Kapitel 49

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Der Gang ist nichtmal einen Meter breit und die stickige Luft steigt mir zu Kopf. Ich krame mein Handy aus der Hosentasche um den Weg zu beleuchten, zumal ich nichtmal meine Eigene Hand vor den Augen erkennen kann. Kassi und Phil laufen vor mir, während ich Logan's Anwesenheit ununterbrochen hinter mir spüren kann. Er hat darauf bestanden das Rücklicht zu sein, damit wenn jemand von hinten kommt, nicht ich diejenige bin, die angegriffen wird.

Es ist totenstill. Unsere Schritte auf dem kalten Beton ist das Einzige, was zwischen den Wänden widerhallt. Umso weiter man nach unten geht, desto heller wird es.

Sobald wir das Treppenende erreichen, stehen wir in einem offenen Gang, der zu vier weiteren Räumen führt. Eine fahle Lampe erhellt den Flur, auch wenn Flur nicht die richtige Bezeichnung ist. Es ist total eng und überhaupt nicht das, was ich erwartet habe.

Phil ist bereits dabei, die einzelnen Räume zu erkunden. Hinter der ersten Tür befindet sich ein ramponiertes Badezimmer, dessen Gestank ich bis hier hin riechen kann. Logan hat mittlerweile nach meiner Hand gegriffen, und ich habe sie ihm nicht entzogen. Egal was auch zwischen uns passiert ist, bei ihm fühle ich mich sicher, und Sicherheit kann ich gerade gebrauchen.

Hinter der Zweiten Tür verbirgt sich ein Büro. Es sieht beinahe genauso chaotisch wie das von  Tony aus. An der rechten Wand steht ein riesiges Regal, worin haufenweise Aktenordner gestapelt sind. Ich wette, dass wir auch dort brauchbare Beweise finden würden, aber unser Plan sieht anders aus und ich will nicht länger als nötig hier rumhängen.

„Komm", flüstert Logan, und zieht mich an der Hand hinter sich in den nächsten Raum.

Sobald ich meinen Kopf durch die Tür stecke, kommt mir die Galle hoch. Oh. Mein. Gott.

In der Mitte steht ein Stuhl, der mich an den beim Zahnarzt erinnert. An den Beinen wie auch an den Armlehnen hängen offene Fesseln. Die Szene erinnert mich an einen Horrorfilm. Ich will hier raus. Aber ich muss mich noch gedulden. An der Hinterseite stehen aufgestapelte Fässer und Geräte, wovon ich kein einziges identifizieren kann. 

Hand in Hand gehen wir einen Schritt weiter ins Innere.

Logan schluckt hörbar. „Was zum Teufel ist das für ein Raum?"

Ich muss nicht antworten, schließlich wissen wir beide genau, was Oscar hier macht. Foltern.

Auch in diesem Raum stehen Regale und Beistelltische, auf denen kleine Werkzeuge liegen. Genauer will ich überhaupt nicht hingucken, sonst muss ich mich auf der Stelle übergeben.

„Leute, kommt mal her." Phil ist im Raum nebenan und scheint etwas gefunden zu haben. Ich und Logan schauen uns ruckartig an. In seinem Blick sehe ich, dass auch er sich hier unwohl fühlt. Etwas anderes wäre auch komisch.

Im Raum nebenan laufen wahrscheinlich die Geschäfte ab. Phil und Kessi stehen neben dem Eichentisch der relativ teuer aussieht und so garnicht hier rein passt.

„Wo soll ich die Kamera aufstellen?", fragt Kessi verzweifelt, und deutet mit ihrer freien Hand auf die Umgebung.

Sofort springt mir das kleine Waschbecken ins Auge. Es ist direkt auf den Tisch gerichtet und das kleine Abflussloch unter dem Wasserhahnkopf ist groß genug, um die kleine Kamera darin zu verstecken. Eigentlich kann man es nichtmal Kamera nennen. Mein Vater es sich vor einigen Jahren gekauft, da er einen seiner Geschäftspartner überwachen wollte. Die Kamera ist nicht viel Größer als ein Bierdeckel. Das muss es aber auch nicht, denn das Bild kann ich über eine App auf meinem Handy mitschauen.

„Gib mal her", flüstere ich mit ausgestreckter Hand meiner Freundin zu, die mir ohne zu zögern die Kamera reicht.

„Was hast du vor?"

„Wirst du schon sehen." Wie ich es mir ausgemalt habe, passt das kleine Gerät perfekt in das runde loch. Ich drücke auf Aufnehmen. Das Abhörgerät verstecke ich in der einzigen Topfpflanze, die sich im Raum befindet. Endlich zahlt sich meine Vorliebe für Krimis aus. Wie oft habe ich genau diese Situation vor dem Bildschirm miterlebt und habe mich gefragt, wie sich die Charakter in dieser Situation fühlen müssen. Jetzt weiß ich es.

„Meinst du wirklich, dass es ein gutes Versteck ist?", fragt Phil, der aufgeregt an seinen Fingern spielt. Eigentlich dürfte die Kamera und das Abhörgerät nicht auffallen.

„Ja, ich bin mir ziemlich sicher" Zum Glück hört sich meine Stimme selbstbewusster an, als ich mich im Moment fühle. 

Logan stellt sich wieder an meine Seite und greift unauffällig nach meiner Hand. Sobald sich seine Wärme auf meinen Köroer überträgt, fühle ich mich besser. Wie schafft er das nur?

„Wir sollten langsam wieder verschwinden. Oscar könnte jeden Moment mit einem neuen Kunden kommen und dann will ich hier echt nicht erwischt werden", flüstert Logan. Ich habe dieses Bedürfnis auch nicht.

„Dann los." Wir nehmen denselben Weg zurück, wie wir auch hergekommen sind. Die Treppen sind noch anstrengender als auf dem Hinweg. Sobald wir wieder im Hausflur angekommen sind, fällt eine tonnenschwere Last von meinen Schultern und ich kann wieder frei atmen. Es ist immer noch gespenstisch still im Gebäude. Eigentlich ein gutes Zeichen.

„Macht die Tür wieder zu und lass das Regal genau wie wir es vorgefunden haben zurück. Oscar darf nichts merken." Phil hat recht. Wenn nur eine Sache nicht an seinem ursprünglichen Platz ist, kann es passieren, dass er Verdacht schöpft.

„Was macht ihr hier?" Ertappt zucken wir vier zusammen. Im selben Moment rutscht mir mein Herz in der Hose. Vor uns steht ein breiter Mann, den ich bisher nur wenige Male zu Gesicht bekommen habe. Ich glaube er heißt Freddy. Freddy ist ein enger Freund von Oscar.

Ich spüre wie sich Logan ein stück vor meinen Körper schiebt und mich somit vor dem Typen schützt. Diese Geste lässt mein Herz zum gefühlt tausendsten Mal erwärmen. Aber im Moment haben wir echt andere Sorgen. Sorgen die Zwei meter groß und einen halben meter breit sind.

„Wir...", stammelt Phil. „Wir wollten mit Oscar sprechen aber der ist nicht in seinem Büro. Und auf dem Rückweg haben wir etwas poltern gehört. Ich dachte, dass möglicher weise etwas im Schrank umgefallen ist, aber es war nur Kessi, der ein Stift runtergefallen ist."

Sie zuckt beschämt mit den Schultern. Wenn ich Freddy wäre, dann hätte ich die Lüge sofort abgekauft.

„Wie ihr sehen könnt, ist er nicht da. Also verschwindet von hier. Und zwar sofort. Um diese Uhrzeit habt ihr hier nichts mehr zu suchen." Die düstere Stimme passt perfekt zu seinem Aussehen. Tief und angsteinflößend. Ich will einfach weg von hier.

„Tut uns echt leid. Dann richte Oscar aus, dass ich ihn morgen sprechen möchte", sagt Logan monoton, als würden wir gerade übers Wetter reden und wir nicht fast erwischt wurden. Ich beneide ihn um seine lockere Art.

„Hm, mache ich." Mit einer undeutlichen Handbewegung verschwindet er in einem der Privaträume. Wir vier schauen uns mit großen Augen an. Das eben war echt knapp. Wenn Freddy wenige Sekunden früher gekommen wäre, dann... soweit will ich garnicht denken.

„Nichts wie raus."

Ohne nochmal zurückzublicken, gehen wir schnurstracks zum Auto. Mittlerweile ist es schon spät und die Luft ist überraschend kalt. Sofort breitet sich eine Gänsehaut über meinen gesamten Körper aus. Schon seit meiner Kindheit bin ich eine Frostbeule.

„Wir hatten scheiße viel Glück, Leute", flucht Phil, der sich hinters Lenkrad setzt.

Kessi schenkt ihm einen bitteren Blick. „Was du nicht sagst." Irgendwas verbindet die beiden, aber ich weiß nicht was es ist. Noch nicht. „Und jetzt?"

„Jetzt fahren wir zu Logan nach hause und belauschen Oscar mit seinem nächsten Kunden." Das klingt nach einem Plan.

Out Of The BlueWo Geschichten leben. Entdecke jetzt