Kapitel 4

2.1K 104 7
                                    

Die Benefizveranstaltung war das reinste Grauen. Es ist bereits nach Mitternacht und ich bin erst vor wenigen Minuten zu Hause angekommen. Als ich Mom und Dad erzählt habe, dass mich Rowan begleiten wird, hätte man ihrer Reaktion zur Folge denken können, dass er mir einen Heiratsantrag gemacht hat.
Ich schließe meine Zimmertür und lasse mich gegen das kalte Holz sinken. In den letzten Wochen habe ich kaum Schlaf gefunden und war jeden Abend bis spät in die Nacht wach. Ich bin vollends erschöpf.

Eine angenehme Brise dringt durch das offene Fenster in mein Zimmer und hinterlässt eine Gänsehaut auf meinem Körper. Die Sommerhitze hat dieses Jahr ihren Höhepunkt erreicht und lässt die Menschen unter sich brodeln.
Ich schlüpfe in mein dunkelblaues Schlafkleid und lasse mich aufs Bett fallen. Meine Füße schmerzen von den hohen Absätzen und mein Kopf dröhnt.

Den gesamten Abend musste ich mit fremden Personen Gespräche führen, die mich nicht im geringsten interessierten, ich wurde regelrecht dazu verleitet ein Glas Sekt nach dem anderen zu trinken und musste Stunde für Stunde an der Seite von Rowan stehen.
Die Stille, die mich jetzt umgibt, ist Balsam für meine Seele.

Ein Scheppern aus den unteren Stockwerken reißt mich aus den Gedanken. Normalerweise denke ich mir bei sowas nichts Schlimmes, doch seit Wochen bin ich vorsichtiger- oder paranoider- jedenfalls kommt es aufs gleiche hinaus.
Scheiße, das war das? Die Angestellten sind schon seit Stunden nach Hause gefahren oder schlafen bereits.
Ich sollte die Geräusche am Besten ignorieren und versuchen zu schlafen, aber meine Neugier wurde soeben geweckt. Auf Zehenspitzen schleiche ich mich in Richtung Tür. Auf dem Weg greife ich reflexartig nach einem meiner Cheerleadigpolake, so kann ich mich im Notfall wenigstens verteidigen. Sobald die Tür hinter mir ins Schloss fällt lausche ich nach weiteren Geräuschen.
Stille.
Nichtmal ein Rascheln oder Flüstern ist zu hören. Komisch. Das Scheppern kam definitiv von unten also sollte ich dort zuerst mein Glück versuchen.
Ich schleiche mich durch die dunklen Flure unseres Anwesens und benutze mein Handydisplay als Taschenlampe. Dieses verflixte Ding gibt jedoch schon nach wenigen Minuten den Geist auf.
Die Szene könnte tatsächlich aus einem schlechten Krimi stammen. Es fehlt nur noch ein selbstloser Retter in Rüstung, und der Film ist Oscarreif.

„Shit", ertönt eine unbekannte Stimme. Abrupt bleibe ich stehen. Verdammt, es ist tatsächlich ein Einbrecher in unserem Haus!
Panik steigt in mir auf, die ich mit viel Kraft versuche zu verdrängen. Auch wenn es eine bescheuerte Idee ist, sollte ich wenigstens meinen Eltern holen, aber irgendwas sagt mir, dass ich auch alleine zurechtkomme.
Mit leisen Stritten gehe ich näher.
Ein Schritt.
Noch ein Schritt.
Und noch einen.
Da sehe ich sie. Eine schwarzgekleidete Gestalt steht vor dem riesigen Wandschrank und durchwühlt die Schubladen. Der Körperfigur nach zu urteilen, muss es ein breitgebauter Mann sein. Eigentlich sollte ich nach dieser Erkenntnis schnellstens verschwinden, denn bei einem Typen wie ihm, wird mir auch der mickrige Pokal in keiner Weise helfen.
Die Tür, an die ich mich gelehnt habe, öffnet sich quietschend.
Neinneinneinnein, das darf doch wohl nicht wahr sein!
Der Einbrecher dreht sich mit einer schnellen Bewegung zu mir um, und blickt direkt in meine Augen. Die Dunkelheit verhindert, dass ich die Person identifizieren kann.
Angst. Ich empfinde gerade pure Angst!
In letzter Sekunde scheint sich mein Verstand wieder einzuschalten. Ich renne aus dem Wohnzimmer in Richtung... einfach Weg.
So schnell bin ich noch nie gelaufen, meine Sportlehrerin wäre stolz auf mich.
Leider ist auch mein Verfolger nicht gerade langsam und umfässt bereits nach wenigen Schritten mit seiner einen Hand mein Handgelenk und mit der Anderen drückt er meinen Rücken gegen seine Brust. Sein Griff ist so stark, dass mein Hals augenblicklich zu schmerzen anfängt. Bevor ich nach Hilfe schreien kann dreht er mich um, sodass ich direkt in sein Gesicht gucken kann. Und das Gesicht kommt mir irgendwie bekannt vor.

„Das würde ich an deiner Stelle nicht tun, Blue!" Ich atme erschrocken auf. Woher verdammt nochmal weiß der Kerl von Blue?
Das ist gar nicht gut. Augenblicklich schnürt sich meine Kehle zu und meine Atmung wird flacher.

„Ich habe keine Ahnung wer du bist aber du lässt mich jetzt sofort los oder ich rufe um Hilfe", drohe ich. Seine Augen sind direkt auf mein Gesicht gerichtet. Der Kerl kommt mir wahrscheinlich so bekannt vor, weil er öfters Gast im Club ist und mich daher kennt.
Dann fällt es mir wie Schuppen von den Augen. Es ist einer der Kumpel von Billy! Der, der die Szene einfach mit wachsamen Augen beobachtet hat und sein abschätziges Grinsen nicht unterdrücken konnte.

„Bist du sicher, dass du um Hilfe rufen willst? Denn wenn ja, dann werde ich deinen Eltern wohl oder übel von deinen nächtlichen Aktivitäten erzählen müsse ." Er scannt meinen Körper von oben bis untern ab. Da bemerke ich erst, dass ich nur in einem kurzen Schlafkleid vor ihm stehe. Ich fühle mich bloßgestellt. „Du bist außerdem auf keinen fall 21, Schätzchen. Das wird Tony gar nicht gefallen, wenn er davon mitbekommt."
Schätzchen? Dieser Spast!

„Drohst du mir gerade etwa?" Zum Glück hört sich meine Stimme selbstbewusster an als ich mich im Moment fühle, denn meine Beine drohen jeden Augenblick nachzugeben.

„Nenne es wie du willst. Haben wir uns verstanden?" Wenn Mom und Dad vom Nebenjob erfahren, kann ich die Idee vom Studium auf der Brown streichen. Sie werden ausrasten und mich härter denn je zu guten Noten zwingen. Das weiß mein Gegenüber anscheinend auch.

„Ich rede mit dir. Ob du mich verstanden hast?", flüstert er, damit niemand auf uns aufmerksam wird. So ungerne ich es auch zugebe, mir bleibt nichts anderes übrig, als zu tun, was er verlangt.

„Klar. Aber denke bloß nicht, dass du mich irgendwie einschüchterst." Seine Kapuze ist ein Stück verrutscht. Sobald ich seine grauen Augen sehe, verschwindet mein letzter Zweifel, dass es nicht der Kumpel von Billy ist. Er ist es definitiv.
Im selben Moment greift er nach meinen Händen, überkreuzt sie hinter meinem Rücken und drückt mich gegen die Wand.

„Du hast echt keine Ahnung, mit wem du es zu tun hast", sagt er, jedoch eher zu sich selbst. Meine Armhaare stellen sich auf. Der Typ ist mir zu nahe.

„Wie ich schon zu deinem Kumpel gesagt habe, ist es mir scheiß egal wer ihr seid aber wenn du nicht sofort deine dreckigen Finger von mir nimmst, dann schlage ich dir in die Weichteile."
Mit einem abschätzigen Lachen tritt er Zwei Schritte zurück und will sich gerade abwenden.

„Warte!", rufe ich hinterher. „Gib es zurück."
Wenn er glaubt, dass er einfach so verschwinden kann, dann ist er noch dümmer als ich dachte.

„Was soll ich zurückgeben?"

„Was auch immer du geklaut hast. Her damit."
Anstatt auf mich zu hören geht er rückwärts zum offenen Fenster.

„Ich habe nichts geklaut. Ich wollte mich nur mal... umschauen."
Seine arrogante Art macht mich wahnsinnig. Außerdem glaube ich ihm nicht. Auch wenn wir genug Geld haben um mehrere Familien zu versorgen, soll er gefälligst die Finger davon lassen. Im Kopf male ich mir bereits die schlimmsten Szenarien aus: Was wenn er etwas viel wertvolleres als Geld gestohlen hat? Was wenn er eine Bombe... okay, das ist relativ unwahrscheinlich.

„Logan, jetzt komm endlich!", unterbricht mich die Stimme einer Person, welche allen Anschein nach auf der Anderen Seite des Fensters steht.
Der Typ heißt also Logan. Nicht gerade schlau den Namen laut auszusprechen. Als hätte er meine Gedanken gelesen, beugt er sich zu meinem Ohr herunter.

„Mein Freund da draußen ist nicht gerade der Schlaueste. Also vergesse einfach meinen Namen, verstanden?" Ohne mir Zeit zum Antworten zu geben wendet sich Logan ab und verschwindet mit einem „Man sieht sich." aus dem Fenster.
Ich stehe mit offenem Mund im Flur und starre wie gebannt auf den Fleck, wo vor wenigen Sekunden ein Einbrecher gestanden hat.
Was zum Teufel ist gerade passiert? Kann mich bitte jemand kneifen?

Out Of The BlueWo Geschichten leben. Entdecke jetzt