganze mit reinzuziehen, macht mich noch wütender. Aber ich darf jetzt nicht durchdrehen. Schließlich ist genau das Oscars Ziel. Also reiße ich mich zusammen und halte meine Klappe. Dabei starre ich wie gebannt auf die kahle, weiße Wand.

"Na gut, du wirst schon sehen, was du von deinem kindischen Verhalten haben wirst", spottet Oscar, und verlässt das Krankenzimmer, ohne mich noch eines Blicks zu würdigen. Endlich.

Mein Körper ist von Kopf bis Fuß taub. Ich will einfach nur noch schlafen. Wenige Minuten später tue ich genau das und gleite in einen unruhigen schlaf. Dabei bilde ich mir ein, dass Scar mit mir redet. Im Traum sagt sie mir andauernd, dass ich wieder gesund werde und einfach kämpfen soll. Also mache ich was meine Fantasie mir befiehlt.


Scarlett
"Wo hat man Logan hingebracht?", frage ich Tony, während ich aufgelöst in sein Büro stürme. Dabei vergesse ich sogar anzuklopfen.

Mein Chef schaut überrascht von den Unterlagen auf, und zieht eine seiner wildwuchernden Augenbrauen nach oben. "Wer ist Logan?"

"Der Erste Kämpfer, der verloren hat. Logan musste gegen Stan kämpfen."

Tony überlegt einen Moment. Dabei spiele ich nervös an meinen Fingernägeln. Was, wenn es Logan schlecht geht? Was, wenn er dauerhafte Schäden davongetragen hat? Und das nur, weil ich zu stolz war zu zeigen, dass ich ihn nicht allein gelassen habe, egal wie angepisst ich bin. Das könnte ich mir niemals verzeihen.

"Achso, sag doch gleich, dass du deinen Freund meinst. Er liegt im Krankenzimmer. Die vierte Tür rechts vom Büro aus."

Noch während er mir antwortet, laufe ich zur Tür und knalle sie hinter mir zu. Dabei vergesse ich sogar, ihn zu korrigieren, was meinen Beziehungsstatus angeht.

Vierte Tür rechts. Es ist der letzte Raum im Gang, vor dem ein kleiner Wagen mit Verbandszeug steht. Darauf bedacht Logan nicht zu wecken falls er schläft, schließe ich die Tür auf, und trete ein. Ein winziger Teil von mir ist froh, dass Logan schläft. Dabei sieht er so friedlich und jung aus. Als hätte er mit keinen Problemen zu kämpfen und die beste Kindheit seines Lebens hinter sich. Leider ist davon nichts wahr.

Der Raum ist komplett in weiß gehalten. Die Jalousienen sind zugezogen, das Bett steht an der Wand und rechts davon ist ein riesiges Gerät aufgebaut, welches seinen stetigen Herzschlag misst.

Auch wenn es keinen Grund gibt, bin ich irgendwie aufgeregt. Um Logans Kopf wurde ein Verband gewickelt und dunkle Blessuren verzieren sein wunderschönes Gesicht.

Sobald ich meine letzten Zweifel überwunden habe, setzte ich mich auf den Stuhl, der direkt neben dem Bettgestell steht.

Und jetzt? Ich starre ihn an. Etwas anderes tue ich nicht. Von Kopf bis Fuß. Was würde ich nicht alles dafür geben, dass er jetzt aufwacht, einfach um zu wissen, dass es ihm gut geht!

Als Spencer vor einigen Jahren während des Sportunterrichts umgekippt ist, habe ich dieselbe Angst verspürt. Es fühlt sich an, als würde ein Schwarm Wespen in meinem Bauch umherfliegen und ich würde auf die Stiche warten. Und genau dieses warten, ist das schlimmste.

In dieser Sekunde erwecken die Stimmen in meinem Kopf zu leben. Sie reden auf mich ein und behaupten, dass es meine Schuld sei. Sie behaupten dass ich Logan's Zustand hätte verhindern können. Und sie haben recht. Es ist total beschissen.

Ich greife nach seiner warmen Hand, die ein Stück übers Bett ragt. "Du schaffst das, Logan. Werde bitte einfach wieder ganz schnell gesund und fit, damit ich wieder sauer auf dich sein kann", flüstere ich, auch wenn ich weiß, dass er mich nicht hören kann. So bleibe ich noch einige Minuten bei ihm sitzen, bis ich schließlich weiterarbeiten muss.

Mit einem flüchtigen Kuss auf die Lippen verschwinde ich.  Dabei beschleunigt sich das Piepen des Herzschlagmessgeräts.

Zurück am Tresen erwartet mich Trevor. "Alles gut bei dir? Du siehst total fertig aus. Du brauchst Schlaf, Blue."

Mit gezwungenem Lächeln baue ich eine Mauer um mich auf. "Alles bestens."

In Gedanken bin ich die ganze Zeit bei Logan.

Out Of The BlueWo Geschichten leben. Entdecke jetzt