Kapitel 5

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Ich lag die halbe Nacht hellwach im Bett, da der Adrenalinschub verhindert hat, dass ich mich entspannen konnte. Wenn Logan und sein Kumpel etwas geklaut haben, mit dem sie meine Eltern erpressen könnten, und ich ihn einfach laufen gelassen habe, dann werde ich mir das niemals verzeihen. Natürlich will ich auf die Brown, aber ich würde meine Familie auf keinen Fall dermaßen aufs Spiel setzten. Meine Wut auf Logan lässt sich nicht in Worte fassen. Vielleicht wäre nichts von all dem passiert, wenn ich Billy höflicher behandelt hätte. Aber dieses Schwein hat nichts anderes verdient. Ich fühle mich nutzlos und ein schlechtes Gewissen breitet sich in mir aus.
Ich höre Schritte vor der Zimmertür. Ein Blick auf mein Handy verrät mir, dass es bereits früh am Morgen ist und Harper in wenigen Sekunden in mein Zimmer stürmen wird. Auch am Wochenende kann ich nicht ausschlafen. Meine Eltern wollen mit mir und Spencer zusammen Frühstücken bevor sie jeweils arbeiten gehen. Leider ziehen wir dieses Ritual schon seit meiner Kindheit durch.
Die Tür öffnet sich und ich stelle mich schlafend.

„Schlafmütze, du musst aufstehen. Deine Eltern warten schon auf dich", ruft sie. Wenn ich bis jetzt noch nicht wach gewesen wäre, dann spätestens jetzt.

Manchmal frage ich mich, was Harper hier hält. Es sind bestimmt nicht meine Eltern, und egal wie gut ich mich mit ihr verstehe, ich bin es auch nicht. Wahrscheinlich liegt es an der guten Bezahlung. Während ihre Tochter und Enkelin ein ganzes Stück vom Anwesen entfernt wohnen, verbringt Harper den Großteil ihrer Zeit bei uns. Sowas macht niemand freiwillig.
Es ist genauso unfreiwillig, wie ich zur Schule gehe, auf Benefizveranstaltungen auftauche,  und Leute wie Billy bediene. 

Seitdem ich klein bin, kenne ich kein anderes Leben. Ich kenne kein Leben ohne Angestellte, ohne massenhaft Geld und auch nicht ohne ein Dach über dem Kopf.
Ich wusste früh, dass es uns gut geht. Aber wie reich wir überhaupt sind, ist mir erst klar geworden, als ich alt genug war, den Trubel über meiner Familie in Zeitschriften und im Internet zu lesen. Egal wo ich hingegangen bin, überall wimmelten Männer mit Kameras, die nähere Informationen über die Geschäfte meiner Eltern erfahren wollten.

Ein Mal habe ich den großen Fehler begangen zu erzählen, dass es in der Firma an Mitarbeitern mangelte. Daraufhin erschienen in den Klatschzeitschriften zweiseitige Artikel über den möglichen Ruin meiner Familie und jeder hat aus eine Mücke einen Elefanten gemacht. In den Artikeln steckte so viel Wahrheit, wie im Weihnachtsmann.

Seitdem halte ich meinen Mund. Ich habe Hausarrest bekommen und musste für drei Wochen nach der Schule im Altersheim aushelfen. Und glaubt mir, diese schrumpeligen Ärsche die ich putzen musste, will ich nie wieder sehen. NIE. WIEDER.

„Ist es schon so spät?", frage ich verschlafen. Meine schauspielerischen Talente lassen zu wünschen übrig, aber Harper scheint nichts mitzubekommen.

„Es ist nicht schon so spät, es ist sogar zu spät, Scarlett." Oh Man! Mit wackeligen Beinen gehe ich auf meinen Kleiderschrank zu und suche mir ein hübsches Kleid heraus. Es wird bis in den späten Abend heiß sein, deshalb greife ich nach einem oberschenkellangem Kleid mit Spitze. Ich habe es mir vor einigen Wochen zusammen mit Ivy gekauft.

„Haben Sie gut geschlafen?", fragt Harper. Egal wie oft ich ihr sage, dass sie mich nicht siezen braucht, tut sie es trotzdem oft. Sie meint, es sei einfach die Gewohnheit.

„Natürlich. Und du?"

„Meine Enkelin hat mich die ganze Nacht wachgehalten. So ist das eben mit kleinen Kindern." Harper hat ein Tochter, die vor knapp einem Jahr ein Kind bekommen hat. Sie kam Sechs Wochen zu früh auf die Welt und hat jetzt mit einigen Problemen zu kämpfen.

„Das tut mir leid", sage ich ernst.

„Muss es nicht. Schließlich ist sie am Leben. Das ist die Hauptsache." Harper dirigiert mich zum Schminktisch, damit sie meine Frisur zurechtmachen kann. „Außerdem sollten wir uns langsam mal um deine Haare kümmern."
Die nächsten Minuten unterhalten wir uns über die neuesten Gerüchte und flüchten vor den eigenen Problemen.

Schon im Flur höre ich die besorgten Stimmen meiner Eltern.
„Peter, was sollen wir denn jetzt machen?" Moms Stimme klingt aufgeregt. Ich bleibe abrupt stehen und lausche ihr Gespräch. Die Situation erinnert mich an gestern Abend.

„Ich weiß es doch auch nicht. Uns bleibt nichts anderes übrig, als die Polizei einzuschalten", antwortet Dad.
Meine Mutter setzt sich auf einen der Stühle und blickt verzweifelt aus dem Fenster. Was ist passiert?

„Was, wenn etwas davon an die Öffentlichkeit gerät? All die Arbeit ist dann umsonst gewesen. Denn eines steht fest. Es war definitiv jemand im Haus."
Shit. Darum geht es also. Ohne länger nachzudenken stürme ich ins Esszimmer.

„Was ist passiert?", frage ich aufgebracht. Meine Eltern zucken ertappt zusammen.
„Schatz, es ist nichts passiert." Lügen. Sie lügt mir direkt ins Gesicht.

„Ich habe doch genau gehört, wie ihr gerade über... jemanden im Haus geredet habt!" An ihren Blicken erkenne ich, dass ich sie eiskalt erwischt habe.

„Wir glauben dass jemand eingebrochen ist."

„Wieso? Wurde Geld gestohlen?" Bitte lass es nichts schlimmeres sein.

„Es wurden einige Checks entwendet. Insgesamt haben sie einen Wert von knapp Dreißigtausend Euro." Ich stehe mit offenem Mund wie erstarrt vor meinen Eltern. Das ist alles meine Schuld! Trotzdem bin ich froh, dass nur Geld gestohlen wurde und nichts wertvolleres.

„Was macht ihr jetzt?" Die Polizei kann in diesem Fall wahrscheinlich nicht viel ausrichten. Die einzige Person, die Helfen kann, bin ich. Fuck. Ich darf aber auf keinen fall etwas zu Mom und Dad sagen. Billy und seine Freunde werden ansonsten petzen.

„Wir werden die Polizei rufen. Das Fenster stand etwas offen. Deshalb haben wir auch erst so spät herausgefunden, dass überhaupt jemand eingebrochen ist." Logan hatte Handschuhe an, weshalb die Polizei wahrscheinlich keine Spuren finden wird. Auf seltsame Weise bin ich deshalb erleichtert.

Eine Sache macht mich stutzig. „Wurde die Alarmanlage nicht ausgelöst?" Meine Eltern blicken sich verzweifelt an und Dad nimmt meine Mutter in den Arm.

„Nein. Der Einbrecher muss sie irgendwie ausgeschaltet haben. Wir wissen selber nicht Mehr." Er kommt eine Schritte auf mich zu und gibt mir einen Kuss auf den Scheitel. „Mach dir keine Sorgen, wir kümmern uns darum." Ich mache mir aber Sorgen. Und zwar gewaltig.

„Mommy, Daddy! Darf ich heute mit Hannah spielen?" Spencer stürmt ins Zimmer und ich wundere mich wieder aufs Neue, wie sie um diese frühe Uhrzeit so viel Motivation übrig hat.

„Wer ist Hannah?", fragt Mom.

„Sie geht in meine Klasse. Wir sind Freunde." Die Freude, die sich auf Spencers Gesicht spiegelt, steckt mich augenblicklich an.

„Wo... Woher kommt sie?" In diesem Moment schäme ich mich für meine Familie. Mom war von Anfang an nicht davon überzeugt, dass wir auf eine staatliche Schule gehen, wo es nicht an reichen Schnöseln wimmelt. Insgeheim will sie nur wissen, ob Hannah aus einer reichen Familie kommt.

„Sie wohnt in Downtown." Das Gesicht meiner Mutter verzieht sich zu einer Grimasse. Ich ahne was kommt.

„Schatz, ich denke, dass es keine gute Idee ist. Frage doch stattdessen Aurora." Aurora ist die kleine Schwester von Rowan. Reich und eingebildet. Im Moms Augen perfekt. Spencer weiß genau, dass Mom nicht mit sich diskutieren lässt und gibt nah. Da habe ich eine Idee.

„Oder wollen wir Shoppen gehen und uns eine Kugel eis holen? Ivy kommt bestimmt gerne mit", frage ich meine Schwester.

„Oh ja! Daddy, dürfen wir? Bitte!" Die Stimme meiner Schwester überschlägt sich beinahe.

„Natürlich", antwortet Dad und lächelt mir dankend zu. Wenn er wüsste was ich vorhabe... Wir setzen uns an den Tisch und fangen in angenehmen Schweigen an zu essen. Ich denke jedoch nicht daran mit Spencer Shoppen zu gehen. Ich habe eine bessere Idee.

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