Kapitel 10

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Die restlichen Stunden kann ich mich einfach nicht mehr konzentrieren. Bisher habe ich Logan nur in meinem Geschichtskurs getroffen, doch dem Getuschel auf dem Flur zufolge, haben wir auch Englisch zusammen. Ich laufe geradewegs in die Cafeteria, als mich eine Bewegung vor dem Fenster aufschauen lässt. Dort steht Logan neben seinem Kumpel, der ungefähr ein paar Jahre älter sein muss und auch zu Logan's Gruppe gehört. Sie diskutieren, ich erkenne es an den aggressiven Bewegungen und den angespannten Gesichtern. Es sieht beinahe aus, als würden sie sich streiten. Die Scheiben sind leider zu dick, weshalb ich kein Wort verstehe. Selbst aus der Entfernung erkenne ich Logans zusammengepressten Lippen und die Falten auf der Stirn. Bevor mich einer der beiden entdeckt, mische ich mich unter die Menschenmasse und laufe mit schnellen Schritten zur Ecke, wo meine Freunde bereits sitzen. Neben Ivy haben sich auch Lesley, Aria, Mitchell und Finn an den Tisch gesellt.

"Hey Leute", begrüße ich meine Freunde und lasse mich neben Ivy sinken. Wie es aussieht, hat sie die Probleme mit ihr Freund Mitchell geklärt, denn sie sitzen eng umschlungen auf der äußeren Sitzbank. Zum einen freue ich mich natürlich für die beiden, auf anderer Seite fühle ich mich dann immer wie das Fünfte Rad am Wagen.

"Das ist schon ein bisschen traurig", schnappe ich die Wortfetzen von Finn auf.

"Was ist so traurig?", frage ich, während ich meine Tasche vom Boden aufhebe und das Sandwich raus krame. Natürlich liegt es ganz unten in meinem Rucksack und wurde in den letzten Stunden von meinen Büchern malträtiert, sodass es nach allem aussieht- aber nicht mehr appetitlich. Super.

Finn schnaubt. "Dass Lesley am Wochenende lieber für die Schule lernt, anstatt auf meine Party zu kommen."

Lesley erdolcht ihn regelrecht mit Blicken. "Hey! Ich will einfach nicht durchfallen. Nur weil du kleiner Klugscheißer nicht lernen brauchst, gilt dasselbe nicht für mich." Irrsinniger Weise finde ich die Szene etwas lustig. Lesley und Finn kriegen sich jeden Tag in die Haare, egal um welches Thema es geht.

"Klein?", fragt Finn. "Ich bin 1.70 Meter groß."

Lesley schnaubt. "Höchstens in deinen Träumen. Das heißt, es stört dich, wenn ich dich klein nenne aber wenn ich dich als Klugscheißer bezeichne, dann ist es dir egal?"

Finn ist wirklich nicht gerade groß, aber er schämt sich nicht deswegen und steht zu seiner Größe. Meistens. Und Lesley reibt ihm seine 1.66 Meter gerne mal unter die Nase. So ist das eben zwischen ihnen- ein ungeschriebenes Gesetzt.

Bevor es eskaliert, mische ich mich lachend ein. "Leute, beruhigt euch wieder.

"Ich muss euch unbedingt noch was erzählen.", wechselt Aria glücklicherweise das Thema. Die restliche Mittagspause quatschen wir über den kommenden auftritt von Arias Band, der in wenigen Wochen in einer Bar stattfinden wird. Die Zeit mit meinen Freunden genieße ich jedes Mal aufs Neue.


Nach meiner letzten Schulstunde verabschiede ich mich und gehe zu meinem Auto. Ich bin irgendwie aufgeregt, denn ich habe nicht die geringste Ahnung, was Logan mit mir besprechen möchte. Ich gehe extra langsamer als gewöhnlich, um soviel Zeit wie möglich rauszuzögern. Ich öffne die imposante Ausgangstür und ein Schwall an Hitze übermannt meinen Körper. Augenblicklich vermisse ich die angenehme Kühle der Klimaanlage.

Schon von Weitem erkenne ich eine Person, die an meinem Wagen lehnt und konzentriert auf sein Handy starrt. Ich bleibe wenige Meter vor ihm stehen und verschränke angriffsfreudig meine Arme.

Ich räuspere mich. "Was willst du?"

Logan blickt auf, und mustert mich von oben bis unten. Normalerweise erkenne ich sofort, was Leute in meiner Gegenwart denken. Es reicht, dass ich ihnen in die Augen schaue, und sofort kenne ich Absichten der Person vor mir. Doch bei Logan ist das nicht so leicht. Sein Blick sagt rein gar nichts. Keine Regung, nichts. Etwas verwundert schaue ich beiseite. Logans Augen sind mittlerweile wieder in meinem Gesicht angekommen und ihm entschlüpft ein winziges Lächeln. Dabei stößt er sich vom Auto ab und geht zur Beifahrerseite. "Erstmal einen Kaffee. Ich bin am verdursten."

Mit offenem Mund schaue ich zu, wie dieser Kriminelle in meinen SUV einsteigt und mich dabei total ignoriert. Mir bleibt letztendlich nichts anderes übrig und ich setzte mich hinters Lenkrad. Das Gefühl, dass ich diesen Nachmittag bereuen werde, wird immer dominanter.

"Kannst du die Klimaanlage anmachen? In deinem Angeberwagen ist es wärme als draußen", beschwert sich Logan und spielt am Armaturenbrett herum.

"Finger weg. Wenn du schon ohne Erlaubnis in mein Auto einsteigst, dann schraube deine Ansprüche wenigstens zurück." Die Bezeichnung Angeberwagen ignoriere ich absichtlich.

Es ist tatsächlich unangenehm warm im Auto, aber ich möchte ihm auf keinen Fall die Genugtuung schenken. Also lasse ich die Klimaanlage aus, egal wie kindisch mein Verhalten ist.

Die Fahrt verläuft hauptsächlich schweigend. Logan versucht einige Male ein Gespräch anzufangen aber ich blocke jedes einzelne ab. Wenige Minuten später halte ich vor einem kleinen Café an und steige aus ohne auf meine Begleitung zu warten.

"Da hat aber jemand echt schlechte Laune. Ach stimmt, das kann man sich schließlich nicht kaufen", ruft er mir hinterher. Dabei wirkt er so abweisend, dass ich einen Stich im Magen fühle, welches zum Glück nur wenige Sekunden später von der aufkommenden Wut übermannt wird.

Abrupt bleibe ich stehen und deute mit erhobenem Finger auf seine muskulöse Brust. Seine respektlose Art macht mich wütend. "Kannst du nicht einmal deinen Mund halten? Wenn nicht, dann bin ich schneller weg, als dass du Himbeertorte sagen kannst."

Logan grinst mich schief an und drängt sich an mir vorbei ins Café. Früher bin ich hier oft hergekommen. Wenn ich länger drüber nachdenke, fällt mir nichtmal ein, warum dem so ist.
Er setzt sich an einen abseits liegenden Tisch mit Blick auf die anliegende Fußgängerzone, wo die Menschenmassen von Geschäft zu Geschäft eilen. Mit einem Seufzen gehe ich ihm hinterher und setze mich gegenüber hin.

"Ich habe nicht ewig Zeit. Also, was willst du von mir", frage ich, während ich durch die Getränkekarte blättere. Eigentlich ist mir der Durst vergangen, aber ich habe keine Ahnung, wie ich mich sonst vom Typen mir gegenüber ablenken kann. Ignorieren funktioniert nicht. Ich habe es schon oft versucht, aber seine Anwesenheit spürt man immer und überall, auch wenn er nur denselben Raum betritt. Hoffentlich geht es nicht nur mir so. Was würde das bedeuteten? Dass ich verrückt werde? Natürlich würde ich das niemals laut aussprechen. Logan's Ego reicht für eine halbe Fußballmannschaft, da braucht es nicht noch mehr Futter.

Logans amüsierter Gesichtsausdruck fällt zusammen, stattdessen blickt er ernst drein. Er lehnt sich etwas nach vorne und wir starren uns wie im Unterricht gebannt an. Sein Aftershavegeruch steigt mir zusammen mit seinem ganz eigenen Geruch nach... Wind in die Nase. "Ich möchte etwas klarstellen."

"Und das ist?" Ich ziehe die Worte provokant in die länge.

"Ehrlich gesagt habe ich Zwei... Anliegen. Du weißt doch bestimmt von den Kämpfen am Freitag, oder?" Ich nicke ihm stumm zu. Ich bringe kein Wort zustande. Auch wenn ich es könnte, wäre meine Stimme sicherlich so dünn wie Papier. "Dann weißt du bestimmt auch, dass ich ab dem Nächsten Mal einer der Teilnehmer bin. Ich werde ab Freitag im Ring stehen. Für Oscar."

Das ist mir neu. Im Büro hängt eine Liste mit allen Kämpfern und welchen Rang sie untereinander haben. Es sind meistens immer dieselben, nur selten kommen Neulinge dazu. Ich mustere Logans Körper. Er ist definitiv stämmig gebaut und seine Muskeln sind deutlich zu erkennen, aber er ist trotzdem nicht annähernd so Breit wie die Meisten von ihnen. Viele haben schon vorher im Kampfsport gekämpft oder waren ehemalige Wrestler.
Ich habe erst ein- oder zweimal mit einem von ihnen geredet. Meistens kommen sie wenige Minuten bevor der erste Kampf beginnt, und verschwinden anschließend genauso schnell wieder.

"Nein, das wusste ich nicht", antworte ich etwas zu spät. Woher auch? Es ist ja nicht gerade so, als würde ich mit Tony über solche Themen sprechen. Mein Chef gehört auch zu den Leuten, die ich nicht auf den ersten Blick einschätzen kann. Bei ihm geht das nicht. Einerseits hat er Familie und ist immer freundlich, anderseits ist Tony der Besitzer des Hiltens. Aber warum? Was hat er davon?
Ich schiebe die Gedanken an meinen Chef beiseite und konzentriere mich wieder auf Logan, der mich mit seinen Augen regelrecht hypnotisiert- im negativen Sinne. Als könnte er bestimmte Gedanken in meinen Kopf einpflanzen, ohne dass ich es bemerke. Eine weitere Eigenschaft, die ich an Logan bemerkt habe.

"Dann weißt du es eben jetzt." Er setzt wieder dieses abgehobene Lächeln auf. "Und du wirst dafür sorgen, dass ich gewinne. Für die nächsten 6 Wochen."

Out Of The BlueWo Geschichten leben. Entdecke jetzt