Kapitel 26

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Wenn ein Handy nachts um drei Uhr klingelt, dann bedeutet es in Neunzig Prozent der Fälle nichts Gutes. Entweder ist derjenige der anruft stock betrunken, hat Schlafstörungen oder es ist eben etwas schlimmes passiert. Und da Phil der Anrufer ist, kann es nur die dritte Option sein. Ich bin erst vor zwei Stunden eingeschlafen, weil ich nach dem Besuch bei Oscar zusammen mit Scarlett doch noch bei KFC war. Um diese Uhrzeit hat man eben keine große Auswahl und muss seine Ansprüche nach hinten schieben - nicht dass ich irgendwelche Ansprüche hätte.

Scar war schon nach wenigen Minuten zurück im Auto, weil dieser Idiot sie rausgeschmissen hat. Phil und ich haben schon oft spekuliert, dass Oscar in seiner Kindheit einige Male zu oft vom Wickeltisch gefallen ist, denn anders können wir seine Stimmungsschwankungen nicht erklären.

"Alter, wenn es kein Notfall ist, dann schiebe ich dir morgen dein verdammtes Handy in Arsch. Hast du mal auf die Uhr geguckt? Es ist drei Uhr nachts, Phil!"

Auf der anderen Seite der Leitung ist es still.

"Phil?", frage ich besorgt nach, und setze mich abrupt aufrecht hin. "Bro, alles okay?"

"Logan, ich habe Scheiße gebaut." Mist. Das heißt nichts Gutes. Phil ist normalerweise ein anständiger Mann, der selbstbewusst und unabhängig ist, er scheißt auf die Meinung von Anderen und tut das, worauf er Bock hat. Das sind auch einige der Gründe, warum wir uns so gut verstehen.

"Was ist los?", versuche ich nochmal zu ihm durchzudringen. Er hört sich nicht betrunken oder bekifft an, und soweit ich weiß nimmt er auch keine Drogen.

"Ich war bei Meghans neuem Freund und habe seine Autoscheibe eingeschlagen. Die Polizei hat mich erwischt und jetzt musst du mich bei der Polizeistation abholen. Bitte, ich kann das meinen Eltern nicht sagen und ich habe zu viel Bier getrunken, um jetzt noch Auto fahren zu dürfen." Meghan ist seine Ex, über die mein bester Freund noch nicht hinweg ist. Auch wenn mir die Augen fast im stehen zufallen, stehe ich mühsam auf und schlüpfe in meine Klamotten.

"Okay, ich bin in 15 Minuten da."

"Danke Bro, du hast echt was gut bei mir."

Heute Abend ist der nächste Kampf, weshalb ich eigentlich fit und ausgeruht sein muss. Daraus wird nichts mehr.

Ohne Mom oder Hannah zu wecken, schleiche ich mich aus dem Haus und lasse die Tür leise ins Schloss fallen. Das Treppenhaus ist gespenstig still und die kahle Lampe spendet nur wenig Licht. So ist es eben, wenn man in Downtown wohnt.

Manchmal frage ich mich, wie mein Leben jetzt aussehen würde, wenn ich in einer Familie wie die von Scar aufgewachsen wäre. Wenn ich einfach machen könnte, was ich will und alles mit Geld klären könnte.
Scar ist aber auch der beste Beweis dafür, dass so ein Leben nicht unbedingt perfekt sein muss. Ich habe wenigstens eine Mutter, die mich liebt und ihre Bedürfnisse für mich und Hannah runterschraubt. Sie würde mich nie im Leben zwingen, auf ein College zu gehen, das mich nicht im geringsten Interessiert.

Draußen ist es immer noch angenehm warm, wo in mein Auto hingegen die Luft zu stehen scheint. Auf dem Weg zur Wache überfahre ich mindestens drei Rote Ampeln, aber um diese Uhrzeit sind die Straßen auch relativ leer und niemand hält mich an oder erwischt mich.

Ich bleibe auf einem kleinen Parkplatz vor dem Gebäude stehen. Mit diesem Ort verbinde ich nur schlechte Erinnerungen. Schon einige Male musste Oscar mich hier rausholen, weil ich Mom nicht anrufen wollte und sie enttäuscht von mir wäre. Mit Fünfzehn hatte ich eine... rebellische Phase und Mom hat darunter sehr gelitten. Ich bin einfach abgehauen, habe mich mit den falschen Leuten getroffen, habe gekifft und gesoffen und die Schule vernachlässigt.

Bevor ich noch länger in Selbstmitleid versinke kann, steige ich aus und gehe ins Revier. Bis auf den Typen in Uniform hinter dem Empfang ist es leer. Klar, um diese Uhrzeit sind die Wenigsten Menschen noch unterwegs.

„Guten Tag", begrüße ich den Cop. „Ich bin hier um Phil Dexter abzuholenden."

Der Mann mustert mich von unten bis Oben und zieht sobald er meine Tattoos sieht seine Rechte Augenraue hoch. Viele denken auf den ersten Blick, dass ich sie mir nur hab stechen lassen, weil es gut aussieht, aber in echt hat jedes einzelne Tattoo eine Hintergrundgeschichte. Spast.

„Dieser durchgeknallte Ex?" So viel zum Thema professionelles Arbeiten.

„Na und?", frage ich provokant und mustere die Bohnenstange. Er ist höchstens Mitte Zwanzig und sieht eher wie ein Physiker, als nach einem Polizisten aus. „Er bekommt wenigstens Frauen ab." Jetzt ist es zu spät um es noch zurückzunehmen.

„Was?" Bei der Frage verängen sich seine Augen, so wie Hannah es immer macht, wenn Mom keine Schokolade gekauft hat.

„Nichts, ich will Phil abholen und einfach wieder verschwinden." Bis heute habe ich noch nie einen so unprofessionellen Cop erlebt und das muss schon was bedeutet, schließlich kam ich schon oft mit welchen in Kontakt. Nichts worauf ich stolz bin.

Mit einem genervten Stöhnen steht er auf und geht mit schnellen Schritten zu den Hinterräumen, die er mit einer ID- Karte aufschließt.

Dahinter sitzt Phil. Er sieht total fertig und müde aus.

„Danke, du hast echt was gut bei mir", empfängt mich mein bester Freund.

„Mhh", brumme ich. „ Und jetzt komm, ich will noch schlafen." In drei Stunden muss ich wieder in der Schule sitzen. Tja, das mit dem Schlafen wird wohl nichts mehr.
Wortlos gehen wir zu meiner Karre und fahren vom Gelände.

„Willst du mir sagen was da heute in dich gefahren ist?", durchbreche ich das unangenehme Schweigen.

„Nichts. Ich habe ein Foto von mir und Meghan gefunden und da ist wohl irgendwas bei mir durchgebrannt."

„Ist sonst alles gut bei dir?" Phil spricht nicht gerne über seine Probleme und frisst seine Sorgen lieber in sich hinein. Ich gehöre auch zu diesen Personen. Ein weiterer Grund, warum wir uns so gut verstehen.

„Klar. Das war eine einmalige Sache." Hoffentlich, denn mit seiner Liste an Vorstrafen dauert es nicht mehr lange bis er echte Probleme bekommt. „Ich steige bei dir aus und gehe das letzte Stück zu Fuß."

„Quatsch, du wohnst Fünf Minuten entfernt, ich bringe dich rum."

„Danke, Logan."

„Du hast dich schon bedankt."

„Ich meine für alles. Du bist echt in Ordnung Mann. Nicht jeder würde nachts einen Freund bei den Bullen abholen", sagt Phil.

„Keine große Sache."

Die nächsten Minuten fahren wir schweigend zu seinem Wohnblock. Vor seiner Wohnung hält Phil inne. „Ich hätte fast vergessen dir zu sagen, dass Kessi und Peter dabei sind."

„Wobei?", frage ich überrascht.

„Bei deiner und Scars Idee, Oscar endlich mal zum Fall zu bringen. Wird langsam auch mal Zeit. Er hat uns alle schon viel zu lange in der Hand."

Ich hätte nie gedacht, dass Phil die Sache so ernst nimmt, umso mehr freue ich mich gerade. Jetzt sind wir schon 5. Die Hoffnung, dass wir es irgendwie schaffen, wächst.

Ich kann es nicht abwarten, Scar davon zu erzähle. Und diese Tatsache nervt mich gewaltig. Seit wann sind wir zu... Freunden geworden? Habe ich sie nicht eigentlich gehasst? Wenn ich ehrlich bin, habe ich nur das Bild verabscheut, das ich von reichen Familien habe. Ich kannte Scar zu diesem Zeitpunkt noch garnicht, und wie sich herausgestellt hat, ist sie echt Korrekt. Wenn auch ein bisschen zu positiv gestimmt.

Ich blicke zu Phil. „Perfekt, wir machen irgendwann die Tage einen Ort aus, wo wir das Vorgehen besprechen. Danke."

Phil zwinkert mir schief zu. „Keine große Sache." Mit diesen Worten verschwindet er in der Dunkelheit.

Ein Grinsen verirrt sich auf mein Gesicht. Wir werden Oscar fertig machen und gewaltig in die Eier treten. Sowas von!

Out Of The BlueWo Geschichten leben. Entdecke jetzt