Scarlett. Eine Hand an der Türklinke, gebeugte Haltung. Glanzlose Strähnen hingen in das müde Gesicht, ein Schatten lag über ihren leblosen Augen, welche sich erschöpft aufrichteten und schließlich mich fanden. Schluckend erstarrte ich, sprachlos beim Anblick des einst stolzen Carriers. „W-Was ist los?", brachte ich schließlich mit viel Mühe und zitternder Stimme heraus. Sie antwortete nicht. Stattdessen trat sie einen Schritt beiseite, als Geste, dass ich hereinkommen sollte. Ihr Blick... Als ob etwas jegliches Leben aus ihr gesaugt hätte. Unsicher hielt ich inne. Was wollte sie? Wäre es gefährlich, einzutreten? Sie schien nicht geweint zu haben, allerdings machte sie nicht den Eindruck mir schaden zu wollen. Oder zu können. Nach kurzem Überlegen, wagte ich einen zögerlichen Schritt über die Türschwelle, sicherte aber angebrachten Abstand zwischen ihr und mir. Ein enger, dunkler Flur führte in zwei Räume links und rechts und mündete schließlich in einem kleinen Wohnzimmer. Allerdings bemerkte ich sofort, dass in der Wohnung etwas nicht stimmte. Es stank nach Schweiß, die Luft war dick. Auf dem einst weißen Teppich, erstreckten sich dunkelgraue Flecken und in den Ecken des Flures, lagen kleine, durchsichtige Scherben. Langsam, kraftlos verschloss sie die Tür hinter mir, drehte allerdings nicht den Schlüssel, was mich enorm erleichterte. „Und jetzt?", fragte ich verunsichert und legte die Arme um mich, als ob mir das Sicherheit verschaffen würde, in dieser unbeschreiblich unangenehmen Situation. „In deinem Zimmer...", murmelte sie und nickte in die Richtung der zweiten, rechten Tür. „Okay", erwiderte ich skeptisch, nicht sicher, ob ich mich in Gefahr befand. Sie weiter im Blick behaltend, näherte ich mich meinem alten Raum. Scarlett rührte sich jedoch nicht vom Fleck, sondern starrte mir unglaublich erschöpft hinterher. Schluckend griff ich nach der Klinke, drückte sie herunter und...
Ein von schwachem Orange erleuchteter, quadratischer Raum mit hellblauen Wänden, dessen Tapete Risse und Kratzspuren aufwies, begrüßte mich. Kleiderschränke standen offen, Kleidung hing heraus. „Nein."
Kopfschüttelnd taumelte ich einen Schritt zurück. Mir wurde schlagartig übel. Nicht nur wegen diesem merkwürdigen, beißenden Geruch nach Urin, welcher mich umgab. Ein Kabel hing vom Metallgestell der Deckenlampe. Es hielt Catherins leblosen, blassen Körper in der Luft gefangen. Neben ihren Füßen lag ein umgekippter Holzstuhl. Unter ihr erstreckte sich ein dunkler Fleck auf dem grau-blauen Teppich.
Ihre aufgerissenen, weißen Augen starrten zur Decke, unter Catherins Nase klebte getrocknetes Blut und Speichel hing noch immer in den leicht geöffneten Mundwinkeln.
Ihr Anblick traf mich wie ein Schlag in die Magenkuhle, trieb mir die Tränen in die Augen. Unsägliche Kälte erfasste mich, gefolgt von Ungläubigkeit und Ekel. Hastig fuhr ich herum, um es nicht länger ertragen zu müssen. Fassungslos starrte ich an die Wand des Flures, berührte mit einer Hand meine Stirn, als ob es einfach nur schlimme Kopfschmerzen wären. „Ach du Scheiße...", entfuhr es mir flüsternd, nach einigen Sekunden des Realisierens. „Ach du Scheiße, Scarlett, was hast du getan?"
Ich wagte es nicht, sie anzusehen. Stattdessen hielt ich mir nun beide Hände vors Gesicht, schloss die Augen und schüttelte immer wieder den Kopf. Erst dachte ich, sie würde weiterhin schweigen, doch dann drang ein gequältes: „Das ist alles meine Schuld...", an meine Ohren und riss mich aus meiner Starre. Ungläubig sah ich sie an. „Was ist deine Schuld? Was hast du gemacht?", fragte ich, nun fordernder. „Wir... wir haben uns gestritten. Ich habe ihr Pillen an den Kopf geschmissen und gesagt, sie soll sich umbringen. Dann bin ich abgehauen. Und als ich wiederkam-...", „-Du hast was?", unterbrach ich sie, nun wütender. Das kann nicht ihr beschissener Ernst sein. „Schön hast du sie ausgenutzt und weggeschmissen. Gut gemacht", brach es plötzlich aus mir heraus. Das Entsetzen wich Stück für Stück dem aufsteigendem Zorn, welcher mein Herz zum Rasen brachte. „Wie kann man nur so eine egoistische Bitch sein? Wie kann man so krank sein?", brüllte ich nun, um dem heißen, beklemmenden Gefühl irgendwie Luft zu verschaffen. Der Carrier schwieg. Ihre toten Augen zu Boden gesenkt, nahm Scarlett meine Beleidigungen wortlos hin. „Hallo? Sag was dazu! Erklär mir, warum du das gemacht hast, du eigennütziges Miststück!"
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Azure ☆ Straying Bird
Fantasy(Beendet) Das Uranus-System. Zuhause, der Carrier und Hybriden, welche sich als Team zusammenschließen, um gemeinsam immer stärkere Gegner zu bezwingen. Diese faszinierende Welt der Kämpfe koexistiert mit einer harschen Realität, voll Einsamkeit und...